Interieurdesign in Autos:Vorsicht, Fahrer mit Hut

Der Innenraum des Nissan IDx Nismo.

Der Innenraum des Nissan IDx Nismo soll vor allem der "Generation Playstation" gefallen.

(Foto: Nissan)

Die Innenräume vieler neuer Autos beschwören die Geister der Vergangenheit. Dabei sitzen oft technik- und computeraffine Menschen am Steuer. Doch die Rückbesinnung auf Altbewährtes hat gute Gründe.

Von Joachim Becker

Wroomm! Dieser Playstation-Racer ist das Gegenteil eines braven Familien-Vans: Blutrote Alcantara-Bezüge, puristisches Metall und schwarzgraues Karbonflechtwerk sind scharfe Zutaten für nächtliche Burnout-Partys. Nissans Studie IDx Nismo drückt das Lebensgefühl einer Generation von Designern aus, die mit Computerspielen aufgewachsen sind. Dass sie die übliche Zierleisten-Behaglichkeit satt haben, zeigt auch eine zweite Konzeptstudie: Die Lackierung in Flachs und Weiß soll an eine Freizeitkluft aus Kakihose und weißem T-Shirt erinnern.

Innen eignet sich der kantige Kompakt-Nissan ebenso wenig für Fashion-Spießer: Eine Jetflügel-Armaturentafel mit Luftausströmern in Turbinenform lässt die kleine Hütte großzügig wirken. Kombiniert mit edlen Aluminium-Details, einem Tacho-Solitär und einem großen Mitteldisplay soll der IDx Freeflow in den Augen jüngerer Käufer cool aussehen.

Beschwörung einer glorreichen Vergangenheit

Wir schreiben das Jahr 14 im 21. Jahrhundert. Während Automobildesigner zumindest gelegentlich neue Ideen in Blech pressen lassen, herrscht hinter Glas und Türen meist gesichtslose Tristesse. Viele Autointerieurs wirken so austauschbar, als würden sie für die immer gleichen Fahrer mit Hut gebaut. Die gute Stube auf Rädern zementiert einen traditionellen Begriff von Markenidentität: Obwohl voll digitale Cockpits und zentrale Bedienbildschirme Stand der Technik sind, wird ein Retrolook im Stil von analogen Chronografen gepflegt. Passend zu Ledercouchgarnitur und Echtholzimitat sollen (simulierte) mechanische Zeigerinstrumente in chromblitzenden Tuben eine glorreiche Vergangenheit beschwören.

Mercedes-Benz S-Klasse, Mercedes-Benz, S-Klasse

Der Innenraum der neuen Mercedes S-Klasse: Hightech in biederem Ambiente.

(Foto: Daimler AG)

Ästhetisch besonders schwierig wird es, wenn solcher Technik-Kitsch auf topaktuelle Unterhaltungselektronik prallt. Die neue Mercedes S-Klasse bettet beispielsweise zwei Farbdisplays mit einer Bildschirmdiagonale von jeweils gut 30 Zentimetern (12,3 Zoll) in ein Plüsch-Ambiente aus Holz, Leder, Chrom und geschwungene Formen. "Der Mensch trachtet bei Luxus nach authentischen Werten", sagt Hartmut Sinkwitz, "wir schaffen eine warme Wohlfühlatmosphäre, bei der wir uns vom Erbe der Marke gerne inspirieren lassen." Der Chef des Mercedes-Interieur-Designs erklärt kugelrunde Luftausströmer, Zweispeichenlenkrad und die Analoguhr über der Mittelkonsole mit einer tiefen Sehnsucht nach den Ikonen der Vergangenheit. Gleichzeitig - und das ist die Krux - legt nicht nur die wachsende asiatische Kundschaft Wert auf die neuesten digitalen Spielereien. Wer zu Hause von Flimmerkisten umgeben ist, erwartet auch im Auto entsprechende Riesenbildschirme.

Ein bisschen Bond fährt mit

Erinnern wir uns: Schon in den Sechzigerjahren wollte sich der technikverliebte Mann hinterm Steuer wie James Bond fühlen. Meistertechniker "Q" hatte einen Peilsender samt Kontrollbildschirm in der Mittelkonsole des Aston Martin DB5 untergebracht. In "Man lebt nur zweimal" (1967) fuhr der Agent Ihrer Majestät ein Toyota 2000 GT Cabrio mit sprachgesteuertem Kassettenspieler, Fernseher, schnurlosem Telefon und Kameras in den Kennzeichen. Ein bisschen Bond steckt heute also in jedem Infotainmentsystem.

Auch wenn die wenigsten Automobilisten Geheimagenten sind: Knöpfe und Kontrollleuchten rund ums Cockpit befriedigen den Spieltrieb. Fahrerarbeitsplätze wie in Rennwagen, Flugzeugen oder Raumschiffen gelten bei Porsche noch heute als Ausweis technischer Kompetenz. Die digitale Revolution hat die separaten Anzeigen und Bedieneinheiten zwar überflüssig gemacht. Aber es fällt Autotraditionalisten erstaunlich schwer, die Optik des analogen Zeitalters hinter sich zu lassen. Wer die neue Mercedes S-Klasse und das Tesla Model S im direkten Vergleich fährt, fühlt sich als Wandler zwischen den Epochen. Obwohl die Armaturentafeln beider Autos von einer großen Mattscheibe geprägt sind, lässt sich der Tesla von Computer-affinen Menschen wesentlich intuitiver bedienen.

Mercedes S-Klasse vs. C-Klasse

Wie lange wollen wir also noch in Nostalgie schwelgen? Die verspielte Bedienlogik im Mercedes-Flaggschiff lenkt tendenziell vom Autofahren ab und wirkt merkwürdig inkonsequent - als ob man Smartphones wie Wählscheibentelefone nutzen würde. In der neuen Mercedes C-Klasse, die Anfang März auf dem Genfer Autosalon Ihre Europapremiere feiert, gelingt der Spagat zwischen Retro-Chic und modernem Luxus auf den ersten Blick besser. Während das Aluminium-glänzende Cockpit an Mercedes- Sportwagen erinnert, zeigt die sogenannte Domplatte über der Mittelkonsole deutliche Anklänge an zeitgenössisches Möbeldesign. Statt eine lotrechte Anzeige- und Bedienwand mit vielen schwarzen Plastikknöpfen zu verzieren, schmiegt sich eine geschwungene Holzoberfläche mit einer schmalen silbernen Schalterreihe von den Mitteldüsen bis zur Armauflage.

Radikale Lösungen sind gefragt, damit der Sprung vom Biedermann-Design zu innovativen (Anzeige- und Bedien-)Formen gelingen kann. Französische Interieur-Kreative bewiesen bereits vor einem halben Jahrhundert Mut beim Abräumen von verstaubten Design-Altlasten. Digitaltachos bei Citroën oder die geometrisch-künstlerische Anordnung bunter Warnleuchten im Renault R4 schufen eine elegante Simplizität. Auch heute machen die Franzosen einen Trend zur neuen Einfachheit inmitten der medialen Reizüberflutung aus. "Die Käufer wollen Design ohne Stress. Unter Benutzerfreundlichkeit verstehen sie eine Kreuzung von Apple's iPhone und der Nespresso-Kaffeemaschine", glaubt Citroën-Boss Frédéric Banzet.

Lounge-Gefühle im Citroen Cactus

Mit dem geräumigen Kompaktwagen Cactus, der sein Debüt auf dem Genfer Autosalon gibt, will Citroën eine lässig-moderne Stilrichtung etablieren, die massentauglich ist: "Fährst du noch oder lebst du schon?" könnte das Motto der Designbasics fei nach Ikea sein. Eine sofaähnliche Frontsitzbank, reduzierte Armaturen und die unvermeidliche Mattscheibe über der Mittelkonsole sollen Lounge-Gefühle wecken. Diese Form der Entschleunigung im Design nimmt wachsende Kundenbedürfnisse ernst: Immer längere Fahrzeiten lassen das Auto zum dritten Lebensraum neben Wohnung und Arbeitsplatz werden. Die weltweite Verstädterung und permanente Staus verschieben den Fokus weg von der Fahrmaschine hin zu der Erlebniswelt im Inneren des Wagens.

Der Innenraum des Citroen Cactus.

Das Interieur des Citroen Cactus bringt das Ikea-Gefühl ins Auto.

(Foto: Pdv02 Production; Citroen)

Getrieben wird dieses neue Automobil-Cocooning durch den Boom der Infotainmentangebote. "Ich finde diese neue digitale Welt in den Interieurs sehr inspirierend", sagt Gorden Wagener. Gleichzeitig fürchtet der Mercedes-Designchef, dass Autos durch das automatisierte Fahren zu besseren Straßenbahnen werden könnten: "Wir dürfen das Automotive-Feeling nicht verlieren", warnt Wagener.

Innovationen nur in serienfernen Studien

Funktioniert moderner Luxus im Auto also nur mit Rückbezug auf die "Ikonen der Vergangenheit"? Tesla kann auf den Fundus einer mehr als hundertjährigen Markentradition locker verzichten. Das Model S versucht gar nicht erst, klassische Vorbilder zu imitieren. Stattdessen wendet sich die junge Firma aus dem Silicon Valley an Leute, deren Leben sich um (Tablet-)Computer dreht. Das Interieur des Elektroautos wurde konsequent um das kluge Infotainmentsystem herum gebaut.

Bisher fallen deutsche Traditionsmarken selten durch frische Interieur-Ideen auf. Einzig BMW i hat mit dem Elektroauto i3 auch formal einen Neuanfang gewagt. Auf dem Genfer Automobilsalon werden solche Design-Innovationen die Ausnahme bleiben. Nur in serienfernen Studien wie dem Rinspeed XchangE dürfen wir weiter vom rollenden Wohnzimmer oder Büro der Zukunft träumen.

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