Abgelenkte Autofahrer:Vernetzt bis in den Tod

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Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung und SMS-Schreiben am Steuer: Besonders jüngere Fahrer lassen sich leicht ablenken und verursachen dadurch schwere Unfälle.

Joachim Becker

Die Zahl der Assistenzsysteme im Auto steigt - die Zahl der Unfallopfer auch. Erstmals seit 20 Jahren dürfte es wieder mehr Verkehrstote in Deutschland geben. Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes wird der Blutzoll Ende 2011 rund sieben Prozent höher liegen als im Vorjahr. Die Statistiker rechnen mit etwa 3900 Todesopfern (Vorjahr: 3648), das wären im Schnitt elf Unfalltote pro Tag. Die Zahlen sind um so alarmierender, da Autos an sich immer sicherer werden. Der Schleuderschutz ESP gehört mittlerweile genauso zur Serienausstattung von Neuwagen wie ein umfangreicher Crash-Schutz. Trotz der Prognosen hält Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) daher an seinen Zielen fest, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu senken.

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Selbständige Notbremsung, Einparken von Geisterhand, teilautomatisches Fahren: Audi bastelt an den Helferlein von morgen. Manche Systeme sind allerdings nicht neu und einige funktionieren nur, wenn Autos untereinander vernetzt sind.

Neue Forschungsergebnisse liefern jedoch Hinweise, warum die Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit nicht wie geplant greifen werden. Das Allianz Zentrum für Technik geht davon aus, dass Ablenkung am Steuer die Hauptursache von jedem zehnten Autounfall ist. 40 Prozent der Autofahrer telefoniere ohne Freisprecheinrichtung, ein Fünftel schreibe SMS beim Fahren, so die aktuelle Studie. Die Experten gehen davon aus, dass Ablenkung am Steuer allein für die Allianz-Versicherung jährlich 140.000 Schäden zur Folge habe. "In etwa einem Drittel aller Unfälle spielt Unaufmerksamkeit allgemein eine Rolle", betont Christoph Lauterwasser, Leiter des Allianz Zentrum für Technik, "besonders junge Menschen lassen sich leicht ablenken."

Eher die Regel als die Ausnahme

Die Studie zeigt eine massive Gefährdung für junge Fahrer beiderlei Geschlechts: Telefonieren, SMS-Schreiben oder intensives Musikhören ist für 18- bis 24-jährige Fahrer nach eigenem Bekunden eher Regel als Ausnahme. Die Gefahr der Ablenkung ist in dieser Altersgruppe 16 Prozent höher als für die 25- bis 64-Jährigen und mehr als 40 Prozent größer als für Senioren über 65 Jahre.

Das tödliche Unfallrisiko ist besonders jüngeren Verkehrsteilnehmern zu wenig bewusst. Die Facebook-Generation ist so an die dauernde Vernetzung gewöhnt, dass sie auch hinter dem Lenkrad nicht auf das elektronische Spielzeug verzichten möchte. Gingen Experten in den vergangenen Jahren noch von Handyverstößen eines Drittels der Fahrer aus, sind es nun bereits 40 Prozent der Handybesitzer, die den Umgang mit der Modedroge beim Fahren nicht ausschließen. 30 Prozent bestätigen das Lesen, 20 Prozent das noch gefährlichere Schreiben von SMS-Nachrichten bei der Fahrt.

Mehr als 50 Meter im Blindflug

Der Autoverkehr fordert auch deswegen jedes Jahr Menschenleben, weil die Fahrer sich nicht auf den Straßenverkehr konzentrieren, sondern mit vermeidbaren Tätigkeiten beschäftigt sind", klagt Lauterwasser. Wie groß die Gefahr ist, zeigen ein paar einfache Zahlen: Das Einlegen einer CD in das Infotainmentsystem dauert im Schnitt rund fünf Sekunden - entsprechend steigt das Unfallrisiko um das 2,3-Fache. 90 Prozent der jungen Fahrer (in allen Altersgruppen 67 Prozent) geben an, dass sie während der Fahrt CDs wechseln. Bei der Bedienung des Radios kann die Blickabwendung sogar noch zehn Mal höher sein. Schon mit einem Tempo von 50 km/h legt ein Fahrzeug 14 Meter in der Sekunde zurück. Wer sich unterwegs als Discjockey betätigt, ist also mehr als 50 Meter im Blindflug unterwegs.

Könnten alle Fahrzeuge bei Stadttempo automatisch Auffahrunfälle verhindern, ließen sich allein in Deutschland jährlich mehr als 500 000 Bagatellunfälle vermeiden. Das hatte eine Studie des Allianz Zentrum für Technik aus dem Jahr 2009 ergeben. Systeme zur Kollisionswarnung mit integriertem Bremsassistenten sind unterdessen auf dem Vormarsch: Besteht die Gefahr eines Auffahrunfalls, wird der Fahrer durch eine Signalleuchte im Cockpit und einen Warnton alarmiert. Reagiert er nicht auf die Warnung, setzen die Systeme zur automatischen Bremsung an. Voraussichtlich ab 2013 wird die unabhängige Prüforganisation Euro NCAP aktive und passive Sicherheit integriert bewerten. Ohne Notbremssysteme gibt es dann keine Fünf-Sterne-Höchstwertung mehr - ein starker Anreiz für alle Fahrzeughersteller, unfallvermeidende Systeme serienmäßig einzubauen.

Doch selbst der beste elektronische Beifahrer, kann den aufmerksamen Fahrer vorerst nicht ersetzen. Im Gegenteil: Verlässt sich der Fahrer allzu sehr auf die automatische Unterstützung, könnte er sich noch intensiver mit den zahlreichen Infotainment-Kanälen beschäftigen. Dann würde die Gefährdung eher noch zunehmen.

© SZ vom 19.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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