In einer Zeit, in der echte Persönlichkeiten selten und wegweisende Entwürfe die Ausnahme sind, hat die Welt der Mythen große Konjunktur. Le Mans mit seinem 24-Stunden-Rennen beispielsweise - ein Mythos des Rennsports. Oder Volkswagen, das grandiose Kapitel der Wirtschaftswunder-Sage - vom Kraft-durch-Freude-Spielzeug der finsteren Mächte zum republikanisch-internationalen Megakonzern mit Anspruch auf die Weltmarktführerschaft.
Porsche ist auch ein Mythos, der Sportwagen-Mythos schlechthin. Porsche und Volkswagen, das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Historisch gesehen. Heute gehört Porsche zum VW-Konzern, aber der VW-Konzern gehört den Porsche-Familien Porsche und Piëch - jedenfalls etwas mehr als die Hälfte davon, und das ist viel, sehr viel.
Was uns zurück nach Le Mans führt, dem Motorsport-Mythos. Am Rande der 140 000-Einwohner-Stadt im nordwest-französischen Département Sarthe wird an diesem Wochenende das 24-Stunden-Rennen zelebriert - jenes Hochamt des Motorsports, das die zuweilen furiose Technik-Show gewissermaßen exemplarisch verkörpert: mit reichlich Tempo, großem Theater und ein wenig Tragödie.
Rennautos als Quadratur des Kreises
24 Stunden Vollgas heißt der Deal seit 1923. Die Streckenführung mit der sechs Kilometer langen Geraden Hunaudières ist archaisch, die Tag-und-Nacht-Distanz ein Monster. Das Lastenheft fürs Material gleicht folgerichtig der Quadratur des Kreises: sehr schnell müssen die Autos sein und dabei sehr solide.
Le Mans, das ist kein Jahrmarkt der Eitelkeiten wie der Monaco-Grand-Prix mit seinen 5000-Dollar-Tickets und der Boxengasse voller Stars und Sternchen. In Le Mans feiern 250 000 Fans Rennsport-Folklore. Der Weg ist ihr Ziel, und das Fest wird sie belohnen.
Das Ziel der Teams ist zunächst einmal die volle Renndistanz - über 5000 Kilometer rot glühende Mechanik, Konzentration am Anschlag, Perfektion im Grenzbereich. Aber zählbarer Lohn wartet nach rund 350 Runden à 13,629 Kilometer, 26 Tankstopps, acht Reifen- und ebenso vielen Fahrerwechseln nur auf den Sieger. Schon auf dem zweiten Treppchen steht im Profisport der erste Verlierer, und die World Endurance Championship (WEC) ist in der laufenden Saison - acht Rennen mit dem Saison-Höhepunkt Le Mans an diesem Wochenende - ein offener Schlagabtausch der Industrie-Giganten.