Unfälle und Strafen:Immer die Radfahrer

Um das Unfallrisiko zu senken und Aggressionen im Straßenverkehr abzubauen, fordern Experten gleiches Recht für alle.

Helmut Dachale

Früher, als noch Heinz Erhardt ("Immer die Radfahrer") in die Pedale trat, konnte man wenigstens über sie lachen. Heute scheint es besser zu sein, ihnen aus dem Weg zu gehen. Denn kaum ist die Winterpause beendet, schwärmen die Radler wieder aus - und das angeblich so hemmungslos, dass vor ihnen gewarnt werden muss. "Ich fahre seit 25 Jahren Lkw", lässt ein Fernfahrer in einem der einschlägigen Internetforen wissen, "und bin glücklich, bis jetzt noch keinen geplättet zu haben."

Auch in der Statistik auffällig: die Radfahrer

"Die Aggressionen haben zugenommen, allein schon aufgrund der größeren Verkehrsdichte", bestätigt Michael Tillmann, Bremer Verkehrspsychologe. Seit 15 Jahren therapiert er notorische Verkehrssünder, deren letzte Chance die MPU ist. Glücklicherweise, relativiert der Experte, folge den meisten verbalen Entgleisungen keine Tat.

Aber warum immer die Radfahrer? Sind sie nicht die vornehmsten Vertreter der sanften Mobilität? Für Tillmann eine äußerst eingeschränkte Sichtweise: "Auch Fahrradfahrer sind fähig zur Aggression, auch sie verstoßen gegen die Regeln und nehmen Sonderrechte in Anspruch, echte oder eingebildete. Und es gibt genügend Autofahrer, die sich davon provozieren lassen."

Auch bei den Statistikern sind sie auffällig geworden. Jährlich werden rund 75.000 Radler gezählt, die bei einem Verkehrsunfall verletzt werden. Nur bei den getöteten, rund 600 im Jahr, und schwer verletzten Radlern ist ein rückgängiger Trend auszumachen, aber: Auch der ist laut Fahrradbericht der Bundesregierung "erheblich geringer ausgeprägt als beim Gesamtverkehr". Bedenklich nicht zuletzt deshalb, weil gerade bei Radunfällen von einer extrem hohen Dunkelziffer auszugehen ist.

Immer die Radfahrer

Wie unfallträchtig der Radverkehr ist, zeigt ein Vergleich: Seine Fahrleistung beträgt lediglich 2,7 Prozent des Gesamtverkehrs, der Anteil unter allen Verkehrsunfallverletzten ist jedoch fast siebenmal so hoch. Und keinesfalls immer, auch das sagt der Regierungsreport, sind die Radfahrer die unschuldig Angefahrenen, sondern in etwa 40 Prozent Hauptverursacher; trifft das Velo auf einen Fußgänger, tragen sogar in mehr als 60 Prozent aller Fälle Radler die Schuld.

Während im Nationalen Radverkehrsplan, ebenfalls von der Bundesregierung vorgelegt, das Fehlverhalten mit ungenügenden Radverkehrsanlagen und auch recht verständnisvoll mit der "Umwegeempfindlichkeit" der Pedalisten erklärt wird, propagiert die Polizei neuerdings lieber "Null Toleranz für Risiko". So lautet der Leitsatz in Münster, der inoffiziellen Rad-Hauptstadt Deutschlands, wo Radfahrer 2007 sogar 46 Prozent ihrer Unfälle selbst verursacht haben. Kontrollen, Verwarnungsgelder, Anzeigen - davon werden sie ab sofort nicht mehr ausgenommen.

Null Toleranz oder: gleiche Kontrollen und Strafen für alle

Auch in Bremen ist Schluss mit lustig. Stattdessen hat man dort gleich 16 Beamte mit Bikes und Raduniformen ausgestattet, die regellose Radfahrer verfolgen, aufklären und "nicht nur bargeldlos verwarnen" sollen. Und in Freiburg, einer weiteren velophilen Hochburg, wurde bereits 2006 ein Polizeifahrrad mit Videokamera ausgerüstet. Rotlichtverstöße, auf dem Radweg in die falsche Richtung, aber auch die Behinderungen durch Autos - alles wurde aufgezeichnet und den gestoppten Sündern gleich per Monitor vorgeführt. "Das ermöglichte auf jeden Fall ein erzieherisches Gespräch", wertet Frank Stratz von der Verkehrsprävention der dortigen Polizeidirektion. Zurzeit wird das Freiburger Modell evaluiert, doch Stratz geht davon aus, dass bald schon weitergefilmt wird.

Für den Verkehrspsychologen Tillmann alles Schritte in die richtige Richtung, denn: "Die Radfahrer müssen unbedingt mit den anderen Verkehrsteilnehmern, vor allem den Autofahrern, gleichgestellt werden; der Weg dahin führt auch über die gleichen Kontrollen und Sanktionen."

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