50 Jahre Caravelle:Modell-Karriere

Vor 50 Jahren galt die elegante französische "Caravelle" als die Revolution unter den Passagierjets und war einige Zeit lang der meistverkaufte Jet der Welt.

Andreas Spaeth

"La Belle Caravelle" wurde sie genannt oder "die Französin des Jetset". Der zweistrahlige Verkehrsjet des französischen Herstellers Sud Aviation (später Aerospatiale) gilt als eines der ästhetisch gelungensten Flugzeuge aller Zeiten - innovative Technik verpackt in Eleganz und Grazie. Das Design der Caravelle, die je nach Version 64 bis 128 Passagiere auf Kurz- und Mittelstrecken befördern konnte, wurde seit seinem Auftauchen vor einem halben Jahrhundert zum Vorbild für ganze Generationen von weiteren Flugzeugtypen.

50 Jahre Caravelle: Nur noch zwei Düsen, am Heck angebracht: Die Caravelle revolutionierte auch den Flugzeugbau.

Nur noch zwei Düsen, am Heck angebracht: Die Caravelle revolutionierte auch den Flugzeugbau.

(Foto: Foto: Delius Klasing)

Vor der Caravelle wurden Kurzstrecken nur mit Propellermaschinen geflogen

Im Mai 1955 war sie in Toulouse zum Erstflug gestartet, dann für vier Jahre in die entscheidende Erprobung gegangen und von April 1959 an im Passagierverkehr unterwegs. Nicht weniger als etwa 50 weitere Flugzeugmuster, darunter der amerikanische Welterfolg DC-9, bedienten sich in Folge einer anfangs aufsehenerregenden Idee der Franzosen: Sie brachten die beiden Rolls-Royce-Avon-Triebwerke statt wie vorher üblich unter den Tragflächen lieber am Heck an.

Damit feierte der aerodynamisch "saubere" und effizientere Flügel Premiere. Die Vorteile waren vielfältig: Diese Konstruktionsweise verringerte Vibrationen und hielt vor allem Lärm von der Kabine fern, gleichzeitig erhöhte sie die Längsstabilität des Flugzeugs. Und die Caravelle war eine radikale Abkehr vom Design der frühen Passagierjets.

In Großbritannien und den USA stieß die Idee auf Skepsis: "Das kann nicht funktionieren", sagten damals die Konkurrenten von Boeing, McDonnell Douglas oder de Havilland, die mit der Boeing 707, der DC-8 oder der Comet ganz anders vorgingen. Vier Triebwerke galten Mitte der fünfziger Jahre schon aus Sicherheitsgründen als Muss, und auf Kurzstrecken Jets einzusetzen empfanden viele unmittelbar nach dem Aufkommen der ersten Düsenflugzeuge als fragwürdig. Kurze Hüpfer galten weiter als Domäne der Propellerflugzeuge.

Modell-Karriere

Doch die Franzosen, die damals über keine nennenswerte Luftfahrtindustrie verfügten, waren offen für Experimente und frische Ideen. Und das sah man der SE210 Caravelle, so die offizielle Typenbezeichnung, schon von außen an: Die elegante Rumpfnase wurde in Lizenz von der britischen de Havilland Comet übernommen. Bis heute einmalig geblieben sind die dreieckigen Fenster der Caravelle, die nach Ansicht der Ingenieure den Passagieren die beste Aussicht boten. Weiter sorgten die nur wenig nach hinten gepfeilten Flügel für gute Langsamflugeigenschaften und die wegen der Lage der Triebwerke erhöht angebrachten Höhenruder sowie das gerundete Seitenleitwerk mit einem über das Kabinendach verlängerten Auslauf für das typische Erscheinungsbild.

50 Jahre Caravelle: Starker Abgang: Die Hecktreppe gehört zu den Unverwechsel-barkeiten der Caravelle - ebenso wie die Triebwerke am Heck.

Starker Abgang: Die Hecktreppe gehört zu den Unverwechsel-barkeiten der Caravelle - ebenso wie die Triebwerke am Heck.

(Foto: Foto: Delius Klasing)

Sie war bis auf Australien auf allen Kontinenten zu Hause

In vielem war die Erfolgsgeschichte der Caravelle, deren Name sich von den Karavellen ableitet, den Handelsschiffen des 15. und 16. Jahrhunderts, Vorbild und Voraussetzung für die heutige Erfolgsgeschichte von Airbus. In den Hallen am Flughafen Toulouse, wo vor 50 Jahren die Caravelle entstand, werden bis heute Airbus-Jets gebaut. Nie zuvor war das Konzept der dezentralen Fertigung mit der Zulieferung von Komponenten internationaler Partner erprobt worden. Und nie zuvor war es Franzosen gelungen, Flugzeuge in die USA zu verkaufen, wo man sich üblicherweise der Modelle der einheimischen Hersteller bediente.

Zwischen Mitte 1957 und 1960 war die Caravelle der meistverkaufte Jet der Welt und Sud Aviation damit der führende Flugzeughersteller. Besonders gut liefen die Verkäufe in Europa und Südamerika, und 1960 geschah das bis dahin Undenkbare: United Airlines, damals eine von vier großen US-Gesellschaften, kaufte 20 Caravelles. Bereits 1962 entfielen 70 Prozent des europäischen Jet-Verkehrs auf das französische Flugzeug, sie war eine der Hauptverantwortlichen für die Verdopplung des europäischen Flugverkehrs insgesamt zwischen 1959 und 1966 - auch weil ihre Betriebskosten um ein Viertel unter jenen Propellermaschinen lagen, die sie ersetzte.

Auf allen Kontinenten mit Ausnahme Australiens war die Caravelle zu Hause, beinahe alle Fluggesellschaften in Westeuropa hatten sie in ihren Flotten; nennenswerte Ausnahme war Lufthansa. Trotzdem flog die Caravelle auch in Deutschland: Ferienflieger LTU betrieb zwischen 1965 und 1975 verschiedene Versionen, ab 1980 startete die Chartergesellschaft Aero Lloyd ebenfalls mit Caravelle und auch SAT, Vorgängerin der Germania, flog in die Sonne.

Modell-Karriere

Insgesamt wurde die Caravelle in acht verschiedenen Basis-Versionen gebaut, die ersten davon noch ohne Schubumkehr, dafür mit einem Fallschirm zum Abbremsen ausgestattet. Technisch durchlief das Flugzeug eine imposante Entwicklung: Die Zuladung und die Reichweite wurden später im Vergleich zur ersten Serienmaschine mehr als verdoppelt, die Kosten pro Sitzkilometer konnten um mehr als ein Drittel gesenkt werden.

Heute gibt es noch zwei flugfähige Caravelles - im Kongo

Den Zweistrahler gab es in vier verschiedenen Rumpflängen von 31,5 Meter (Prototyp) bis 36,24 Meter, insgesamt erwarben 35 Fluggesellschaften aus 27 Ländern die insgesamt 280 Exemplare (plus zwei Prototypen), die bis März 1973 in Toulouse ausgeliefert wurden. Bis 1984 war die Caravelle sogar Europas erfolgreichster Jet, dann ging dieser Titel an die Airbus A300/A310-Serie (und heute die A320-Familie). Viele Caravelles flogen noch bis in die neunziger Jahre. Durch Unfälle gingen 52 Jets verloren, 13 weitere durch Entführungen oder Terror, insgesamt 1227 Menschen verloren ihr Leben an Bord einer Caravelle. Heute gibt es laut einschlägiger Flottenregister weltweit nur noch zwei flugfähige Caravelles - die Maschinen sind in der Demokratischen Republik Kongo (Afrika) unterwegs.

Trotz ihrer Pionierrolle war die Caravelle kommerziell kein wirklicher Erfolg. Nachdem die Franzosen nachgewiesen hatten, dass sich Jets auch auf kurzen Strecken rechnen, ließ eine Reaktion der Wettbewerber nicht lange auf sich warten. Nach dem Vordringen der Caravelle auf den US-Markt beschleunigte Boeing die Entwicklung des Dreistrahlers 727 und beendete damit die Alleinstellung der Caravelle nach fünf Jahren. Die Franzosen verschliefen dagegen die Weiterentwicklung, etwa mit einem breiteren Rumpf, neuem Flügel oder auch durch eine dreimotorige Version. Stattdessen konzentrierte man die Kräfte in Toulouse bald auf den Bau eines noch schöneren und vor allem schnelleren Flugzeugs - der Concorde.

Pascale Monmarson-Frémont, Véronique Damas-Peyraud: Caravelle - Willkommen an Bord einer Legende; Delius-Klasing; 152 Seiten, 218 Fotos und Abbildungen; 34,90 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: