Abgas-Skandal:Volkswagen im Fokus der EU

Volkswagen

Das VW-Logo und die Auslieferungstürme der Autostadt - wie geht es mit Volkswagen weiter?

(Foto: dpa)
  • Sogenannte "Defeat Devices", also Abschalteinrichtungen, wie Volkswagen sie benutzt hat, sind in der EU verboten. Die Tricks, wie Hersteller Abgaswerte drücken, waren allerdings schon vorher bekannt.
  • Jetzt müssen nationale Behörden den Fall VW untersuchen.
  • Bereits seit acht Jahren arbeitet die EU-Kommission an neuen Abgastests für Diesel. 2017 sollen sie verpflichtend werden.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Man kann sich die Sache mit VW einfach machen und auf eine Verordnung aus dem Jahr 2007 verweisen. Darin steht, dass sogenannte "Defeat Devices" ("Abschalteinrichtungen") in der EU verboten sind. Aber so einfach ist es nicht. Der Fall Volkswagen hat es offenbart: Die Wolfsburger manipulierten die Abgaswerte ihrer Dieselfahrzeuge mithilfe dieser Geräte. Insgesamt sollen elf Millionen Autos betroffen sein. Europaweit laufen jetzt Untersuchungen, auch in Brüssel will die EU-Kommission wissen, wie es dazu kommen konnte. Die Behörde spricht von "null Toleranz", lückenloser Aufklärung und davon, dass man der Sache auf den Grund gehen müsse. Doch was wusste man eigentlich in Brüssel? Klar ist: Der Europäischen Kommission waren die Tricks, wie Hersteller Abgaswerte drücken können, schon vor Auffliegen des VW-Skandals bewusst.

In einer Studie des Joint Research Centres des Instituts für Energie und Transport (IET) der EU-Kommission aus dem Jahr 2013 haben die Autoren auf genau dieses Problem hingewiesen. Man könnte auch sagen: auf dieses offene Geheimnis. Anscheinend war es den Wissenschaftlern aber sehr wichtig, darauf aufmerksam zu machen, denn im Untersuchungsbericht haben sie ihre Erkenntnisse extra in einem Kasten eingerahmt. Auf fast einer ganzen Seite setzen sie sich mit dem Phänomen der "Defeat Devices" auseinander.

Eine Gebrauchsanleitung für Manipulation

Wie es für Wissenschaftler üblich ist, definieren sie erst einmal, was das überhaupt ist: "Sensoren und elektronische Komponenten in Fahrzeugen sind dazu fähig, den Beginn von Labor-Emissionstests zu ,erfassen' (z. B. auf Grund von Beschleunigungssensoren oder nicht gefahrenen / sich nicht drehenden Rädern). Einige Fahrzeugfunktionen könnten dann nur im Labor im Betrieb sein, wenn ein vordefinierter Testmodus aktiviert sei. Das Ganze liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für Ingenieure, die mithilfe einer Software Labortests mit ihren Fahrzeugen manipulieren wollen.

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass diese Abschalteinrichtungen seit 2007 verboten sind. Mit einer Ausnahme: Nur in Fällen, in denen es nötig ist, den Motor vor einem Schaden zu schützen, sind sie erlaubt. Das lasse, so die Wissenschaftler, allerdings "Raum für Interpretation" - eben jenen Raum, "um Emissionsleistungen von Fahrzeugen anzupassen". Anpassen, so kann man es natürlich formulieren. Treffender wäre es zu sagen: So können Abgaswerte von Autos manipuliert werden.

Einheitliche Regeln für Rückrufaktionen

Es besteht also kein Zweifel, dass die EU-Kommission bereits vor zwei Jahren wusste, wie dreist Autobauer die Verbrauchswerte ihrer Fahrzeuge verschleiern können. Auf die Frage, ob die Kommission die Bedenken der Wissenschaftler an die nationalen Behörden in den Mitgliedsstaaten weitergegeben hat, heißt es: Das Ziel der Studie sei es nicht gewesen, die Abschalteinrichtungen zu entdecken, dafür hätte man die Motorenmechanik genauer analysieren müssen, was aber bei der Studie nicht der Fall gewesen sei. Außerdem sei die Umsetzung der Emissionsverordnung Aufgabe der Mitgliedsstaaten, die Kommission setze lediglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und in der Tat liegt es jetzt an den nationalen Behörden, den Fall Volkswagen zu untersuchen.

Die EU-Kommission will bis Jahresende Reformvorschläge für die Genehmigung neuer Pkw-Modelle vorlegen. Auch die Regeln für Rückrufaktionen sollten vereinheitlicht werden, sagt eine Kommissionssprecherin. "Der Fokus liegt darauf, das Rückrufsystem sowie den Informationsaustausch zwischen Zulassungsstellen zu klären und zu stärken." Zurzeit können sich Autohersteller aussuchen, in welchem Land der EU sie ihre neuen Modelle genehmigen lassen, um die Zulassung für die gesamte Union zu erhalten.

Die Autos sollen auf der Straße getestet werden

Außerdem soll es neue Tests zur Messung des Schadstoffausstoßes bei Dieselautos geben. Bereits seit acht Jahren arbeitet die EU-Kommission daran. Von 2016 an sollen die bislang gängigen Laboruntersuchungen durch sogenannte "Real Driving Emission"-Tests (RDE) ergänzt werden. Das Auto fährt dabei mit einem Messgerät auf der Straße, das den Schadstoffausstoß misst. Nach einer Beobachtungsphase sollen die RDE-Tests dann ab Herbst 2017 verpflichtend werden. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, hatte bereits am Wochenende im Gespräch mit der SZ eine mögliche Verschärfung der Vorschriften ins Spiel gebracht - wenn dies nötig erscheine. Den Plänen der Kommission müssen ohnehin erst noch alle EU-Staaten zustimmen. Und wer weiß, vielleicht decken sich die Verbrauchswerte-Angaben der Hersteller dann wieder mit den Erfahrungen der Autobesitzer.

Eines kann man der EU-Kommission in diesen Tagen nicht vorwerfen: dass sie sich nicht kümmert. Im Gegenteil: Die Behörde bemüht sich darum, dass das Thema VW auf möglichst allen Ebenen geprüft wird. Auf Wunsch der Kommission ist der Diesel-Skandal auch Thema des EU-Wettbewerbsfähigkeitsrats, der sich an diesem Donnerstag und Freitag in Luxemburg trifft. Beim Mittagessen soll es dann um Volkswagen gehen, doch worum genau, weiß noch niemand. Es sei viel zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen, heißt es in Brüssel.

Eines immerhin scheint nun schneller zu kommen als bislang vermutet. Bereits in einer Studie des Joint Research Centre der EU-Kommission aus dem Jahr 2011 steht: "Es scheint effektiver, Schadstofftests unter normalen Fahrbedingungen durchzuführen." Seit 2007 arbeiten sie in Brüssel daran, bislang wurde es immer aufgeschoben - es gab wohl Konzerne und EU-Länder, die etwas dagegen hatten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: