Situation bei Mini:Warum sich Mini deutlich unter Wert verkauft

Die Konzeptstudie Mini Rocketman

So originell könnte ein Mini sein: Die Studie Rocketman aus dem Jahr 2011. Ob sie je in ein Serienmodell umgesetzt wird, steht immer noch nicht fest.

(Foto: dpa-tmn)

Stagnierende Absatzzahlen, steigende Kosten und ein unentschlossenes Management: Die BMW-Kultmarke steuert in eine gefährliche Sackgasse.

Analyse von Georg Kacher

Am oberen Ende der Preis-und-Prestige-Skala ist Rolls-Royce dabei, sich mit einer eigenständigen Aluminium-Architektur von der Konzernmutter BMW abzunabeln. Am unteren Ende des PS-und-Euro-Spektrums tut sich die Marke Mini dagegen schwer, ihren eigenen Weg zu finden. Die geplante Kooperation mit Toyota, die Ende 2016 unterzeichnet werden sollte, ist inzwischen nur mehr eine von mehreren Optionen. Mit den Japanern wollte BMW eigentlich eine neue Plattform entwickeln, die klein und günstig genug ist für einen superkompakten Mini Minor und für drei weitere Varianten. Doch inzwischen sind die Münchner kurz davor, den Anschluss zu verpassen. Die Erkenntnis "wir können alles außer billig" wird das Unternehmen möglicherweise teuer zu stehen kommen.

Kernstück der Gegenwart und Zukunft von Mini ist UKL, eine von BMW konzipierte Matrix für Fahrzeuge der Unteren Klasse. Doch was für BMW passt, kann für Mini schnell zu schwer, zu groß, zu komplex und zu teuer sein. Das bremst die Evolution der Marke - aber ein noch größeres Handikap sind die vom Erfolg verwöhnten Entscheider, die wichtige Weichenstellungen immer wieder hinausschieben.

Die aktuelle Modellfamilie tut sich schwer

Die erste Fahrzeug-Generation nach dem Neustart im Jahre 2001 kam beim Publikum blendend an. Doch schon in der zweiten Runde musste Mini Federn lassen: Coupé, Roadster und Paceman wurden wegen Erfolglosigkeit aus dem Programm genommen. Auch die aktuelle Modellfamilie tut sich schwer. Während der Fünftürer blendend läuft, lahmen der Dreitürer und der Clubman, von dem 2015 nur 5000 Stück abgesetzt wurden. Der klobige Countryman-Nachfolger, der zum Jahresende startet, hat seine Feuerprobe noch vor sich.

Dem Markenchef Sebastian Mackensen und dem Markenvorstand Peter Schwarzenbauer ist offenbar nicht bange. Mit Hilfe von sogenannten "fünf Superhelden" wollen die Strippenzieher Mini zurück auf die Erfolgsspur führen. Doch was genau sind diese Superhelden, wie unterscheiden sie sich von der etablierten Palette, wann kommen sie auf den Markt?

Kosmetik genügt nicht, die Marke muss sich entwickeln

Wenn mit den Zweitürern, Clubman und Countryman drei der fünf Superhelden als gesetzt gelten dürfen, wo bleiben dann die Neuzugänge? Gute Frage, die Antwort wird nachgereicht, denn die Liste der Kandidaten mit potenziellem Heldenstatus wird immer länger. Noch im Rennen sind MiniMini, für den die Rocketman-Studie von 2013 die Vorlage abgab, Coolbox (ein herrlich hippes Stufenheck mit Potenzial), Roomba (ein Mini-Van im Format des Zweier-Gran-Tourer), Superleggera (ein Plug-in-Hybrid-Roadster mit umgedreht eingebautem und abgespecktem i8-Antriebsstrang), Traveller (im Prinzip ein weniger SUV-iger Countryman), ein reines Elektrofahrzeug (könnte ein Stadtauto sein oder ein Roomba-Derivat) und, als krasser Außenseiter, ein sportliches viertüriges Crossover-Coupé.

Keine Frage, die Kreation einer neuen Mini-Generation ist von der Aufgabenstellung vergleichbar mit der Erschaffung des nächsten VW Beetle, Landrover Defender oder Porsche 911. Kosmetik allein genügt nicht, auch die Marke muss sich weiterentwickeln, die hohen Preise erfordern ambitionierte Inhalte. Doch genau hier fehlt es offenbar an Fantasie und Visionen. Das bislang einzige verbindliche Zukunftsszenario betrifft die Verlängerung der Laufzeit des Mini-Grundmodells (F56) um zwölf Monate bis 2021 - das sind fast vier Jahre über die für 2018 terminierte Überarbeitung hinaus.

Vor sieben Jahren war Mini noch mutiger als heute

Dadurch gewinnt das Unternehmen Zeit, aber keine neuen Erkenntnisse, was besagte Superhelden angeht. Die Favoriten wechseln dabei mit den Mondphasen. Momentan vorne: Roomba vor Rocketman und Superleggera. Klingt viel versprechend, doch der Roomba ist mehr maxi als mini, dem Rocketman fehlt der passende genetische Unterbau, der Superleggera sprengt jedes Budget.

Vor sieben Jahren war Mini noch mutiger als heute. Damals wurde der Elektro-Mini vorgestellt, den man in kleinsten Stückzahlen sogar leasen konnte. Seitdem ist Stromausfall, obwohl das für die Marke unabdingbare Elektroauto als Mini Metro/Rocketman zumindest batterietechnisch relativ kurzfristig machbar wäre - natürlich nicht auf BMW-i3-Basis, aber was spricht eigentlich gegen UKL? Dieser von Grund auf neu konzipierte Modulkasten eignet sich angeblich nicht für ein so kleines Auto.

Es geht nicht voran mit der Neuerfindung der Marke

Als Handikap Nummer eins gilt die zu große Spurweite, wobei ähnliche Dimensionen Toyota nicht daran gehindert haben, mit dem iQ ein kurzes und fahrsicheres Stadtauto auf die Räder zu stellen. Da müsste es doch auch für BMW zu schaffen sein, UKL auf das Format des Ur-Mini zurechtzustutzen. Wobei der MiniMini nach dem Vorbild des Mini-Erfinders Sir Alec Issigonis ebenfalls über vier Sitzplätze verfügen sollte.

Die erste Serie des Kultknubbels wurde sogar im eigenen Haus wiederholt kritisiert, doch genau diese Kritiker tun sich jetzt schwer mit der Neuerfindung der Marke. Obwohl Begriffe wie Authentizität, Zeitgeist, Substanz und Modernität jedes zweite Strategiepapier schmücken, kommt die Umsetzung nicht in die Gänge. Statt die Produktsubstanz neu zu definieren, flüchtet das Entscheider-Kollektiv in den Elfenbeinturm, wo das soziale Umfeld diskutiert wird, in dem sich Mini demnächst bewegen soll.

Da geht es um Wände, die niedergerissen werden müssen; um neue Geschäftsmodelle, die sich an Trendsettern orientieren und nicht mehr am Kundenprofil von gestern; um den Aufbau einer nachhaltigen Mobilitätskultur für die "Creative Class"; um ein durch Mini Living und Mini Fashion erweitertes Portfolio. Wie die Produkte beschaffen sein sollen, die diese Werte transportieren, bleibt dagegen unklar.

Fragen über Fragen

Dabei leidet bereits das Alltagsgeschäft unter Dissonanzen und Merkwürdigkeiten. Warum zum Beispiel bietet Mini in Amerika keinen Diesel mehr an? Wieso beeindruckt der John Cooper Works vor allem durch seinen grellen Auftritt und weniger durch souveräne Leistung? Wo bleibt die Mini-Fibel mit regelmäßig aktualisierten Kernwerten der Marke? Wie kann es sein, dass Mini auf die künftigen Einschnitte in der CO₂-Gesetzgebung so schlecht vorbereitet ist? Und wie konnte es geschehen, dass sich das früher stringente Design zu einer Karikatur seiner selbst entwickelt? Wie lange müssen Mini-Fans noch auf echte, vielleicht sogar einzigartige Innovationen im Bereich Digitalisierung und alternative Antriebe warten? Was folgt auf Aktionen wie Mini Raid, das zwanzigste Sondermodell und die 3-D-Brille, die ein Einzelstück bleiben dürfte?

Die Marke ist scheinbar vornehmlich damit beschäftigt, sich neu zu inszenieren. Auf den Messeständen werden jetzt richtige Ziegel und echtes Holz verbaut, ein "Sharing-is-more-Programm soll den weiß-schwarzen Drive-Now-Einheitsbrei aufhübschen, die Grassroots Box in New York ist ein abgefahrener Versuchstempel für Mini-Jünger. Die Langzeitwirkung dieser imagebildenden Aktivitäten lässt sich noch nicht abschätzen.

Trotz Absatz-Plus ist noch Luft nach oben

Momentan läuft das Geschäft jedoch eher schlecht. 2015 stieg der Absatz zwar auf 338 000 Fahrzeuge, ein Plus von rund zehn Prozent, das hauptsächlich auf das Konto des Fünftürers geht. Nach oben ist freilich noch Luft, denn die Kapazität liegt bei 400 000 Einheiten. Was die Frage aufwirft, warum sich Mini den Auftragsfertiger in Born ans Bein gebunden hat, der allein 100 000 Autos bauen könnte.

Das Mini-Modellprogramm von morgen ist keine besonders spannende Lektüre. Zu den wenigen Neuheiten gehören der Countryman samt Plug-in-Hybrid-Ableger, von 2018 an besagtes Facelift, der Wechsel vom Automat zum Doppelkupplungsgetriebe und die Zweiliter- BMW-Maschine als Ersatz für die stärkeren 1,6 Liter-Aggregate. Der Mini-Nachfolger soll erst in fünf Jahren an die noch nicht näher definierte so genannte UKL EVO DNA andocken. Durch Abwesenheit glänzen bis auf Weiteres ein Mini HEV, neue Ideen im Stil des eingemotteten City Surfer E-Rollers, und das sogenannte Libero-Modell, das nach nur einem Zyklus durch ein anderes ersetzt wird.

Nachholbedarf für die einstige Kultmarke besteht auch dort, wo sich Tradition und Fortschritt kreuzen - Stichwort: Cockpit 2025, Connectivity 4.0, emissionsfreie Antriebe. Nein, Mini soll und kann nicht die Rolle des Technologieführers übernehmen. Aber mit der wortreichen Pflege des Status quo verkauft sich die Marke derzeit deutlich unter Wert.

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