Abgasskandal:Wo VW seine illegalen Diesel parkt

VW Dieselfriedhof

Viel Platz: Gebrauchte VW-Diesel lagern auf einem Gelände südlich von Colorado Springs.

(Foto: Thierry Backes)
  • In der Nähe von Colorado Springs und auf weiteren riesigen Halden in den USA lagert VW tausende illegale Dieselautos.
  • Die Jettas, Golfs und Passats warten dort darauf, umgerüstet und weiterverkauft zu werden. Manchen Exemplaren droht die Verschrottung.
  • Im Zuge des Abgasskandals hat Volkswagen bis zum 15. Juni 2017 exakt 275 601 Zwei-Liter-Diesel in den USA zurückgekauft und Besitzern insgesamt 6,3 Milliarden Dollar ausgezahlt.

Von Thierry Backes, Colorado Springs

Mitten im Nirgendwo stehen sie in Zwölferblöcken zusammen, je sechs mal zwei Autos, Stoßstange an Stoßstange. Man hat den Jettas, Golfs und Passats die Nummernschilder abgenommen, ihnen Zettel in die Windschutzscheiben gehängt, einige sind bestimmt noch keine 1000 Meilen gelaufen, ihr Lack glänzt wie fabrikneu. Und doch harren diese Wagen einer ungewissen Zukunft, verstauben auf einem Acker direkt neben dem Pikes Peak International Raceway, einer Rennstrecke knapp 30 Kilometer südlich von Colorado Springs. Es sind, wenn man so will: Illegale. Unter ihrer Haube steckt Verbotenes.

In Sichtweite der Interstate 25, mit Blick auf die Rocky Mountains, legte Volkswagen eine gigantische Autohalde an, um die Folgen des Dieselskandals zu bewältigen. Auf dem Parkplatz bringt der Konzern einen Teil jener Fahrzeuge unter, die er zurückkaufen musste, es sind die Objekte des größten Autoskandals in der Geschichte - fernab von der Aufmerksamkeit. Die Großstadt Denver ist eineinhalb Autostunden entfernt.

Zur Erinnerung: VW hatte alleine in den USA 590 000 Dieselautos rechtswidrig mit einer Schummelsoftware ausgestattet, um Abgastests zu manipulieren. Der Konzern gestand seine Schuld ein und akzeptierte eine Strafe von 4,3 Milliarden US-Dollar. Am Freitag wurde auch der erste Verantwortliche dafür bestraft: Ein Gericht in Detroit verurteilte den VW-Ingenieur James Liang wegen Betrugs zu drei Jahren und vier Monaten Haft und einer Geldbuße von 200 000 Dollar.

Schon zu Jahresbeginn hatte sich sein Arbeitgeber mit US-Behörden darauf geeinigt, den Besitzern von gut 487 000 Fahrzeugen mit Zwei-Liter-Dieselmotoren ein Angebot für einen Rückkauf oder eine kostenlose Nachrüstung zu unterbreiten. Das wird den Autobauer bis zu zehn Milliarden Dollar kosten. Hinzu kommen bis zu 1,2 Milliarden, die der Konzern investieren muss, um die größeren Drei-Liter-Motoren nachzurüsten oder zurückzukaufen, die etwa im VW Touareg oder im Audi Q7 verbaut sind.

Volkswagen braucht Platz. Viel Platz

Eine gewaltige Aktion. Zeitweise beschäftigte die Volkswagen Group of America 1300 Mitarbeiter, um den Händlern bei der Bewältigung der Anfragen von Kunden zu helfen, die ihren dreckigen Diesel loswerden wollten. Einem Gerichtsbericht zufolge hat VW bis zum 15. Juni 2017 exakt 275 601 Zwei-Liter-Diesel zurückgekauft, die Leasingverträge von weiteren 10 027 Fahrzeugen beendet und Besitzern insgesamt 6,3 Milliarden Dollar ausgezahlt.

Die VW Golf, Beetle, Jetta und Passat sowie Audi A3 dürfen der US-Umweltbehörde EPA zufolge nicht mehr zugelassen oder exportiert werden - bis sie nachgerüstet wurden. Mittlerweile hat Volkswagen zwar Genehmigungen für Soft- und Hardware-Updates für fast alle betroffenen Zwei-Liter-Motoren; nur die Passats mit manuellem Schaltgetriebe aus den Jahren 2012 bis 2014 machen noch Probleme.

Die Nachrüstung so vieler Pkw aber braucht Zeit, und deshalb braucht Volkswagen Platz. Viel Platz.

Das Lager bei Colorado Springs ist nur "eines von mehreren in den Vereinigten Staaten"

Das erklärt das Fahrzeuglager in der Nähe von Colorado Springs. Es ist nur "eines von mehreren in den Vereinigten Staaten", erklärt eine VW-Sprecherin. Das Ziel: die Autos zwischenzulagern, bis sie weiterverkauft werden können. Sollten sie aus Altersgründen nicht mehr für eine Nachrüstung infrage kommen, würden sie "verantwortungsvoll recycelt", beteuert die Sprecherin. Wie viele dieser Standorte es gibt, wo sie liegen und wie viele Fahrzeuge dort lagern, will sie allerdings nicht verraten.

Autofans haben einige weitere Sammelplätze dokumentiert, auf die der Begriff Halde ganz gut passt. So hat VW offenbar einen Parkplatz im Hafen von Baltimore eingerichtet und einen auf einer stillgelegten Militärbasis in San Bernardino, Kalifornien. Das symbolträchtigste Lager befindet sich in Michigan, jenem Bundesstaat, in dem die drei großen amerikanischen Automobilhersteller Chrysler, General Motors und Ford ihren Hauptsitz haben. Die Autos stehen auf dem Parkplatz des Pontiac Silverdome, dem seinerzeit überdachten WM-Stadion von 1994. Dieses Drohnenvideo zeigt, wie es dort aussieht:

Umgerüstete Autos kommen wieder in den Handel

Den Sammelplatz in Colorado hat Volkswagen extra anlegen lassen; auf alten Google-Maps-Aufnahmen existiert er noch nicht. Wenn man ein bisschen misst und rechnet, kommt man auf eine Fläche von knapp 40 Hektar, es dürften mindestens 15 000 Autos darauf passen. Tausende Wagen stehen zur Zeit hier. Und doch es ist möglich, dass der Parkplatz sich nie ganz füllen wird, sofern der deutsche Autobauer geschickt agiert in den USA.

Volkswagen hat im Stillen damit begonnen, umgerüstete, also sauberere Dieselfahrzeuge wieder in den Handel zu bringen, sorgsam beäugt von den US-Umweltbehörden. Fred Emich etwa, der Geschäftsführer von Emich Volkswagen in Denver, hat 45 Gebrauchtwagen von dem Sammelplatz gekauft, über eine VW-interne Auktionsplattform. "Die Preise dort sind gut", sagt er. Und: "Es gibt eine ordentliche Nachfrage für diese Fahrzeuge." Trotz der Krise, trotz der milliardenschweren Strafzahlungen: Völlig out ist VW nicht in den USA. Auch die Zahl der verkauften Neuwagen zieht wieder deutlich an.

Auch in den USA gibt es loyale Dieselfahrer

Volkswagen muss 85 Prozent der betroffenen Zwei-Liter-Dieselfahrzeuge bis zum 30. Juni 2019 aus dem Verkehr ziehen oder kostenlos nachrüsten. Laut Gerichtsbericht war der Autokonzern bis zum 15. Juni 2017 bei gut sechs von zehn Wagen erfolgreich. Es gibt also noch einiges zu tun für die Wolfsburger, beziehungsweise könnte es noch teuer werden. Ein 2009er Jetta etwa ist bis zu 14 025 Dollar wert, ein 2015er Audi A3 Prestige bis zu 44 176 Dollar. Möchte ein Kunde seinen Wagen zurückgeben, muss Volkswagen ihm diese Preise zahlen, anders übrigens als im Rest der Welt: Dort zahlt Volkswagen nur in Einzelfällen - nach individuellen Gerichtsverfahren - Entschädigungen oder nimmt Fahrzeuge zurück.

Auch in den USA versucht Volkswagen natürlich, Kosten zu sparen, so weit möglich. Das heißt: die Fahrer von den noch verbliebenen Schummel-Dieselautos davon zu überzeugen, ihr Auto in die Werkstatt zu bringen zur Nachrüstung. Das kommt den Konzern billiger. Er muss neben Werkstatt- und Materialkosten noch Entschädigungen zahlen. Den Besitzern winken zwischen 5100 und 10 000 Dollar Cash.

Die meisten Kunden würden sich zwar Sorgen um einen Leistungsverlust oder einen zunehmenden Spritverbrauch ihrer Autos nach der Umrüstung machen, sagt VW-Händler Emich. Er sagt aber auch: "Kunden, die ihr Auto jetzt noch nicht verkauft haben, stehen der Dieseltechnologie sehr loyal gegenüber." Es sind die wahren Fans, in einem Land, in dem schon vor dem Skandal 97 von 100 Autos mit Benzin fuhren.

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