25 Jahre ICEPlötzlich war der Zug so schnell wie ein Porsche

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Hermann Friedrich (li.) und Gerald Krahl vor einem der ersten ICE. Der Zug hat mehr als zwölf Millionen Kilometer auf dem Tacho.
Hermann Friedrich (li.) und Gerald Krahl vor einem der ersten ICE. Der Zug hat mehr als zwölf Millionen Kilometer auf dem Tacho. (Foto: Stephan Rumpf)

Vor 25 Jahren brachte der ICE die Neuzeit auf die Schienen. Erst herrschte Euphorie, dann kamen die Probleme. Zugführer der ersten Stunde erinnern sich - auch an das Unglück von Eschede.

Von Marco Völklein

Am vergangenen Donnerstag wurde groß gefeiert in Berlin. Der Verkehrsminister war da, der Bahnchef sowieso. Gerald Krahl war nicht geladen, dabei hätte er den Obersten im Konzern und den Politikern aus erster Hand berichten können, wie es war, damals, im Sommer 1991, als die ersten ICE-Hochgeschwindigkeitszüge auf die Strecke gingen. Der Erlanger war damals schon Lokführer, einer der ersten, die im Führerstand eines "Intercity-Express" ausgebildet wurden. Und er ist es noch heute. Am Donnerstag, als die Deutsche Bahn (DB) in Berlin den 25. Geburtstag ihres Flaggschiffs feierte, steuerte Krahl zwei ICEs durch Süddeutschland.

Den Gästen in Berlin hätte der 64-Jährige berichten können von "der Aufbruchstimmung", die damals geherrscht hat bei vielen Eisenbahnern. Vom "Start in ein neues Zeitalter". Und davon, dass sie "stolz darauf waren, dabei zu sein", wie sein Kollege Hermann Friedrich ergänzt, auch er ein ICE-Veteran. Und beide hätten Anekdoten zu erzählen. Etwa die, als sie einen der ersten ICE am Nürnberger Hauptbahnhof in die Abstellanlage rangieren wollten, und der Fahrdienstleiter im Stellwerk ihnen per Streckenfunk zurief: "Wo wollt ihr denn hin mit eurer Weißwurscht?"

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358 Meter langer Wagenwurm mit moderner Technik

Tatsächlich war der ICE 1 in vielerlei Hinsicht neu für die Bahn, nicht nur wegen seiner ungewöhnlichen Farbgebung im Ton "Lichtgrau". Statt mit Loks und dahintergespannten Waggons rauschte man nun im Komplettzug durchs Land. In den extra für die Flitzer errichteten Werken wurden die Waggons nicht mehr auseinandergekuppelt, einzeln in die Hallen rangiert und dort gewartet. In ein ICE-Werk rollt das Fahrzeug vielmehr in ganzer Länge rein - und sobald die Wartungs- und Reinigungstrupps fertig sind, auch so wieder raus.

Fans moderner Eisenbahntechnik können sich noch heute für Details wie die Datenübertragung per Lichtwellenleiter begeistern. Ohne sie ließe sich der 358 Meter lange Wagenwurm gar nicht steuern. Zudem bekamen Lokführer wie Krahl im ICE erstmals auf einem Display angezeigt, wo es genau hakt, wenn die Technik aussetzt. Und die Fahrgäste hinten in den Waggons staunten über das Audiomodul in den Sitzen mit acht Kanälen oder die erstmals vollklimatisierten Waggons. Wer die Bordtoilette aufsuchte, der stellte fest, dass seine Hinterlassenschaft nicht mehr per Fallrohr auf dem Gleis entsorgt, sondern einem mehr oder weniger unter dem Hintern weggesaugt wurde.

Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 280 km/h

Beeindruckend war aber vor allem die Geschwindigkeit. Bereits 1988 hatte das Versuchsmodell, der "Intercity Experimental", mit Tempo 406,9 den langjährigen Weltrekord des französischen TGV gebrochen, auf der damals noch nicht für den Verkehr freigegeben Neubaustrecke zwischen Würzburg und Fulda. Eine weitere Hochgeschwindigkeitstrasse wurde zwischen Mannheim und Stuttgart in die Hügel des Kraichgaus gefräst.

Den Planern war klar: Das damalige Schienennetz, das im Wesentlichen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stammte, war für Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 280 Kilometer pro Stunde nicht ausgelegt. Als am 2. Juni 1991 der planmäßige Betrieb von Hamburg-Altona nach München aufgenommen wurde, konnten Lokführer wie Krahl und Friedrich auf diesen Abschnitten richtig Tempo machen, sodass zum Beispiel die Reisezeit zwischen Hamburg und Stuttgart um fast zwei Stunden schrumpfte. Auf den Bestandsstrecken allerdings wurden die Flitzer dann wieder ausgebremst.

Nach und nach wurde das Hochgeschwindigkeitsnetz daher erweitert, auch gegen Widerstände in der Bevölkerung. In Franken zum Beispiel wehrten sich Bürgerinitiativen lange gegen die noch immer in Bau befindliche Strecke Ebensfeld - Erfurt, die etwa zur Hälfte in teuren Tunneln und auf Brücken verlaufen wird. 1998 wurde der Verkehr auf der Schnellfahrtrasse Berlin - Wolfsburg aufgenommen, 2002 folgte die Inbetriebnahme der Rennstrecke zwischen Köln und dem Großraum Frankfurt, auf der die ICE der nunmehr dritten Generation auf bis zu 300 Stundenkilometer beschleunigten.

Doch der Geschwindigkeitsrausch hat sich mittlerweile gelegt. Die Fahrzeuge der nächsten Generation vom Typ ICE 4 werden ab 2017 höchstens 250 km/h fahren. "Das reicht völlig", sagt Friedrich. Beim Thema Tempo, so sein Eindruck, "hat wohl auch immer Prestige eine Rolle gespielt."

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Das Unglück in Eschede - ein "absoluter Schock"

Als "absoluten Schock" haben er und sein Kollege Krahl das ICE-Unglück am 3. Juni 1998 erlebt. Ein gebrochener Radreifen führte dazu, dass die Waggons eines ICE entgleisten und sich nahe dem niedersächsischen Eschede an einem Brückenpfeiler ineinanderschoben. 101 Menschen kamen ums Leben. Krahl fand später heraus, dass er nur einen Tag vorher im Führerstand des Unglückszuges unterwegs gewesen war. "Da wurd' mir ganz anders."

Ans Aufhören habe er auch damals nicht gedacht. Er fühlt sich wohl vorne im Führerstand, mit dem Blick auf die freie Strecke vor sich. Kein Tag sei wie der andere. Das Wetter, der technische Zustand des Zuges, der Betrieb im Netz - all das sei eine Herausforderung. Und auf der Schnellstrecke Nürnberg - München, die parallel zur Autobahn A 9 verläuft, liefert er sich hin und wieder ein Wettrennen mit einem Porschefahrer.

Die Bahn hat zuletzt viele kleinere Städte abgehängt

Das Ziel, mit dem ICE Marktanteile im Fernreisemarkt zu gewinnen, ging über viele Jahre auf: "Flüge von Frankfurt nach Köln oder von Hamburg nach Berlin - das kann sich niemand mehr vorstellen", sagt Alexander Kirchner, der Chef der Eisenbahnergewerkschaft EVG.

Kirchner warnt aber auch. Durch die Konzentration auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr habe der Konzern zuletzt viele kleinere Städte abgehängt, etwa Oberzentren wie Chemnitz oder Trier. "Auch für diese Städte muss es attraktive Schienenverbindungen geben." Zudem setzt ein neuer Konkurrent den DB-Fernverkehr unter Druck: Seit der Liberalisierung vor zweieinhalb Jahren ziehen die Fernbusse der Bahn Passagiere ab.

Hinzu kommt, dass auch das Image des Konzerns zuletzt arg gelitten hat. Ausgefallene Klimaanlagen im Sommer, Verspätungen und Zugausfälle, dazu Ärgernisse wie Waggons, die falsch gereiht in den Bahnhof einfahren. "Meine Damen, meine Herren, danke, dass Sie mit uns reisen,/zu abgefahrnen Preisen, auf abgfahrnen Gleisen", heißt es in einem Spottlied der Wise Guys: "Thänk ju vor träffeling wis Deutsche Bahn!"

Der Konzern will gegensteuern. Der Bahnvorstand um Grube hat (Kritiker sagen: mal wieder) ein "Zukunftsprogramm" aufgelegt, um den DB-Fernverkehr zum "Premium-Angebot" zu machen. Unter anderem sollen Teams an den zehn wichtigsten Fernbahnhöfen dafür sorgen, dass möglichst viele Züge pünktlich ins Netz starten - und so erst gar keine Folgeverspätungen mehr auflaufen.

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Die ICE-Flotte wird aufgehübscht

Zudem verpasst die Bahn ihrer ICE-Flotte eine Art "Frühjahrsputz": Sie wird nicht nur "vollständig entstört", wie Grube verspricht, sondern auch aufgehübscht. Techniker tauschen Sitzpolster aus, erneuern die Teppichböden oder bringen an Toilettenwänden Graffiti-abweisende Spezialfolien an. Bis 2030 sollen zudem deutlich mehr Fernzüge fahren, nicht nur auf den Rennstrecken zwischen den Metropolen. Vielmehr will die Bahn auch kleinere Städte wie Cottbus oder Fürth wieder mit dem IC ansteuern, dem kleinen Bruder des ICE.

Und der Konzern besinnt sich wieder auf alte Tugenden: Im Team der Pünktlichkeitsverbesserer arbeiten Leute aus diversen DB-Töchtern eng zusammen. Das gab es zuletzt eher selten; vielmehr hatten Beobachter oft den Eindruck, die Tochterfirmen werkelten mehr gegen- statt miteinander. Es gehe nun "zurück zu den Wurzeln", berichtet einer der Koordinatoren am Münchner Hauptbahnhof. Man arbeite "fast wie früher bei der Bundesbahn".

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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