Brenner-Basistunnel:Augen zu und durch

Immer wieder war die Finanzierung umstritten, und wegen Edmund Stoiber ist Deutschland bis heute nicht beteiligt. Dennoch wird jetzt endlich in Innsbruck die Hauptphase zum Bau des Brenner-Basistunnels eingeläutet.

Michael Frank

Im Inntal bei Baumkirchen in Tirol steht eine Kapelle. Sie wurde 1986 erbaut, ist der heiligen Jungfrau Maria gewidmet und soll den Kampf gegen ein fürchterliches Ungeheuer heiligen: Den Kampf gegen den Transitverkehr, gegen den blechernen Lindwurm, der Tag für Tag ungeheure Mengen an Gütern und Menschen von Deutschland über den Brenner nach Italien und zurück transportiert, der das Land mit Krach und Qualm quält, der Flora und Fauna mit Gift überschüttet und dem Verdienst durch den Tourismus schadet.

Brenner-Basistunnel: Jetzt geht es los: Mit 64 Kilometern soll der Brenner-Basistunnel zum längsten Bahntunnel der Welt werden.

Jetzt geht es los: Mit 64 Kilometern soll der Brenner-Basistunnel zum längsten Bahntunnel der Welt werden.

(Foto: oh)

Die Kapelle steht nicht weit vom sogenannten "Sautrog". So haben die Tiroler Umweltaktivisten die in einer gewaltigen Betonrinne über das Tal geführten Gleise der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) genannt, die Zuführung zum künftigen Brennerbasistunnel.

Am Montag endlich, also 25 Jahre später, nimmt das so umstrittene wie herbeigesehnte Projekt endlich Fahrt auf. In einer Fassung freilich, die nach Ansicht vieler Experten verzagt, kleinlich, und letztlich kaum geeignet ist, das "Heilige Tirol" wirklich von dem alten lärmenden Drachen zu befreien.

64 Kilometer lang soll der Tunnel werden (einschließlich des Zufahrtsstollens von Baumkirchen), der das Inntal unter dem Brennerpass hindurch mit dem Südtiroler Eisacktal verbinden soll. Er wäre dann der längste Bahntunnel der Welt, würde die 57 Kilometer des Gotthard-Basistunnels übertreffen, den die Schweiz gerade in Betrieb genommen hat. Knapp 250 Kilometer Tunnel werden es insgesamt sein, mit Belüftungen, Versorgung, Entwässerung, Sicherheitspfaden.

Die Eröffnung am Montag - die EU-Kommission und die Regierungen Italiens und Österreichs waren hochkarätig vertreten - war ein Meilenstein unter Dutzenden mehr oder weniger verzagten Schritten.

Immer wieder war die Finanzierung umstritten: Der Bau soll acht Milliarden Euro kosten, die sich, realistisch gerechnet, am Ende aber auf 15 Milliarden summieren werden. Obwohl bereits drei Kilometer vom eigentlichen Tunnel bestehen und weitere fünf Kilometer an Zufahrten und Atemlöchern gebohrt wurden, soll mit dem Bau des Hauptasts 2016 begonnen werden. In nur drei Jahren will man dann fertig sein.

Wie kommen die Conatiner auf den Zug?

Heute klettern an die 280 Züge täglich über den Brenner. Durch den Tunnel werden es 400 sein können, in vielfachem Tempo von heute. Das bedeutet: alle 3,6 Minuten ein Zug.

Hier aber beginnt der Kampf um die Brennerbasis. Denn Experten und Umweltschützer monieren, dass keineswegs gesichert ist, die Schwerlasten auch wirklich auf die Bahn zu bringen. Bis heute gibt es kein Konzept für entsprechend leistungsfähige Zufahrten, um die Tunnelkapazität auch gut zu nutzen.

Die Anfahrt von München oder Salzburg über Rosenheim und Kufstein ist solchem Ansturm niemals gewachsen und wird vorerst auch nicht ausgebaut. Der Tunnel, für den es erste Pläne schon Ende des 19. Jahrhunderts beim Bau der heutigen Passstrecke gab, gilt ohnehin vielen Kritikern als zu klein und zu kurz: Es gab Visionen für eine Magistrale München - Verona, die im bayerischen Oberland in der Erde verschwinden und erst zwischen Trient und Verona in Italien wieder auftauchen würde.

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber war einer der Hauptsaboteure einer so großzügigen Alpenmagistrale: Er werde den Teufel tun und das schöne bayerische Oberland verschandeln lassen, meinte er.

Die Politiker der Hauptstadt Wien hielten überdies die Transit-Klagen aus Tirol lange für folkloristische Scherze aufrührerischer Gebirgler. Bis Wien begriff, dass es hier um ernste Klagen geht, dauerte es Jahrzehnte, mussten Autobahnen besetzt und Klagen eingereicht werden.

Als Ende der siebziger Jahre die Schweiz den Alpentransit per Laster drastisch zu verteuern begann, priesen Tiroler Politiker noch den Brenner vollmundig als Ausweichroute an: "Verkehr bringt Leben" ist wohl einer der schönsten und dümmsten Sprüche, wie sie von dem legendären Landeshauptmann Eduard Wallnöfer verbürgt sind.

Der Umstieg auf die Schiene kann nicht erzwungen werden

Tirol ist auf die EU nicht gut zu sprechen, obwohl sie mindestens 20 Prozent der Kosten für den Tunnel übernehmen wird. Den Rest teilen sich Österreich und Italien, dessen südliche Zufahrten mindestens so sehr unter dem Transit leiden. Beide wollen auch noch Deutschland, einen der Hauptverursacher und -profiteur des Transits, zur Mitfinanzierung bewegen.

Das Problem: Die EU erlaubt es aus Wettbewerbs- und anderen, dem freien Markt dienenden Gründen nicht, den Umstieg auf die Schiene zu erzwingen. Die Schweiz etwa kann als Nicht-EU-Mitglied die Lastermaut so lange erhöhen, bis sich die Bahntransporte rentieren.

Außerdem kann sie Quoten erlassen: Tiroler Umweltaktivisten halten das für die wichtigste Maßnahme, dass - beispielsweise - nur die Hälfte dessen, was den Tunnel passiert, über die Autobahn den Pass überqueren darf. Ob es das je geben wird, ist fraglich.

In Tirol hat man versucht, die Höchstgeschwindigkeiten für Lkw zu drosseln und die Maut drastisch zu erhöhen. Alles wurde von EU-Institutionen wegen gemeinschaftswidriger Verstöße wieder kassiert. Am Montagmittag hat man jetzt die "Hauptphase" der Bauarbeiten in Innsbruck eingeläutet. Die Finanzierung ist auch von österreichischer Seite gesichert.

Noch im März hatte es so ausgesehen, als wolle Wien dieses gewaltige Infrastrukturprojekt von europäischer Bedeutung aus fiskalischen Gründen weiter hinauszögern. Wie vieler Stoßgebete es bei der Tunnel-Madonna in der Kapelle von Baumkirchen dafür bedurfte, weiß nur die Muttergottes selbst.

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