Autotest:Abarth 695 Biposto: Liebhaberobjekt für Rennverrückte

Er ist hart, er ist laut, er ist unbequem und unvernünftig. Doch wenn Macken den Charakter formen, dann ist dieser Fiat 500 auf Steroiden ganz und gar großartig.

Test von Felix Reek

Das Erste, was im Abarth 695 Biposto auffällt, ist: Er hat keine Türgriffe. Stattdessen baumeln Schlaufen aus der Verkleidung. Ablagefächer? Gibt es nicht. Das Handschuhfach, ein liebloser Schacht. Ein Radio? Überflüssig. Ein großes Renndisplay ragt aus dem Armaturenbrett. Beim testweisen Drücken der Knöpfe passiert - nichts. Die Federung? Verdient kaum den Namen.

Die Rennversion des Fiat 500 aus Karbon und nochmals Karbon liegt wie ein Brett mit Rädern auf der Straße. Rädern aus Hartgummi, wohlgemerkt. Einen Kofferraum gibt es. Dafür aber keine Rückbank. "Biposto" heißt nämlich "Zweisitzer". Anstelle der Sitze blickt dem Fahrer ein Metallgitter entgegen. Das soll den Abarth verwindungssteifer machen und damit agiler. Renngurte lassen sich daran auch befestigen.

Frischluft kommt durch die Luke

Die Lüftung dient eher Dekorationszwecken. Frischluft kommt so gut wie keine hindurch. Im Biposto ist es immer warm, fast schon stickig. Was nur konsequent ist. Statt herkömmlicher Fenster besitzt der Abarth speziell entwickelte Polycarbonatscheiben, ein Material aus der Luftfahrt. Sie sind ultraleicht, nur öffnen lassen sie sich nicht. Stattdessen gibt es jeweils eine Luke in der Mitte des Fensters, durch die genau ein Arm passt - wenn er nicht allzu dick ist. Jede Fahrt ins Parkhaus wird so zum Abenteuer. Dann nämlich, wenn der Parkschein durch die Luke Richtung Automat gefummelt werden muss.

Überhaupt, diese Scheiben. Allein über sie ließe sich ein kompletter Artikel schreiben. Unglaublich, welche Geräusche sie während einer Fahrt auf der Autobahn produzieren. Rascheln, Klappern, Knarzen, dazu ein hohes Pfeifen, eine Sinfonie der Luftdurchlässigkeit. Denn wirklich dicht sind die Fenster nie. Kühler wird es trotzdem nicht im Biposto. Im Inneren herrscht immer italienischer Sommer. Der Aufpreis für dieses wacklige Stück Luftfahrtplastik: 3500 Euro. Dafür bieten andere Hersteller ganze Komfortpakete.

Das Getriebe kracht und ächzt

Das kann die sogenannte "Klauenschaltung" noch toppen. Sagenhafte 10 000 Euro ruft Abarth dafür auf. Sie soll die Gangwechsel beschleunigen. Sie ragt aus dem Boden des Cockpits hervor wie der eiserne Thron der TV-Serie "Game of Thrones". Blitzendes Metall, offen liegende Mechanik, es gilt die Gänge mit einem lauten Krachen reinzuprügeln, statt einzulegen. Der Versuch, im Stand durchzuschalten, endet in der Anwendung von gar nicht so sanfter Gewalt. Das Getriebe kracht und ächzt. Was laut Handbuch vollkommen normal ist. Besser wird es erst, wenn der Biposto fährt. Wirklich: Alles wird besser, wenn der Biposto erst einmal fährt.

Denn so schrecklich es bis hierher klingt: Der Abarth ist ein ganz wunderbares Auto. Zugegeben, er ist alles andere als perfekt. Man muss mit ihm arbeiten. Aber genau deswegen ist er so fantastisch. Erst die Macken formen den Charakter. Allein dieses explosionsartige Knallen, wenn sich der Turbolader meldet: Herrlich! Oder wie der Abarth am Gas hängt - die kleinste Gaspedal-Berührung und er schießt nach vorne. 1,4 Liter Hubraum und 190 PS, mehr braucht es nicht bei gerade einmal einer Tonne Gewicht. Dafür nimmt der Fahrer die klappernden Scheiben in Kauf.

Unfahrbar auf der Autobahn

Natürlich, ein Auto für Schöngeister ist der Biposto nicht. Die Sitze schlingen sich um den Fahrer wie ein Sumoringer im Todesgriff. Auf der Autobahn ist der Mini-Rennwagen eigentlich unfahrbar, weil die Lenkung so direkt ist, dass es den Abarth bei jeder Bodenwelle zur Seite wirft. Wer an der Auffahrt zu viel Gas gibt, dem verreißt es wegen der Antriebseinflüsse schon mal das Lenkrad. Doch genau diese Eigenheiten machen den "kleinsten Supersportwagen der Welt" (Abarth) zum Liebhaberobjekt für Rennverrückte. Die Italiener bauen nur wenige Exemplare pro Jahr.

Diese Verrückten bekommen dafür aber eines der beeindruckendsten Fahrerlebnisse. In gerade einmal 5,9 Sekunden beschleunigt der Abarth auf 100 Kilometer pro Stunde. Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h. Das bekommt kein normaler Fiat 500 hin. Und der dient immerhin als Basis.

So teuer wie ein ordentlich ausgestatteter Audi Q7

Dafür rufen die Italiener einen horrenden Preis auf: 40 000 Euro. In der Grundausstattung wohlgemerkt. Wer das volle Programm aus Optionen wie "Alumium Motorhaube im Dual-Power-Dome-Design", "Dog Ring-Rennsportgetriebe", "AIM Renncomputer Data Logger MXL2" und "Kit Racing Windows" ordert, landet wie bei unserem Testwagen bei 67 400 Euro. In Worten: Siebenundsechzigtausendvierhundert Euro. Das ist der Preis eines ordentlich ausgestatteten Audi Q 7.

Im Gegensatz zu dem hat der Abarth aber einen enormen Vorteil. Nein, er ist weder groß noch bequem, noch familientauglich. Er hat kein Entertainmentsystem, keinen Staupiloten, kein Head-up-Display. Stattdessen erfüllt er viel unmittelbarere Instinkte: Er macht Spaß. Im ganz ursprünglichen und rudimentären Sinne des Fahrens. Mehr sollte man von solch einem Auto auch nicht verlangen.

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