Abgasaffäre:Die Regierung blieb untätig, bis der VW-Skandal kam

Umweltexperte Axel Friedrich mit einem PEMS-Messgerät, das an einem VW Golf Variant installiert ist.

Mit einem PEMS-Messgerät lässt sich der tatsächliche Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs ermitteln.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Die Bundesregierung hätte bereits im Frühjahr 2010 Anlass gehabt, portable Messegeräte anzuschaffen, um Abgaswerte auf der Straße überprüfen zu können.
  • Die Niederlande forderte die EU-Kommission damals dazu auf, durch deren Einsatz sicherzustellen, dass der Stickoxid-Ausstoß von Lkw "wirksam limitiert" werde.
  • Ein Vermerk des Umweltministeriums zeigt, dass die Regierung den Konflikt mit der Autoindustrie scheute.

Von Klaus Ott, Berlin/München

PEMS, das ist keine Zauberformel, sondern nur ein Messgerät. Es hätte aber eine Art Zauberformel sein können, wenn die Bundesregierung frühzeitig solche Geräte angeschafft hätte. Hat sie aber nicht. Weshalb es erst der Abgasaffäre bei Volkswagen bedurfte, damit die zuständigen Ministerien und Behörden jetzt derartige Geräte kaufen und ermitteln, wie viele Schadstoffe tatsächlich und nicht nur unter geschönten Bedingungen im Labor in die Luft geblasen werden.

PEMS steht für Portable Emission Measurement System, für portable Abgasmesstechnik im Straßenverkehr. Mit solchen Geräten lässt sich feststellen, welche Stickoxide Autos und Lastwagen wirklich ausstoßen. Stickoxide schaden Mensch und Natur. Vor allem in den Städten, wo die meisten Leute wohnen, ist die Belastung teils sehr hoch.

Anlass waren zu hohe Stickoxid-Emissionen von Lkw

Die Bundesregierung hätte bereits vor Jahren Anlass gehabt, gründlich nach den Schadstoffwerten zu forschen. Im Frühling 2010 kamen über die Europäische Union (EU) aufschlussreiche Forschungsergebnisse aus den Niederlanden in Berlin an. Die Stickoxid-Emissionen bei Lkw seien "deutlich höher", als man das bei der Festlegung neuer Grenzwerte nach der Euro-V-Norm erwartet habe. Die Niederlande forderte die EU-Kommission in Brüssel dazu auf, "durch den Einsatz portabler Abgasmesstechnik (PEMS) (. . .) sicherzustellen", dass der Stickoxid-Ausstoß von Lkw "wirksam limitiert" werde.

So steht es in einem Vermerk des Bundesumweltministeriums vom 5. März 2010, der deutlich macht: Die Regierung hatte kein Interesse daran, sich mit den Autokonzernen anzulegen, und nahm lieber eine hohe Luftverschmutzung in Kauf. Auch durch Pkw. Dass die ebenfalls nicht sauber sind, ist seit Jahren durch Forschungen dokumentiert.

Zahlreiche Passagen wurden gelöscht

Der Vermerk des Umweltressorts, der Lkw betraf, war "abgestimmt" mit den Ministerien für Wirtschaft und für Verkehr und diente der Vorbereitung eines Umwelttreffens der EU am 15. März 2010. Dem Vermerk zufolge war in der Bundesregierung erst erwogen worden, dass Deutschland die EU-Kommission bitten solle, eine kurzfristige Lösung anzustreben. Dieser Passus wurde allerdings entschärft und umgewandelt in: Die Kommission solle "mögliche Lösungswege" erarbeiten.

So zieht sich das durch den ganzen Vermerk. Zahlreiche Passagen wurden, wie es wörtlich heißt, "gelöscht". Das betraf vor allem Aussagen, die einen Konflikt mit der Autoindustrie zur Folge gehabt hätten. Anfangs wollte die Bundesregierung zugeben, dass die niederländischen Messergebnisse "im Grundsatz und für bestimmte Situationen (Stadt)" nachvollziehbar sind. Daraus wurde dann: "Die Erkenntnisse aus dem NL-Forschungsvorhaben werden zur Kenntnis genommen." NL steht für Niederlande. Ein paar Zeilen weiter steht in dem Vermerk, die Folgen der Stickoxid-Belastung für die "Luftqualität" seien ohne PEMS-Geräte nicht absehbar. Gestrichen wurde der Zusatz, diese Folgen wären "in jedem Fall (. . .) jedoch nicht positiv".

Die Linie in Berlin: Kein Konflikt mit der Autoindustrie

Die Bundesregierung wollte damals, im März 2010, zwar den Vorschlag der EU-Kommission unterstützen, einen "zweistufigen PEMS-Ansatz einzuführen". Gelöscht wurde aber die Aussage, diese Messungen sollten zu niedrigeren Stickoxid-Emissionen "im Realbetrieb" auf der Straße führen. Kein Konflikt mit der Autoindustrie, das war die Linie in Berlin. Dass die Konzerne "starken Widerstand" leisteten, geht aus dem Vermerk ebenfalls hervor. In dem steht auch, dass sich die Bundesregierung in der EU für eine "kurzfristige Erörterung des Sachverhalts auch mit der Autoindustrie einsetzen" wollte.

So ging das bis zur VW-Affäre. Erst in den vergangenen Monaten hat das dem Verkehrsministerium unterstellte Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die wirkliche Stickoxid-Belastung ermittelt, mit Hilfe von Prüfdiensten, die über die entsprechenden Geräte verfügen. Erst jetzt wird das KBA "eigene Kapazitäten für Messungen aufbauen", wie das Ministerium auf Nachfrage mitteilt.

Ein PEMS-Gerät kostet 50 000 bis 100 000 Euro

PEMS-Systeme "befinden sich zur Zeit in der Beschaffung". Diese Technologie sei erst "relativ neu am Markt" verfügbar. Bisher habe es für den Einsatz von PEMS "keine standardisierten Verfahren auf europäischer Ebene" gegeben, so das Ministerium. Das habe sich erst durch die neuen EU-Vorschriften geändert, denen zufolge die Schadstoffbelastung künftig auch auf der Straße und nicht mehr nur im Labor gemessen werden muss.

Der Deutschen Umwelthilfe zufolge kostet ein PEMS-Gerät 50 000 bis 100 000 Euro. Wenig Geld für wahre Werte.

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