Abgasskandal:Riesen-Rückruf bei Daimler: Was Diesel-Fahrer wissen müssen

Mercedes beim TÜV

Der Mercedes-Stern, ein berühmtes Markenzeichen. Nun ruft Daimler mehr als drei Millionen Diesel-Mercedes' zurück.

(Foto: dpa)
  • Daimler ruft europaweit mehr als drei Millionen Dieselfahrzeuge in die Werkstätten.
  • Per Software-Update sollen die fünf bis sechs Jahre alten und nach den Abgasnormen Euro 5 und 6 eingestuften Pkw sauberer werden.
  • Im FAQ erfahren Daimler-Kunden, wie der Rückruf ablaufen soll, welche Autos betroffen sind und worauf die Besitzer achten müssen.

Von Thomas Harloff

Eine Woche ist es her, dass die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Daimler bekannt wurden. Die Behörden sind der Ansicht, dass Diesel von Mercedes mehr Stickoxide ausstoßen als erlaubt. Nun reagiert der Konzern mit einer großen Rückrufaktion für mehr als drei Millionen Dieselfahrzeuge. Außerdem haben Audi und BMW zugesagt, auf eigene Kosten einen Teil ihrer Euro-5-Diesel per Software-Update nachträglich sauberer zu machen. Dennoch drohen weiterhin Fahrverbote für ältere Dieselautos. Wir beantworten die drängendsten Fragen.

Welche Daimler-Modelle umfasst der Rückruf?

Er betrifft Diesel-Modelle der Marke Mercedes, die die Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 erfüllen und einem Sprecher zufolge in den vergangenen fünf bis sechs Jahren gebaut wurden. Konkreter wird Daimler bislang nicht. Dabei dürfte es sich vor allem um die von der Staatsanwaltschaft Stuttgart beanstandeten Autos handeln, die von Aggregaten der Motorenfamilien OM 642 und OM 651 angetrieben werden. Bei OM 642 handelt es sich um einen V6-Turbodiesel mit drei Litern Hubraum, OM 651 ist ein Vierzylinder-Turbodiesel mit 1,8 oder 2,1 Litern Hubraum.

Problematisch ist, dass beide Motorenfamilien über fast alle Mercedes-Baureihen gestreut wurden. Sie kommen also von der A- bis zur S-Klasse und auch im Sprinter zum Einsatz (eine detaillierte Übersicht finden Sie hier). Außerdem existieren die Motoren in unzähligen Varianten, unterscheiden sich zum Beispiel in den Leistungswerten und sind an verschiedene Getriebe gekoppelt. Daimler will sich aber anfangs auf die volumenstarken Versionen konzentrieren, wird also eher C- und E-Klasse-Modelle in die Werkstätten holen als die wenigen SLK-Exemplare mit Dieselmotor.

Was müssen die Fahrer eines Mercedes-Diesels beachten?

Sie müssen nicht von selbst tätig werden, der Hersteller kommt in den nächsten Wochen auf seine Kunden zu und schreibt sie an. Daraufhin können Mercedes-Fahrer einen Termin mit ihrer Vertragswerkstatt vereinbaren. Ein Besuch in einer freien Werkstatt ist nicht möglich. Im Rahmen eines etwa einstündigen Aufenthalts soll die Motorelektronik der Autos so umprogrammiert werden, dass die Dieseltriebwerke weniger Stickoxide ausstoßen. Für die Kunden ist die Aktion umsonst. Daimler beziffert seine eigenen Kosten auf etwa 220 Millionen Euro.

Bringt die Software-Nachrüstung wirklich etwas?

Experten sind skeptisch. "Ein Software-Update bringt gar nichts", sagt etwa Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Auf Nachfrage wollte sich ein Daimler-Sprecher nicht festlegen lassen, ob die Autos nach dem Software-Update nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch unter allen Bedingungen auf der Straße die Stickoxid-Grenzwerte einhalten.

Immerhin geht der Hersteller davon aus, dass das Software-Update keine Einschränkungen bei den Fahrleistungen oder einen höheren Kraftstoffverbrauch nach sich zieht. Bei einem bereits laufenden Rückruf mit Kompaktklasse-Modellen und dem V-Klasse-Van habe man gute Erfahrungen gemacht.

Wie verhalten sich die anderen Autohersteller?

Auch Audi und BMW wollen einen Teil ihrer älteren Dieselautos nachrüsten. Ein Software-Update soll bei mindestens 50 Prozent ihrer Euro-5-Diesel-Flotte die Stickoxid-Werte um ein "relevantes Niveau" senken. Sie erklärten sich auch bereit, die Kosten für diese Maßnahme zu übernehmen - allerdings nur, wenn alle anderen Hersteller mitziehen. Audi beziffert die Kosten der neuen Software auf etwa 50 Euro pro Fahrzeug, hinzu kämen ähnlich hohe Werkstattkosten.

Wie der Stand bei Fahrverboten ist und warum nicht umfangreicher nachgerüstet wird

Warum nur Software-Updates und keine tiefergreifenden Maßnahmen?

Experten sind sich einig, dass Stickoxide nur mit einer umfassenden Abgasnachbehandlung wirksam aus den Dieselabgasen herausgefiltert werden können. Die Technik existiert bereits und wird bei vielen neueren, nach Euro-6-Abgasnorm eingestuften Selbstzündern angewendet: SCR-Katalysatoren, die das Mittel "Adblue", eine Mischung aus Harnstoff und Wasser, in die Abgase spritzen.

Doch ein Einbau eines solchen Systems in einen Antriebsstrang, der nicht dafür ausgelegt wurde, ist sehr komplex. Es arbeitet zum Beispiel nur dann perfekt, wenn die Temperatur im System bei etwa 200 Grad liegt. Das gelingt einfacher, wenn die Abgasnachbehandlung nah am Motor erfolgt - in den meisten Autos, die nachgerüstet werden müssen, fehlt dafür aber der Platz. Außerdem wären die Kosten um ein Vielfaches höher als beim Software-Update. Fachleute gehen von 1500 bis 2000 Euro pro Auto aus.

Trotz aller Maßnahmen drohen weiterhin Fahrverbote für Dieselautos. Warum?

Sowohl die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg als auch die bayerische CSU-Staatsregierung wollen Diesel-Fahrverbote abwenden. Dass sie dennoch drohen, liegt daran, dass die Luft in Städten wie Stuttgart und München weiterhin sehr schlecht ist und die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide dort regelmäßig - an manchen Messstationen um ein Vielfaches - überschritten werden. Studien zeigen, dass ein Großteil der Stickoxidbelastung von Dieselfahrzeugen hervorgerufen wird. Von Umweltschutzorganisationen wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH) angestrengte Klagen setzen die Kommunen unter Druck, sodass immer mehr Bürgermeister laut über Fahrverbote für ältere Dieselautos in ihren Städten nachdenken.

Welche Fahrzeuge wären davon betroffen?

Alle Dieselautos, die nicht die aktuell gültige Euro-6b-Abgasnorm erfüllen. Die wurde im September 2015 für Neuwagen verpflichtend eingeführt. Seitdem muss jedes in der EU verkaufte Auto deren Grenzwerte einhalten. Das heißt aber auch: Ein im August 2015 zugelassenes Modell fährt eventuell noch mit einem Euro-5-Diesel. Diese machen derzeit etwa 40 Prozent des gesamten Dieselbestandes in Deutschland aus.

Die DUH geht sogar noch weiter und will alle Selbstzünder aus den Innenstädten entfernen. Ihre Argumentation: Auch moderne Diesel halten die Stickoxid-Vorgaben lediglich bei Prüfstandsmessungen ein, nicht aber im normalen Straßenbetrieb, wo sie oft ein Vielfaches der Grenzwerte emittieren. Deshalb würde es die Luft in den Städten nicht spürbar verbessern, wenn nur Euro-5-, nicht aber Euro-6-Diesel mit Fahrverboten belegt würden.

Falls die Fahrverbote kommen - wie würden sie umgesetzt?

Auf diese zentrale Frage fehlt bisher noch die Antwort. Es gibt bislang keinen rechtlichen Rahmen für die Kommunen, solche Fahrverbote zu verhängen. Aktuell befasst sich das Verwaltungsgericht Stuttgart mit dieser Klage der DUH. Das soll die Landesregierung zwingen, konsequenter gegen die Luftverschmutzung in Stuttgart vorzugehen. Ein wirksames Mittel ist der DUH zufolge ein generelles Diesel-Fahrverbot. Für eine deutschlandweite Regelung hilft nur das Warten auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, die für Herbst angekündigt ist.

Die Pläne in Stuttgart sind am weitesten gediehen. Wie sehen sie aus?

Für den Fall, dass die Autoindustrie zuvor nicht noch überzeugende Nachrüst-Konzepte vorlegt, könnte Stuttgart ein temporäres Fahrverbot für bestimmte Dieselautos einführen. Der Plan sieht vor, dass Selbstzünder, die maximal die Abgasnorm Euro 5 erfüllen, an Tagen Feinstaubalarm nicht mehr in die Stuttgarter Innenstadt fahren dürfen.

Wie das kontrolliert werden soll, weiß aber noch niemand. Es gibt dafür kein Instrument. Die blaue Plakette, mit denen unter anderem Dieselautos nach dem aktuellen Euro-6-Abgasstandard kenntlich gemacht werden sollen, gibt es vorerst nicht. Während sich Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dafür ausspricht, ist Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) strikt dagegen. Ein Problem, das - wenn überhaupt - erst in der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen wird.

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