Geschichte der Elektroautos:Lange Leitung

Elektroautos gab es schon im 19. Jahrhundert. Dann unterlag diese Antriebsform dem Verbrennungsmotor, und es blieb lange still. Jetzt hat die alte Idee eine große Zukunft.

Joachim Becker

Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Das mussten auch die unterlegenen Antriebsformen in der Automobilgeschichte erfahren. Nächstes Jahr feiert der Benz Patent-Motorwagen seinen 125. Geburtstag. Das Dreirad gilt gemeinhin als erstes Automobil, weil es sich deutlich von den Kutschen und Dampfomnibussen seiner Zeit unterschied.

Lohner-Porsche

Zeitmaschine: Beim Lohner-Porsche von 1900 wurden die Vorderräder von elektrischen Radnabenmotoren angetrieben.

(Foto: Porsche)

Fünf Jahre zuvor hatte allerdings der Franzose Gustave Trouvé in Paris ein dreirädriges Elektrofahrzeug vorgestellt. Die E-Maschine und die wieder aufladbaren Blei-Akkus brachten das Vehikel auf bis zu 12 km/h. Schneller waren auch die Dampfwagen dieser Zeit nicht.

Die größten Vorteile des Stromers waren, dass er sich geruchsfrei, fast geräuschlos und recht narrensicher bewegen ließ - was man von den ersten Fahrzeugen mit Ottomotor nicht gerade behaupten konnte.

Doch das änderte nichts am Triumphzug der Knatterkisten. Das filigrane Einzylinder-Dreirad von Benz kam kaum die hügeligen Landstraßen rund um Mannheim hoch. Trotzdem absolvierte Bertha Benz mit ihren Söhnen 1888 die erste Langstreckenfahrt.

Die 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim machten sie und den Motorwagen bekannt. Dass es zu jener Zeit noch keine Tankstellen gab, störte da nicht weiter. Die Pionierin hinter dem Steuer kaufte einfach in einer Apotheke zehn Liter Reinigungsbenzin.

Verglichen mit den schweren Dampfmaschinen der Epoche wirkte das Töfftöff wie ein kleines Säugetier unter Dinosauriern. Die Leistung war mit 2,5 Pferdestärken eher schwächlich. Doch die Viertaktmaschine wog nur rund 100 Kilogramm. Außerdem war die Verbrennung im Zylinder wesentlich effizienter als die feuerspeienden Dampfwagen.

Bis zum beginnenden 20. Jahrhundert war nicht ausgemacht, welche Antriebsart sich bei Automobilen durchsetzen würde. Lange Zeit lag die Dampfmaschine in Führung, denn es gab dank der Lokomotiven genügend Erfahrungen mit dem Heißluftantrieb.

Dampf: schlechter Wirkungsgrad

Ihr größter Nachteil war der schlechte Wirkungsgrad von lediglich sechs bis zehn Prozent. Große Teile der Energie gingen als Abwärme verloren, bevor der Dampf erst einen Kolben und dann die Räder bewegen konnte.

Das Problem war die Trennung von Energiezufuhr und anschließender Umwandlung in mechanische Arbeit. Ein Holz- oder Kohlefeuer musste eine halbe Stunde lang das Wasser im Druckkessel erhitzen, bevor der Dampf den Kolben im Zylinder antreiben konnte. Die kühlenden Komponenten bremsten den Expansionsdrang und ließen die Dampfmaschine gegenüber dem internen Verbrennungsmotor zurückfallen.

Am effizientesten arbeiten Elektromotoren, die bis zu 90 Prozent der eingesetzten Energie in Vortrieb umwandeln können. 1899 hängte Camille Jenatzy mit seinem nahezu lautlosen und mehr als 100 km/h schnellen Elektromobil die lauten und stinkenden Spritschlucker seiner Zeit ab. Doch die 82 Fulmen-Batterie-Elemente des Jamais Contente (französisch: niemals zufrieden) genannten E-Mobils waren schon nach kurzer Zeit erschöpft.

Ein Jahr später entwickelte Ferdinand Porsche das erste Batteriefahrzeug mit Radnabenmotoren. Der Lohner-Porsche wog 980 Kilogramm, wovon allein 410 Kilogramm auf den Akku-Satz entfielen. Immerhin kam der Stromer auf eine beachtliche Konstantgeschwindigkeit von 50 km/h. Doch die Batterien boten nur ungefähr ein Tausendstel der Energiedichte von flüssigem Kraftstoff. Sprich: Sie machten besonders im Winter nach einigen Kilometern schlapp.

Hauptkonkurrent der ersten Dampf- und Elektrofahrzeuge war nicht der Verbrennungsmotor, sondern das Pferd. Eine Pferdekutsche war in Anschaffung und Betrieb wesentlich günstiger als die selbst fahrenden Automobile für spleenige und vermögende Enthusiasten.

Um 1850 warnten Stadtplaner daher, dass die Straßen New Yorks wegen der Zunahme an Kutschen bis zum Jahr 1910 in meterhohem Pferdemist ersticken würden. Noch 1870 ging eine Londoner Prognose davon aus, dass auch die britische Hauptstadt durch den zunehmenden Verkehr im Mist versinken werde.

Kaiser Wilhelm II. ließ sich davon nicht beirren: "Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd", gab der passionierte Reiter 1903 zum Besten. Zuvor hatte er sich den zehnminütigen Startvorgang eines Mercedes Simplex erklären lassen. "Ja, wunderschön Ihr Motor!", ließ der Monarch den Entwickler Wilhelm Maybach wissen, "aber, na ganz so simplex ist er ja auch wieder nicht."

Das Rennen um den besten Antrieb

Das Rennen um den besten Antrieb war zu dieser Zeit noch nicht entschieden: Viele Kunden waren um die Jahrhundertwende von der sanften elektrischen Fortbewegung fasziniert, das zeigen die Zahlen der US-Autoproduktion: 1900 rollten 1688 Dampfautomobile, 1575 Elektrofahrzeuge sowie 929 Autos mit Benzinmotor aus den Werkshallen.

Erst 1911 erfand Charles Kettering, der spätere Entwicklungschef von General Motors, den elektrischen Anlasser. Damit wurde das lästige Ankurbeln des Motors überflüssig. Das Fahren ohne Chauffeur - also die individuelle Massenmobilität - rückte näher. Zudem war Benzin sehr billig, leicht verfügbar und erlaubte viel größere Reichweiten als die Batteriemobilität. Der Siegeszug des Verbrennungsmotors kündigte sich an.

1902 hatte Robert Bosch die Zündkerze und den Hochspannungsmagnetzünder zum Patent angemeldet. Mit den schnellen Funken konnten Fahrzeugmotoren deutlich höhere Drehzahlen und Leistungen erreichen. Die siegreichen Rennwagen jener Zeit waren zum größten Teil mit der Bosch-Zündung ausgestattet.

Vom beginnenden Rausch der Geschwindigkeit hielt Carl Benz nicht viel und warnte vor den absehbaren Gefahren. Doch Rekordfahrten und Autorennen zogen um die Jahrhundertwende die Massen in ihren Bann: Immer mehr Leistung und höheres Tempo waren wesentliche Erfolgsfaktoren für die jungen Automobilmarken. "Der fahrende Rennwagen ist schöner als die Nike von Samothrake", verkündete der Künstler Marinetti im ersten futuristischen Manifest von 1909.

Mittlerweile war absehbar, dass die weitere Entwicklung des Automobils schneller vonstatten ging als die Evolution der Pferdekutsche. Trotzdem steckte die Massenmobilität noch in den Kinderschuhen: "Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde", lautet ein Bonmot von Henry Ford. 1913 führte er das Fließband in der Automobilproduktion ein und machte die Tin Lizzy damit auch für Normalverbraucher erschwinglich.

Eine neue Zeit brach an, die das Leben vieler Menschen enorm beschleunigte. Von alternativen Antrieben wollten die meisten nun nichts mehr wissen. Dabei hatte der Mitteleuropäische Motorwagen-Verein in Berlin 1897 eine hellsichtige Zukunftsvision verkündet: "Das große Gebiet des weiten Landes wird von Oelmotorfahrzeugen durcheilt werden, während die glatte Asphaltfläche der großen Städte von mit Elektrizität getriebenen Wagen belebt sein wird."

Nach der 100-jährigen Dominanz des Verbrennungsmotors könnte sich diese Prophezeiung nun doch noch erfüllen.

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