Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Auffällige Abgase bei Opel und Renault

Weitet sich der Diesel-Skandal aus? Nach VW geraten zwei weitere Hersteller durch auffällige Emissionswerte immer stärker unter Druck.

Von Joachim Becker

Razzien, ein Rückruf und einbrechende Börsenkurse bei Renault: Vier Monate nach Bekanntwerden der Betrügereien bei VW ist kein Ende des Diesel-Abgasskandals in Sicht. Auch Opel steht wegen zu hoher Stickoxid-Emissionen seit Wochen in der Kritik. Statt sich nur mit Dementis und Gegendarstellungen gegen immer neue Vorwürfe zu wehren, haben sich die Rüsselsheimer nun für eine Vorwärtsverteidigung entschieden: "Für mich ist klar, dass die derzeitige Diesel-Diskussion eine Zäsur bedeutet", sagte Opel-Chef Karl-Thomas Neumann vor Kurzem und kündigte eine "freiwillige Serviceaktion für Kunden" an. Vom Sommer dieses Jahres an sollen 43 000 CDTi-Diesel (Zafira Tourer, Insignia und Cascada) in die Werkstätten zurückgerufen werden. "Wir glauben, dass wir kurzfristig in der Lage sind, die Wirksamkeit der Reduktion der Oxide der Stickstoffemissionen bei unseren Euro-6-Dieseln mit SCR-Technologie weiter zu verbessern", erklärt Neumann.

Der Opel-Chef spricht von einem "ersten Schritt in Richtung zukünftiger RDE-Anforderungen". Die Frage ist aber, ob es bei Opels Emissions-Offensive wirklich um die Zukunft geht - oder darum, Altlasten loszuwerden? Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert statt der angekündigten Serviceaktion einen amtlichen Rückruf des Opel Zafira. Die Typgenehmigung für den 1.6 CDTi solle wegen zu hoher Stickoxid-Werte vom Kraftfahrtbundesamt widerrufen werden.

Auffälliges Emissionsverhalten beim Euro-6-Modell

Bei Abgasmessungen im vergangenen Oktober hatte die Berner Fachhochschule ein auffälliges Emissionsverhalten des Euro-6-Modells festgestellt. Der Familien-Van überschritt den NOx-Grenzwert um den Faktor zwei bis drei, sobald er auf einem Vier-Rad-Rollenprüfstand getestet wurde. Erstaunlicherweise hielt derselbe Wagen das Limit aber problemlos ein, wenn (wie üblich) nur zwei Räder auf der Rolle standen.

Von expliziter Täuschung war in dem Berner Prüfbericht nicht die Rede. Das wäre angesichts der angespannten Lage rechtlich zu riskant. Doch Fragezeichen bleiben: "Das Verhalten der SCR-Anlage scheint vom Prüfstandmodus abhängig zu sein, da die NOx-Verläufe in beiden Prüfstands-Betriebsarten unterschiedlich sind", bemängeln die Gutachter der Berner Fachhochschule.

Prompt folgte Opels Erwiderung auf die entsprechende DUH-Pressemeldung: "Nochmals: Von GM entwickelte Software enthält keine Features, die feststellen, ob das Fahrzeug einem Emissionstest unterzogen wird. Wir werden Ihre öffentlichen Äußerungen hierzu beobachten und behalten uns entsprechende Schritte vor, sollten dabei unwahre oder rufschädigende Unterstellungen getroffen werden."

Inzwischen haben weitere Messungen diverser Fernsehsender in Deutschland (ARD-Monitor), Großbritannien (BBC) sowie aktuell des belgischen Fernsehens den Zafira weiter unter Druck gesetzt. Sie alle zeigen extrem hohe NOx-Emissionen im realen Fahrbetrieb beziehungsweise bei geringfügigen Veränderungen der Prüfsituation im Labor. Der flämische Rundfunk- und TV-Sender VRT berichtete am Montag dieser Woche von stark erhöhten Emissionswerten bei zwei parallel getesteten Zafira-Modellen.

Die beiden Familien-Vans stießen anfänglich mit 416 und 743 Milligramm wesentlich mehr Stickoxide (NOx) pro Kilometer aus, als der europäischen Normzyklus erlaubt (80 mg). Da es sich um gemischte Tests auf dem Prüfstand und im Straßenbetrieb handelte, müssen diese Grenzwertüberschreitungen noch nicht illegal sein. Denn die offiziellen Abgaswerte werden ausschließlich in einem normierten Prüfstandsverfahren erhoben. Auffallend sind allerdings die niedrigeren NOx-Werte beider Fahrzeuge nach einem Rückruf in die Werkstatt. Bei anschließenden Messungen lagen die Emissionen bis zu drei Mal niedriger, bei 223 mg und 199 mg.

Opel weist Anschuldigungen zurück

Der flämische Rundfunk- und TV-Sender hat ein Gespräch mit einem Opel-Service-Techniker aufgezeichnet, demzufolge 1600 Opel Zafira 1.6 CDTI ecoFLEX ohne Wissen der Kunden mit einer neuen Steuerungssoftware für die Abgasnachbehandlung ausgerüstet werden sollen. Opel weist die Anschuldigungen von VRT News scharf zurück: "Das genannte Service-Update 15-P-044 hat nichts mit einer Veränderung der Emissionswerte zu tun", heißt es aus Rüsselsheim, "es diente dazu, einen AdBlue-Controller zu ersetzen - wegen einer inkorrekten Fehlermeldung." Wenn niemand an der Adblue-Dosierung gedreht hat - wie lassen sich dann die unterschiedlichen Emissionswerte erklären, die das VRT-Team mit Unterstützung der britischen Experten von Emissions Analytics gemessen hat?

Die Marke mit dem Blitz hatte den Zafira 1.6 CDTI ecoFLEX schon bei seiner Vorstellung im Frühjahr 2013 als "saubersten Opel-Diesel aller Zeiten" gefeiert: "Der überaus genügsame Kraftstoffbedarf und die äußerst niedrigen Emissionswerte - vergleichbar dem Niveau eines Benzinmotors - sind durch das hochmoderne Opel-"BlueInjection"-SCR-System (selektive katalytische Reduktion) möglich." Tatsächlich war der AdBlue-Tank im Zafira mit knapp acht Litern wesentlich kleiner als bei allen Wettbewerbern. Insofern lag der Verdacht nahe, dass Opel den Harnstoff im Zafira extrem sparsam dosiert. "AdBlue ist mittlerweile an fast jeder Tankstelle erhältlich und kann auch unabhängig von Serviceintervallen so wie Benzin jederzeit einfach nachgefüllt werden", erklärt nun ein Opel-Sprecher.

Offensichtlich ist man jetzt bereit, die AdBlue-Dosierung per Software-Update zu erhöhen und den Kunden ein häufigeres Nachtanken des Harnstoffs zuzumuten. "Die bereits ausgelieferten rund 43 000 Fahrzeuge erhalten eine neue Software-Kalibrierung, sobald diese verfügbar ist", teilt Opel mit. Durch ihre "freiwillige Serviceaktion für Kunden" wollen die Rüsselsheimer vermutlich einem Eingreifen der Aufsichtsbehörden zuvorkommen.

Bei Renault hatte genau das in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen gesorgt: Eine Einsatzgruppe des französischen Wirtschaftsministeriums untersucht seit dem 14. Januar verschiedene Renault-Unternehmens- und -Entwicklungsstandorte wie das Technikzentrum Lardy sowie das Entwicklungszentrum "Technocentre" in Guyancourt. Auslöser waren extrem schlechte Abgaswerte bei den behördlichen Nachprüfungen in Folge des VW-Skandals.

Renault Espace mit erhöhten Stickoxidwerten

Renault muss nun einräumen, dass seine Diesel-Fahrzeuge die Euro-6-Norm nur unter Idealbedingungen einhalten. Die Fachhochschule Bern hatte bereits im November des vergangenen Jahres 13- bis 25-mal höhere Stickoxide beim Espace gemessen als zulässig. "Wir sind natürlich nicht der einzige Hersteller, der dieses Thema hat", betonte Renault-Verkaufschef Thierry Koskas am Montag. Im ADAC-Ecotest waren der Renault Espace und Kadjar wie auch der Opel Mokka und Meriva mit hohen NOx-Werten aufgefallen.

Der Verdacht liegt nahe, dass beide Volumenhersteller so wenig wie möglich investiert haben, um den Abgastest zu bestehen. Für relativ schwere Vans und Crossover-Modelle mit kleinen Motoren ist es besonders schwer, das Euro-6-Niveau zu erreichen: Die Downsizing-Motoren laufen unter höherer Last, werden heißer und stoßen relativ viel Stickoxide aus. Mangelnde Kontrollen der Behörden haben es den Autoherstellern in Europa leicht gemacht, trotzdem mit dem Euro-6-Etikett umweltfreundlich zu wirken.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2016/harl
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