100 Jahre Zündapp:"Hoppla, Zündapp lebt ja noch"

Motorrad von Zündapp

Die Motorradmarke Zündapp wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden - wenn sie nicht 1984 pleitegegangen wäre.

(Foto: Museum für Industriekultur Nürnberg)

Aber nur in der Erinnerung seiner Fans: 1984 ging der Motorradhersteller zugrunde, sonst wäre er nun 100 Jahre alt geworden.

Von Marco Völklein

Die Urkunde hat Nicolaus Kopf heute noch. Der Chef hatte sie ihm damals, 1981, überreicht, mit Dank für 25 Jahre treue Dienste in der Firma. Nur ein Jahr später war es mit dem Dank vorbei. Kopf gehörte zu denen, die die Firma verlassen mussten. Eine Abfindung bekam der stellvertretende Werbeleiter noch. Dann war Schluss für Kopf bei Zündapp.

Es dauerte dann auch nicht mehr allzu lange und das gesamte Unternehmen war am Ende. 1984 musste Zündapp aufgeben, einer der großen deutschen Hersteller von motorisierten Zweirädern. Die in den Fünfzigerjahren aufgebaute Fabrik im Münchner Stadtteil Ramersdorf wurde nach China verkauft, etwa einhundert Arbeiter benötigten nur gut dreieinhalb Monate, um die Fabrik komplett zu demontieren und in 600 Container zu verpacken. Per Transsibirischer Eisenbahn wurden diese nach Tianjin in der Nähe von Peking verfrachtet. "Die Leistung aus dem Reich der Mitte ist gewaltig", notierte damals ein Reporter der Münchner Abendzeitung.

Werbeprofi Kopf war da schon bei einem anderen Unternehmen untergekommen. Geschmerzt hat ihn das Aus damals dennoch. Bis zuletzt hatte Kopf gehofft, dass sich Zündapp doch noch fängt, wieder auf die Beine kommt. "So eine lange Tradition - auf einmal war sie vorbei", erinnert sich der 1930 geborene Kopf. Erst in diesem Frühjahr war er bei einem 100-Jahre-Treffen von Zündapp-Fans in Sigmaringen zu Gast. Mehr als 1000 Motorräder, Mokicks, Roller und Autos aus längst vergangenen Zeiten waren da zu sehen, ein Oldtimer-Fan war mit seiner Maschine extra aus Polen angereist. Und Kopf hatte plötzlich wieder gemerkt: "Hoppla, das Ganze lebt ja noch." Zumindest in der Erinnerung vieler Zündapp-Anhänger.

Gegründet wurde Zündapp 1917 in Nürnberg als "Zünder und Apparatebaugesellschaft", um die deutsche Artillerie zu beliefern. Nach Kriegsende hatte Firmenchef Fritz Neumeyer die Idee, ein Motorrad für die Masse anzubieten. Mit der Zündapp Z 22 kam 1922 ein ausgereiftes Produkt zu einem akzeptablen Preis auf den Markt, ein "Motorrad für Jedermann", wie es in einer Ausstellung im Museum für Industriekultur in Nürnberg heißt - wenngleich unklar blieb, ob die Franken das Krad von einem britischen Vorbild abgekupfert oder ganz offiziell eine Lizenz erworben hatten. Dank einer kostengünstigen Fließbandproduktion und einem eng geknüpften Händlernetz, das einen zuverlässigen Service garantierte, setzten sich die Maschinen jedenfalls rasch im deutschen Markt durch. "Wer Zündapp fährt, bleibt unversehrt" - so hieß damals ein Spruch unter Motorradfahrern.

Viele konnten sich noch kein Auto leisten - aber ein Motorrad

In den Dreißigerjahren galten die Modelle der K-Reihe als die elegantesten Vertreter des deutschen Motorradbaus, vielen Bürgern ermöglichte Zündapp mit seinen Motorrädern den Einstieg in die individuelle Motorisierung. Später profitierte die Firma stark von Aufträgen der Wehrmacht, in den Propagandafilmen der Wochenschauen drangen deutsche Landser auch auf KS 750-Modellen aus Nürnberg in die Nachbarländer vor. Laut dem Museum für Industriekultur wurden 40 000 Maschinen an die Wehrmacht geliefert.

Die Idee der Massenmotorisierung verfolgte Neumeyer auch in den Fünfzigerjahren; Nürnberg galt damals als Hauptstadt der deutschen Motorradindustrie, bereits in den Zwanzigerjahren entstanden aus einer starken Fahrrad- und metallverarbeitenden Industrie. Neben Zündapp hatten sich Marken wie Hercules, Victoria oder Triumph etabliert, auch Kreidler aus dem schwäbischen Kornwestheim rüstete im Wirtschaftswunderland jene mit Zweirädern aus, die sich ein vierrädriges Gefährt (noch) nicht leisten konnten. Zu Legenden wurden der Zündapp-Motorroller Bella (gebaut von 1953 bis 1964) sowie die KS 601, eine Maschine mit einem durchzugstarken Motor, oft mit Seitenwagen gefahren - und wegen ihres hohen Gewichts und ihrer meist grünen Lackierung augenzwinkernd "grüner Elefant" genannt.

"Die Qualität hat nicht gestimmt"

Zu der Zeit war Nico Kopf schon begeistert von Zündapp-Zweirädern. Sein Vater besaß das Kleinkraftrad Combinette. Als sich dem jungen Mann die Chance bot, 1956 als Assistent in der Werbe- und Presseabteilung bei Zündapp anzufangen, da stieg er ein - zu einer Zeit, in der sich erste Umbrüche in der Branche schon abzeichneten. Denn je besser es den Deutschen ging, desto mehr verschmähten sie das Zweirad - und stiegen um aufs Automobil.

Zündapp reagierte mit dem Janus, einem Kleinstwagen mit 14 PS, bei dem die Fondpassagiere mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saßen. Auch Kopf besaß einen Janus, unternahm sogar Reisen mit dem Winzling, übernachtete auf den umgeklappten Sitzbänken. "Am nächsten Tag ging es weiter", erzählt er. Nach nur zwei Jahren stieß er den Wagen aber wieder ab. "Die Qualität hat nicht gestimmt." Das merkten auch andere: Nach nur einem Jahr stellte Zündapp die Janus-Fertigung 1958 ein, verkaufte die Nürnberger Fabrik an Bosch, baute fortan weder Autos noch Motorräder mit mehr als 250 Kubikzentimeter Hubraum und konzentrierte die Zweirad-Produktion im Werk in München.

Am Ende fehlte den Modellen der nötige "Pfiff und Chic"

Wie so viele namhafte Motorradhersteller, wie beispielsweise Adler, NSU oder Horex, litt auch Zündapp unter dem stetigen Nachfragerückgang. Zündapp-Vergleichsverwalter Eckart Müller-Heydenreich sprach 1984 in der Abendzeitung von einer "katastrophalen Lage der Zweirad-Industrie". Kurz zuvor hatte der Gesetzgeber die Fahrer auch kleinerer Maschinen zum Tragen eines Helms verpflichtet, die Versicherungsprämien für Leichtkrafträder waren teils deutlich gestiegen. Außerdem jagten neue Wettbewerber aus Japan den etablierten deutschen Herstellern mit günstigeren Maschinen Marktanteile ab.

Hinzu kamen hausgemachte Probleme bei Zündapp: Die Modelle aus München seien "altmodisch und hausbacken", zitierte damals der Spiegel in einem längeren Bericht einen Zweiradhändler aus Hamburg; die Maschinen seien "ohne Pfiff und Chic". Auch Vize-Werbeleiter Kopf erinnert sich noch gut daran, wie er und seine Kollegen neidisch auf die asiatischen Konkurrenten blickten. "Die haben viel experimentiert, mit Farbe und Ausstattung", erzählt er. Die meisten Zündapp-Maschinen hätten indes "nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprochen".

Zweirad-Fans sind Kopf und seine Frau trotzdem geblieben, bis heute. Zum Einkaufen oder zu Treffen mit Freunden fahren sie noch immer mit einem Motorroller. Allerdings mit einem von Honda. Seinen letzten Bella-Roller, sagt Kopf, habe er schon in den Sechzigern abgegeben. Der sei ihm irgendwann für die mittlerweile dreiköpfige Familie zu klein geworden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: