Süddeutsche Zeitung

24-Stunden-Rennen:Feindliche Brüder

Kampfansage an Audi: Nach langer Pause geht Porsche wieder beim 24-Stunden-Rennen an den Start. In Le Mans werden sich die VW-Konzernmarken ein erbittertes Duell liefern.

Von Oskar Weber

In einer Zeit, in der echte Persönlichkeiten selten und wegweisende Entwürfe die Ausnahme sind, hat die Welt der Mythen große Konjunktur. Le Mans mit seinem 24-Stunden-Rennen beispielsweise - ein Mythos des Rennsports. Oder Volkswagen, das grandiose Kapitel der Wirtschaftswunder-Sage - vom Kraft-durch-Freude-Spielzeug der finsteren Mächte zum republikanisch-internationalen Megakonzern mit Anspruch auf die Weltmarktführerschaft.

Porsche ist auch ein Mythos, der Sportwagen-Mythos schlechthin. Porsche und Volkswagen, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Historisch gesehen. Heute gehört Porsche zum VW-Konzern, aber der VW-Konzern gehört den Porsche-Familien Porsche und Piëch - jedenfalls etwas mehr als die Hälfte davon, und das ist viel, sehr viel.

Was uns zurück nach Le Mans führt, dem Motorsport-Mythos. Am Rande der 140 000-Einwohner-Stadt im nordwest-französischen Département Sarthe wird an diesem Wochenende das 24-Stunden-Rennen zelebriert - jenes Hochamt des Motorsports, das die zuweilen furiose Technik-Show gewissermaßen exemplarisch verkörpert: mit reichlich Tempo, großem Theater und ein wenig Tragödie.

Rennautos als Quadratur des Kreises

24 Stunden Vollgas heißt der Deal seit 1923. Die Streckenführung mit der sechs Kilometer langen Geraden Hunaudières ist archaisch, die Tag-und-Nacht-Distanz ein Monster. Das Lastenheft fürs Material gleicht folgerichtig der Quadratur des Kreises: sehr schnell müssen die Autos sein und dabei sehr solide.

Le Mans, das ist kein Jahrmarkt der Eitelkeiten wie der Monaco-Grand-Prix mit seinen 5000-Dollar-Tickets und der Boxengasse voller Stars und Sternchen. In Le Mans feiern 250 000 Fans Rennsport-Folklore. Der Weg ist ihr Ziel, und das Fest wird sie belohnen.

Das Ziel der Teams ist zunächst einmal die volle Renndistanz - über 5000 Kilometer rot glühende Mechanik, Konzentration am Anschlag, Perfektion im Grenzbereich. Aber zählbarer Lohn wartet nach rund 350 Runden à 13,629 Kilometer, 26 Tankstopps, acht Reifen- und ebenso vielen Fahrerwechseln nur auf den Sieger. Schon auf dem zweiten Treppchen steht im Profisport der erste Verlierer, und die World Endurance Championship (WEC) ist in der laufenden Saison - acht Rennen mit dem Saison-Höhepunkt Le Mans an diesem Wochenende - ein offener Schlagabtausch der Industrie-Giganten.

Weltmarktführer Toyota trifft auf den Volkswagen-Konzern - zunächst einmal in Gestalt der Markentochter Audi, doch eine zweite Volkswagenfront birgt zudem innenpolitische Brisanz: Porsche ist zurück. "Hightech aus dem Ländle. Für Herzklopfen in Le Mans." So lauten die sportlichen Grüße, die in diesen Tagen in der juniheißen Porsche-Heimat Stuttgart eine Plakatkampagne verkündet. Dazu die Ansage: "Der 919 Hybrid bei den 24h von Le Mans." Was das Standort-Marketing nicht verrät: Le Mans als Rennsport-Institution und die Langstrecken-Weltmeisterschaft mit ihrer Topklasse LMP1 (Le Mans Prototype 1) sind in der laufenden Saison die öffentlichen Bühnen eines VW-Konzern-Duells.

Porsche gegen Audi. Da funkelt die Rivalität aus jeder Fuge. Denn der VW-Konzern bringt in Le Mans ja ausgerechnet jene Marken an den Start, die bei Tisch stets mit dem besten Zeugnis wedeln. Hier die mit den Jahren später Schönheit etwas hoffärtig gewordene höhere Tochter Audi, dort der mit dem spröden Charme und Selbstbewusstsein seiner schwäbischen Heimat spielende Solitär Porsche. Und Porsche hat mit dem Umzug unters VW-Dach ja nicht nur seinen sagenhaften Ruf und die grandiose Sportwagen-Kompetenz ins große Ganze eingebracht, sondern auch Geschäfts- und Gewinnzahlen aus einem anderen Autouniversum. Wer im Volkswagen-Reich oder anderswo in der Automobilbranche wissen will, wo der Cash-Hammer hängt, muss nur einen Blick in die Zuffenhausener Bilanzen werfen.

Audi vs. Porsche, aber Toyota führt

Bilanz der bisherigen WEC-Saison nach zwei Läufen? Wenn zwei sich streiten, freut sich Toyota. In den ersten beiden Saisonrennen in Silverstone und in Spa-Francorchamps dominierten die Japaner die technisch anspruchsvolle und deshalb raffiniert hochgerüstete LMP1-Klasse. Zwei Starts, zwei Siege, maximale Punktausbeute. Das kann, wer den obersten VW-Aufseher Ferdinand Piëch kennt, nicht die richtige Reihenfolge sein.

Piëch hat den Porsche-Le-Mans-Mythos vor annähernd 50 Jahren übrigens selbst begründet. Der unter seiner Leitung entwickelte 917 mit dem luftgekühlten Zwölfzylinder-Boxer legte 1970 und 1971 mit zwei Erfolgen die Basis für die Porsche-Le-Mans-Dominanz in den folgenden drei Jahrzehnten: 16 Siege. Der Konzernrivale hält sportlich allerdings topaktuell dagegen. Alle zwölf Audi-Gesamtsiege datieren aus dem aktuellen Jahrhundert.

Wahnsinn oder Methode, zwei Konzern-Schwergewichte auf offener Bühne gegeneinander in den Ring zu schicken? "Wegweisende Unternehmensentscheidungen werden immer mit dem Aufsichtsrat diskutiert", sagt der amtierende Porsche-Chef Matthias Müller. Chef des Konzern-Aufsichtsrats ist Ferdinand Piëch. Oberster Aufseher bei Porsche ist Wolfgang Porsche, Piëch's Cousin. Wolfgang Porsche sitzt auch im Konzern-Gremium, und überhaupt liest sich die Aufsichtsratsliste der Volkswagen AG seit der Eingliederung der Porsche AG und der Auslagerung eines gewaltigen VW-Aktienpaketes an die Familie Porsche-Piëch stellenweise wie der Auszug aus einem Familienbuch: Ferdinand Piëch, Hans Michel Piëch, Ursula Piëch, Ferdinand Oliver Porsche, Wolfgang Porsche.

Audi muss gewinnen, um den VW-Granden nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten

Matthias Müller ist Manager, Chef der Volkswagen-Tochter Porsche AG. Er sagt: "Wettbewerb ist der bewährte Weg, besser zu werden." Ein Satz, der auch von Müllers Mentor Martin Winterkorn stammen könnte. Winterkorn ist amtierender Vorstandsvorsitzender des VW-Konzerns, sein Mentor ist sein Vorgänger Ferdinand Piëch.

Beide lieferten ihre Meisterstücke bei der VW-Tochter Audi ab, als sie der charmefreien Beamtenmarke aus Ingolstadt zuerst das Vorsprung-durch-Technik-Label (Piëch) und dann den Premiumstempel Benchmark-Qualität verpassten. Heute ist man in Wolfsburg eher unzufrieden mit der Tochter in Ingolstadt. Audi, hört man nicht nur hinter vorgehaltener Hand, verwalte den Erfolg, anstatt ihn zu gestalten: Das undifferenzierte Design ist in der Kritik, mehr aber noch die zögerliche Haltung bei der Entwicklung der elektrischen Antriebszukunft. Aus dem technischen Trendsetter Audi ist ein Mitläufer geworden.

Apropos Technik. Die WEC-LMP1-Serie basiert aktuell auf einem extrem komplexen Hybrid-Verbrauchsreglement, das nicht die Leistung selbst, sondern die Energiezufuhr limitiert. Vereinfacht ausgedrückt: je leistungsfähiger die Hybridmodule, desto geringer die konventionelle Treibstoffzufuhr. Porsche setzt in der Sechs-Megajoule-Kategorie einen 500 PS starken Zweiliter-V4-Turbobenziner und zwei Rekuperationssysteme ein: Die Rückgewinnung kinetischer Bremsenergie an der Vorderachse und die Nutzung thermodynamischer Abgasenergie laden flüssigkeitsgekühlte Lithium-Ionen-Batterien, die exakt sechs Megajoule oder 1,67 Kilowattstunden Strom pro Le-Mans-Runde an den E-Motor abgeben dürfen. Voller Boost mobilisiert eine Zusatzleistung von weiteren 250 PS, die auf die Vorderräder losgelassen werden.

Maximal erlaubte Benzinmenge in der Sechs-MJ-Klasse: 4,72 Liter pro Runde. Das klingt nach extremer Genügsamkeit, aber mit knapp 35 Litern relativiert die Umrechnung auf den geläufigen 100-Kilometer-Verbrauchswert diese Annahme nicht zuletzt vor dem Hintergrund der weiteren technischen Datenlage: marginale Stirnfläche (Breiten-Höhen-Maße 1,80/1,05 Meter), minimaler Luftwiderstandsbeiwert (vom Werk nicht beziffert), geringes Fahrzeuggewicht (870 kg). Andererseits: Le Mans ist ein High-Speed-Kurs mit 75 Prozent Volllastanteil, und der 919 Hybrid schafft in der Spitze 340 km/h.

Formel 1 ist keine Option für Porsche

Effizienzorientierte Motorsportregeln haben zu Recht Konjunktur, der Zeitgeist schläft nicht. Aber die technokratische Überregulierung birgt auch die Gefahr des sportlichen Overkills. Die Formel 1 hat ein ähnliches Problem, aber für Porsche ist sie ohnehin kein Thema. "Die Formel 1 kann keine Alternative sein, wenn es um die technische Weiterentwicklung der Serie geht", sagt Matthias Müller. Und: "Für die Distanz, die wir in Le Mans fahren, braucht die Formel 1 eine ganze Saison."

Porsche oder Audi? Bei VW wird das Le- Mans-Wochenende 2014 ein Topthema bleiben. Die hochadeligen Konzerntöchter Bentley und Bugatti wären übrigens weitere Starter-Kandidaten. Beide Marken sind in den Le-Mans-Siegerlisten bereits vertreten, was man von Toyota nicht behaupten kann. Noch nicht. Nach der Zielflagge am Sonntag sieht das vielleicht anders aus.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2014
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