50 Jahre Tempo 50:Im Taumel des Wirtschaftswunders

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Für das fehlende Tempolimit auf Autobahnen ist Deutschland weltberühmt. Was kaum einer weiß: Bis zum 1. September 1957 gab es in der BRD überhaupt kein Limit. Selbst innerorts durfte gerast werden.

Christian Wölbert

Als USA-Reisender sollte man sich gut wappnen. Neben Vollkornbrot gehört vor allen Dingen genügend Wissen über die heimische Autobahn ins Gepäck. Denn nichts fasziniert Amerikaner so sehr wie diese "beautiful road with no speed limit". Ihr widmen sie ganze Dokumentationen auf dem "History Channel". Mancher amerikanische Porsche-Käufer holt seinen 911er persönlich in Zuffenhausen ab, um dem Gefährt wenigstens einmal im Leben die Sporen geben zu können.

Sollte sich ein Gesprächspartner aus den USA einmal unbeeindruckt von der Autobahn zeigen, weil er zum Beispiel weiß, dass im Bundesstaat Montana einige Jahre lang kein Tempolimit galt, könnte folgende Anekdote weiterhelfen: Von Januar 1953 bis Ende August 1957 galt in Deutschland überhaupt kein Tempolimit, weder auf der Autobahn, noch auf der Landstraße. Selbst innerorts durfte gerast werden.

Doch der Reihe nach: Die Straßenverkehrsordnung vom 28. Mai 1934 sah zum ersten Mal ein allgemeines Tempolimit vor: Innerorts waren maximal 60 km/h erlaubt. Doch außerorts (auch auf den neuen Autobahnen) gab es keine Begrenzung.

Im Oktober 1939 drosselten die Nazis das Tempo. In der Stadt durfte man 40, überall sonst 80 km/h fahren. Offizielle Begründung war die Verkehrssicherheit. In Wirklichkeit sollten die Deutschen mit ihrer gezügelten Fahrweise Benzin sparen, für die Wehrmacht.

1945 führten die Besatzungsmächte in den einzelnen Zonen unterschiedliche Regelungen ein. Von 1949 an galten dann die Tempolimits der Nazis wieder in ganz Deutschland, sowohl die BRD als auch die DDR übernahmen sie.

Taumel der Wirtschaftswunderzeit

Die nächste Episode in der Geschichte des Tempolimits klingt aus heutiger Sicht unglaublich: Im Westen schaffte der Bundestag im Dezember 1952 sämtliche Höchstgeschwindigkeiten ab. Nicht die Nazi-Handschrift war das Problem am Gesetz, sondern Technikbegeisterung, verbunden mit dem allgemeinen Taumel der Wirtschaftswunderzeit.

In der Folge stieg die Zahl der Verkehrstoten stark an. Obwohl damals zehn mal weniger Autos angemeldet waren, starben mehr als doppelt so viele Menschen auf den Straßen wie 2006 (5094 Tote). Eine hitzige Diskussion um ein allgemeines Tempolimit entbrannte. Vor allem der CDU-Abgeordnete Oskar Rümmele, damals Vorsitzender des Verkehrsausschusses, setzte sich für eine Höchstgeschwindigkeit ein. Gegen den Widerstand des ADAC und vieler Experten führten Bundestag und Bundesrat zum 1. September 1957 das Tempolimit wieder ein - innerorts galten fortan 50 km/h.

Die Zahl der Verkehrstoten stieg bis in die siebziger Jahre weiter an. Erst 1972 reagierte die Politik erneut und setzte außerorts 100 km/h als Limit. Ausnahme: Die Autobahnen - dort gilt seit 1974 die "Richtgeschwindigkeit" von 130 km/h.

Die letzte europäische Bastion ohne jegliches Tempolimit ist die britische Isle of Man. Als Ausrichter des halsbrecherischen Motorradrennens "Tourist Trophy" hat die Insel einen Raser-Ruf zu verlieren. Angesichts dramatischer Unfallzahlen denken aber inzwischen auch die letzten Verteidiger der "freien Fahrt für freie Bürger" über ein Tempolimit nach.

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