60 Jahre BMW Isetta:Kultmobil mit Kühlschranktür

Die BMW Isetta.

Roaring Fifties: Die BMW Isetta als Mode-Accessoire. Leider sind die Kleider- und Lackfarben nicht überliefert.

(Foto: BMW Group)

1955 steht BMW kurz vor dem Ruin. Weil das Geld für eigene Neuentwicklungen fehlt, setzen die Münchner auf den Nachbau eines eiförmigen Dreirads aus Italien - mit Erfolg. Die Geschichte eines Rettungswagens.

Von Christof Vieweg

Hauptsache ein Dach über den Rädern. So denken Mitte der 1950er-Jahre viele Menschen. Nach der entbehrungsreichen Nachkriegszeit mit Fahrrad, Moped oder Motorrad haben Kleinstwagen und Kabinenroller Konjunktur. Sie heißen Goggomobil, Messerschmitt oder Heinkel: Billigautos mit einfacher Technik, die man auch mit dem Motorrad-Führerschein fahren darf.

BMW lebt in jener Zeit fast vollständig vom Motorradgeschäft, das nun zu bröckeln beginnt. Zwar produziert man seit 1952 auch Autos, doch das sind Ladenhüter. Sowohl die schwere V8-Limousine vom Typ 501 ("Barock-Engel") als auch das elegante 503 Coupé und der sportliche 507 Roadster passen nicht in die Zeit: Ein Fabrikarbeiter verdiente 1952 durchschnittlich 325 Mark im Monat. Der Typ 501 kostete über 15 000 Mark. Trotz des hohen Preises ließ er sich nicht kostendeckend herstellen. Die beiden folgenden Modelle 503 und 507 waren doppelt so teuer - und kamen erst recht nicht auf Stückzahlen.

Kurzarbeit, Entlassungen, der drohende Ruin

Geradezu dramatisch wird die Lage aber, als das Interesse der Kunden an Motorrädern nachlässt. Zunächst spricht man im Geschäftsbericht 1954 nur von einer "rückläufigen Tendenz", doch schon ein Jahr später bricht der Absatz um über 20 Prozent ein. Die Belegschaft muss kurzarbeiten, viele Mitarbeiter werden entlassen. BMW steuert in den Ruin. "Um das Jahr 1954 wurde klar, dass BMW ohne ein gut verkäufliches und in der Herstellung preiswertes Auto nicht überleben werde", beschreibt die Firmenchronik die prekäre Lage des einst so renommierten Autoherstellers. Erschwerend kommt hinzu, dass die Firmenkasse leer ist: Es gibt kein Geld, um die Neuentwicklung eines solchen Wagens zu finanzieren. Was tun?

Eine Reise nach Italien bringt die Lösung des Problems. Auf dem Autosalon in Turin entdecken BMW-Leute das Gefährt der Mailänder Firma Iso Rivolta: Ein sogenanntes Motocoupé mit drei Rädern, zwei Sitzplätzen und großer Fronttür, die eher an einen Kühlschrank als an ein Auto erinnert. Tatsächlich hatte Fimenchef Renzo Rivolta bis Anfang der 1950er-Jahre Kühlschränke hergestellt und offenbar die Idee für den Fronteinstieg in seinen eiförmigen Kleinstwagen übernommen.

Italiener mit bayerischen Zutaten

Der BMW-Delegation gefällt das Mini-Auto; es macht mehr her als der niedrige Messerschmitt Kabinenroller, ist einfach zu produzieren und bietet vor allem den Vorteil, dass man keinen Autoführerschein benötigt. Das ist wichtig für Kunden, die vom Motorrad ins Auto aufsteigen wollen.

Renzo Rivolta zeigt sich gesprächsbereit und handelt mit BMW einen Vertrag über den Nachbau seines "Motocoupés" aus. Die Bayern erwerben die Lizenzrechte, wollen aber anstelle von Rivoltas Zweitakter den eigenen Einzylinder-Viertaktmotor einbauen, der sich bereits im Motorrad des Typs R 25 bewährt. Der leistet aus 250 Kubikzentimetern Hubraum zwölf PS. Außerdem hält man in München nichts von dem primitiven Dreiradkonzept der Italiener und stattet die "Schmalspur-Starrachse" mit zwei Hinterrädern aus, was die Fahrstabilität denn auch deutlich verbessert.

Einprägsamer Name statt nüchterner Ziffern

Eine BMW Isetta im Essener Stadtverkehr

Kultauto mit Motorradmotor: Eine BMW Isetta fährt zu einer Oldtimermesse.

(Foto: picture alliance / dpa)

Auch ein neuer Name für das ungewöhnliche Gefährt muss her: Keine nüchterne dreistellige Ziffernfolge, mit der man die BMW-Modelle seit jeher bezeichnet, soll es sein, sondern ein ebenso einfacher wie einprägsamer Begriff wird gesucht - und gefunden: Isetta.

So schön der Name auch klingt, für die Buchhalter des Münchener Unternehmens wird er zum Reizwort. Denn auch der Lizenz-Nachbau des Zweisitzers kostet Geld - Geld, das man nicht hat. Allein rund 1,2 Millionen Mark sind erforderlich, um die Produktionswerkzeuge anzuschaffen und zu installieren. Im Geschäftsbericht spricht man von "besonderen Belastungen" und räumt ein, dass die Investitionen aus dem laufenden Geschäft nicht finanziert werden können. "Zur Gewinnung flüssiger Mittel" muss BMW einen Teil des Werks in Münchener Stadtteil Allach verkaufen und kann so das Geld für die Anlaufkosten der Isetta aufbringen.

BMW baut 2000 Isettas pro Monat

Im April 1955 ist es endlich soweit: Die Produktion des neuen BMW-Kleinwagens beginnt und kommt erfreulich schnell auf Touren. Schon wenige Wochen nach der Marktpremiere stellt die Münchener BMW-Belegschaft rund 2000 Isettas monatlich auf die Räder und liefert bis Ende 1955 insgesamt 12 911 Exemplare des Motocoupés aus. Endlich hat BMW ein Auto auf dem Markt, das die Erwartungen der Kunden erfüllt und das obendrein auch für Normalverdiener bezahlbar ist. Bescheidene 2580 Mark kostet der Zweisitzer, der auf ebener Strecke ein Höchsttempo von immerhin 85 km/h erreicht.

"Die BMW Isetta traf auf eine außerordentlich günstige Marktnachfrage", berichtet der Vorstand aus dem Geschäftsjahr 1955, und ein Jahr später heißt es bereits, dass "der Absatz unseres Kleinstfahrzeugs für den Geschäftsverlauf der BMW AG maßgebend war". Durch die starke Nachfrage nach der Isetta habe man die Verluste in der übrigen Motorrad- und Autoproduktion ausgleichen können. Mit anderen Worten: Die Isetta hat das Unternehmen vor dem Untergang bewahrt und spült in den folgenden Jahren obendrein so viel Geld in die Firmenkasse, dass BMW endlich auch mit der Entwicklung neuer Modelle beginnen kann - richtiger Autos zu erschwinglichen Preisen.

Der Zweisitzer mit der Kühlschranktür kommt auf eine Stückzahl von insgesamt 161 728 Exemplaren und bleibt bis Mai 1962 im Programm. Da steht mit dem BMW 1500 schon der nächste Rettungswagen bereit.

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