60 Jahre Trabant:Meine erste Autoliebe, trotz Rost und Pannen

60 Jahre Trabant: SZ-Autor Thomas Harloff (in jungen Jahren) und der Trabant 601: Sie haben viel Zeit miteinander verbracht. Das Foto zeigt jedoch nicht das Originalauto.

SZ-Autor Thomas Harloff (in jungen Jahren) und der Trabant 601: Sie haben viel Zeit miteinander verbracht. Das Foto zeigt jedoch nicht das Originalauto.

(Foto: dpa; privat; Collage SZ)

Vor 60 Jahren wurde der erste Trabant produziert. Wie der Volkswagen der DDR das Leben unseres Autors prägte.

Von Thomas Harloff

Ich kann mich noch gut an den Weg von Schwarzenberg nach Techentin erinnern. Etwa 450 Kilometer lang ist die Strecke vom Erzgebirge bis ins Herz Mecklenburgs. Eine Distanz, die heute mit dem Auto souverän in viereinhalb bis fünf Stunden zu bewältigen ist. Bei ressourcenfeindlicher Fahrweise vielleicht sogar schneller. In den mittleren Achtzigerjahren, als ich mit meinen Eltern zu meinen Großeltern in den Urlaub fuhr, hat man für diese Strecke noch gut sieben Stunden gebraucht. Und daran waren nicht nur die schlecht ausgebauten Autobahnen schuld.

Nein, der Hauptgrund war unser Auto: Ein Trabant 601, Baujahr 1965, den meine Eltern von meinem Opa übernommen hatten. 23 PS stark und gerade mal 100 km/h schnell. Die vorletzte Generation jenes Autos, das nicht nur symbolhaft für das Leben in der DDR steht, sondern auch für deren Niedergang. Ein Auto, das am 7. November 1957 zum ersten Mal im Zwickauer Sachsenring-Werk vom Band rollte. Vor genau 60 Jahren ging sie los, die Geschichte des tuckernden und stinkenden Zweitürers und -takters, der eine ganze Nation mobilisierte. Und mit dem aufgrund seiner enormen Verbreitung fast jeder, der eine Zeitlang Bürger der DDR war, Erinnerungen und Geschichten verbindet. So auch ich.

Heute wäre eine solche Fahrt von Schwarzenberg nach Techentin, so wie sie seinerzeit ablief, eine Qual für mich. Sieben Stunden am Stück in einem nicht besonders komfortabel gefederten Kleinwagen - es gibt wirklich Angenehmeres. Damals habe ich es geliebt. Vorher war ich so aufgeregt, dass ich kaum schlafen konnte. Wir fuhren im Morgengrauen los, um noch vor der Dunkelheit anzukommen. Schließlich musste man beim Trabi mit technischen Zwischenfällen rechnen. Erst recht bei einem betagten Exemplar, wie wir es hatten.

Mangelnde Zuverlässigkeit war nie sein größtes Problem, aber durchaus ein Thema. Immerhin konnten selbst handwerklich minderbegabte Menschen vieles selbst reparieren. Die Ersatzteilversorgung funktionierte einigermaßen, wenn auch in den größeren Städten deutlich besser als bei uns in der Provinz. Kein Wunder, dass der Tauschhandel mit Trabiteilen blühte. Auch mein Vater hortete so einiges. Einmal kaufte er für 700 Mark einen kompletten gebrauchten 26-PS-Motor. Beim Originaltriebwerk ging auf einer Urlaubsfahrt die Kurbelwelle kaputt - Motorschaden. Auf einer anderen Tour riss der Keilriemen. Gut, dass ein neuer im Kofferraum lag. Die vielzitierte Feinstrumpfhose hätte sicher für ein paar Kilometer funktioniert, aber mehr als eine Notlösung wäre das nicht gewesen.

Unter der Karosserie blühte der Rost

Größere Sorgen als die Technik machte der Rost - obwohl der Trabant aufgrund seines aus Baumwolle und Phenolharz gemischten Karosseriewerkstoffes ja auch "Pappe" genannt wurde. Aber unter dem Duroplast-Material versteckten sich zahlreiche Metallteile, die gerne und schnell rosteten. Zum Beispiel der Rahmen, das mit der Karosse beplankte Stahlblechgerippe, der Unterboden oder die Schweller. Immer wieder war ein Schweißgerät nötig, um vermoderte Teile gegen Ersatz auszutauschen.

Aber wenn er fuhr, dann hielt ihn nichts auf, jedenfalls in meiner Erinnerung. Mit einigen Käse- und Wurststullen, reichlich Kaffee in der Thermoskanne (für meine Eltern) sowie Brause (für mich) und - zumindest aus heutiger Sicht - einer beträchtlichen Portion Wagemut ging es los. Ich nahm sofort meinen Stammplatz ein: mittig im Fond stehend, mit den Armen auf den Lehnen der Vordersitze aufgestützt.

Schon als Neuerscheinung veraltet

Mir war nicht klar, dass das eine gefährliche Position war. Meinen Eltern schon, aber was sollten sie machen? Ich bestand auf meinen erhabenen Ausblick, wollte sehen, was sonst auf der Straße so los ist, ob uns nicht vielleicht mal ein Westauto überholt. Einwände meiner Eltern halfen nichts, ich setzte mich einfach nicht hin. Wer weiß, ob es überhaupt etwas genützt hätte, schließlich gab es im Fond keine Sicherheitsgurte. Einen Unfall im Trabi mit seiner Duroplast-Karosserie wollte man sowieso nicht erleben, egal in welcher Haltung. Also ließen sie mich stehen, immer verbunden mit der leisen, aber meist unerfüllten Hoffnung, dass ich bald müde würde.

Was ich damals nicht wusste: Als er frisch auf dem Markt war, wurde der Trabi noch ambitioniert weiterentwickelt, im Gegensatz zu unserer Generation. Mehrfach gab es das, was man heute Facelift nennt. Schon ein Jahr nach dem offiziellen Marktstart erstarkte der Motor von 18 auf 20 PS. Der 500er bekam bald ein neues Getriebe und ein moderneres Fahrwerk, einige optische Details wurden geändert. Obwohl die Ingenieure im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles unternahmen, um den Trabi zu modernisieren, war er zum Generationenwechsel 1964 dennoch veraltet. Deshalb sah der 601 zwar anders aus als der Vorgänger, die Technik ähnelte sich jedoch sehr. Viele Details waren gar identisch.

Schöner als die anderen Trabis

Zum Beispiel der Motor: Genau in der Zeit, in der in der BRD das letzte Auto mit Zweitaktmotor aus dem Verkaufsraum ins Museum geschoben wurde, brachte der VEB Sachsenring Zwickau den neuen Trabant mit ebenjener weder sparsamen noch abgasarmen Antriebstechnik auf den Markt. Doch der Zweizylinder blieb weitgehend so, wie er war: 1968 erreichte er seine bis 1990 gültige Leistung von 26 PS. Bis auf eine Änderung des Mischungsverhältnisses von Benzin und Öl blieben Modernisierungen im Maschinenraum aus. Zur Einordnung: Als der Trabi eingestellt wurde, leistete der schwächste Golf 55 und der stärkste 210 PS. Katalysatoren hatten sich längst durchgesetzt, ebenso moderne Einspritzanlagen und Flüssigkeitskühlung. Der Vergasermotor des Trabis wurde noch immer mit Luft gekühlt und blies seinen blau schimmernden Abgasdunst völlig ungefiltert in die Umwelt.

Wenn ich mich so umblickte während der Fahrt, dann fiel mir auf, dass unser Trabi schöner war als die meisten anderen. Er war nicht so langweilig unifarben, sondern hatte eine weiße Karosserie mit strahlend blauem Dach. Die oft zweifarbige Lackierung der ersten Generationen, für die sich im Laufe der Jahre aufgrund ihres Hubraums von 500 Kubikzentimetern die Modellbezeichnung Trabant 500 durchsetzte, fand ich auch schön. Dafür gefiel mir ihre Form nicht. Die ersten Trabis waren viel kleiner als unserer, fast 20 Zentimeter, und so altmodisch rund. Unser 601er sah moderner aus, hochwertiger. Ich mochte unser Auto, auch wenn viele meiner Freunde mit ihren Wartburgs, Škodas oder Ladas in prestigeträchtigeren Modellen durch das Erzgebirge chauffiert wurden.

Die Szene ist aktiv - nicht nur in Deutschland

Vielen geht es heute wie mir damals. Die Tradition lebt fort, allerdings mithilfe des Internets. Es gibt inzwischen einige Shops, deren Betreiber gut von Trabi-Ersatzteilen leben. Und zwar nicht nur von deren Verkauf, sondern auch vom Überholen alter oder vom Fertigen neuer Teile. Der Bedarf ist da, schließlich zählt das Kraftfahrt-Bundesamt derzeit noch fast 35 000 zugelassene Trabis in Deutschland. Schätzungsweise stehen in Scheunen, Werkstätten und Garagen zwei- bis dreimal so viele und warten auf ihre Restauration oder dienen als Teilespender. Die Szene ist weiterhin aktiv - nicht nur in Deutschland und Europa, sondern sogar in Afrika, Australien und den USA.

Meine Eltern gehören ihr nicht an. Wie viele DDR-Bürger waren sie zur Wendezeit froh, als sie den Trabi gegen ein - im Vergleich - bahnbrechend modernes Auto tauschen konnten. Und dass jenes Exemplar, das sie mit meiner Geburt bestellt hatten (die durchschnittliche Lieferzeit betrug zehn bis zwölf Jahre), nie geliefert wurde. Unseren Trabant 601 ersetzte ein Audi 80, Baujahr 1980. Der hatte zwar ebenfalls Rostprobleme, aber dafür einen Viertaktmotor mit 75 PS und intakter Kurbelwelle, einen stabilen Keilriemen - und Rücksitze mit Sicherheitsgurten.

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