Süddeutsche Zeitung

Abgase:Britische Prüfer "schockiert" über Abgas-Messungen

  • Schockierende Diesel-Tests aus Großbritannien: Die Grenzwerte für Stickoxide werden zum Teil um ein Vielfaches überschritten.
  • Gesetzesverstöße sind das aber nicht: Für die Behörden zählen bislang die künstlichen, geschönten Labor-Werte.

Von Max Hägler und Klaus Ott

"Wir waren alle schockiert." Mit diesen Worten über die Abgas-Affäre bei Volkswagen präsentierte der britische Verkehrsminister Robert Goodwill jetzt Untersuchungsergebnisse, die nicht viel weniger schockierend ausfallen. Zahlreiche Dieselfahrzeuge stoßen weit mehr Stickoxide aus, als das eigentlich erlaubt ist. Die britischen Behörden haben die Schadstoffwerte von 37 Automodellen aller führenden Hersteller geprüft (Hier geht es zum offiziellen Bericht).

Das Ergebnis: Die Grenzwerte für Stickoxide werden im Labor weitgehend eingehalten, aber draußen auf der Straße zum Teil um ein Vielfaches überschritten, nicht nur bei VW. Die Autokonzerne, auf die das zutrifft, verstoßen nach Ansicht des Verkehrsministeriums in London nicht gegen die Gesetze. Juristisch ausschlaggebend seien nämlich, so die offizielle Logik, die Ergebnisse des Labortests. Das aber soll sich ändern. Großbritannien will von 2017 an verbindliche Straßentests einführen.

Die Abweichungen seien "überraschend" gewesen

Besonders auffällig war ein Honda CRV. Das gilt auch für den Vauxhall Insignia, der weitgehend dem in Deutschland gebauten Opel Insigna entspricht. Der Volvo V40 überschritt die Grenzwerte beim Fahren auf einer standardisierten Testrunde ("Track NEDC hot") teils um das Sechsfache. Die Autos, deren Motoren auf dem Papier die scharfe Euro-6-Zulassung erfüllen, schlugen sich indes ganz unterschiedlich und manche sehr ordentlich: Ein getesteter Audi A3 blieb ebenso wie ein BMW 320d und ein neuer Golf bei den Tests innerhalb der erlaubten Grenzwerte. Am schlechtesten schnitt hier ein Mercedes A 180 ab, der auf der Straße mehr als zehn Mal so viel Stickoxid auspustete wie auf dem Labor-Prüfstand.

Die Abweichungen seien "überraschend" gewesen, heißt es in dem Prüfbericht, gerade bei niedrigen Temperaturen seien die Stickoxid-Werte beim Fahren auf der Straße in die Höhe geschnellt. Die Hersteller hätten - man kennt das aus Deutschland - dann stets argumentiert, dass niedrige Temperaturen den Abgasreinigungs-Systemen und dem Motor schaden würden. Die Forderung der Briten nun: Die EU-Regularien seien zu unklar, müssten nachgebessert werden. Die Europäische Union müsse sich bei den Vorgaben künftig an den USA orientieren.

Die Prüfer testeten Autos von Mietwagen-Anbietern

Wenige Wochen nach Beginn der VW-Affäre im September 2015 hatten die Briten die Untersuchung unter Leitung von Ricardo Martinez-Botas gestartet. Martinez-Botas ist ein Abgasexperte, der am Imperial College in London forscht und lehrt. Sein Vertrauen in die Industrie scheint dabei begrenzt zu sein: Um wirklich unabhängig testen zu können, ließen sich die Briten keine Fahrzeuge von den Herstellern selbst stellen, sondern wählten Autos von Mietwagen-Anbietern. Andernfalls hätte es ja "Modifikationen" durch die Hersteller vor den Tests geben können, so die Befürchtung.

Die Tests mit einem Škoda Oktavia hätten dabei gezeigt "wie effektiv" die illegale Prüfstands-Erkennung des Volkswagen-Konzerns funktioniere. So eine Software hätten sie bei anderen Herstellern nicht gefunden, erklärte Minister Goodwill. Allerdings: Es sei deutlich geworden, dass sich bei vielen, aber nicht allen, getesteten Autos die Ergebnisse zwischen den Laborprüfungen und den Abgastests beim echten Fahren massiv unterscheiden: "Es ist offensichtlich, dass hier noch viel zu tun ist", um die Stickoxide-Emissionen in den Griff zu bekommen, die eine ernste Gefahr für die Gesundheit darstellten.

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