100 Jahre Audi: der "Alpensieger":Gipfel-Erlebnis

Vor 100 Jahren wurde die Marke Audi gegründet. Der "Alpensieger" war das erste Erfolgsmodell.

Thomas Wirth

Hart war's, ziemlich hart. "Seit drei Uhr auf den erst gegen Mitternacht zur Ruhe gelegten Beinen", notierte der Chronist. "Beim Erwachen Regen, stundenlanges Warten am Start im Regen", schrieb er weiter, dann die Fahrt, "zehn Stunden davon im Regen" auf Wegen, die "nur bei krankhaftem Optimismus als ,Straßen' bezeichnet zu werden verdienen".

100 Jahre Audi: der "Alpensieger": Auf den Spuren von einst: In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg galten die steilen, noch unbefestigten Alpenpässe als großes Abenteuer für Mensch und Maschine.

Auf den Spuren von einst: In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg galten die steilen, noch unbefestigten Alpenpässe als großes Abenteuer für Mensch und Maschine.

(Foto: Foto: Stefan Warter/Audi)

So informierte im Juni 1914 die Allgemeine Automobil Zeitung ihre Leser über die Österreichische Alpenfahrt. Sie schrieb auch, dass 52 von 75 gestarteten Wagen das Ziel erreichten, trotz aller Strapazen für Mensch und Technik. 1911 hatte die Alpenfahrt zum ersten Mal stattgefunden. Von Jahr zu Jahr war sie anspruchsvoller geworden. So führte sie 1914 über mehr steile Alpenpässe als je zuvor, der Veranstalter hatte zudem die Route verlängert. In sieben Etappen absolvierten die Teams einen 2932 Kilometer langen Kurs durch die damalige Donaumonarchie: Von Wien aus ging es über die Karawanken nach Fiume (heute Rijeka) ans Meer, von dort über Triest in die Dolomiten und nach Bozen, und über Stilfser Joch und Reschenpass nach Innsbruck und die Hohen Tauern zurück nach Wien. Drei Ruhetage gab es, dennoch: Diese Strecke zu fahren, gilt selbst heute noch als Wort, trotz Klimaanlagen, ABS, Navigation - und durchweg asphaltierter, gut gesicherter Straßen.

Fünf Audi Typ C gingen 1914 an den Start, vier davon hatten eine sportliche Kathe-Karosserie mit Bootsheck. Sie gelten seit langem als verschollen. Das Fahrzeug, das Audi heute in der Sammlung hat, stammt aus dem Jahr 1919 und trägt eine viersitzige Tourer-Karosserie, wie sie ab Werk bestellbar war.

Tapfer marschiert der "Alpensieger" auch heute noch auf der alten Route. Steigungen nimmt der 3,6 Liter große Vierzylinder mit stoischer Gelassenheit, doch viel Voraussicht fordern die Bremsen: Tritt der Fuß auf das Pedal, umklammern Backen die Kardanwelle, während die Handbremse - sie liegt als Hebel außerhalb der Karosserie - auf die Hinterräder wirkt. Die Wirkung ist in beiden Fällen eher bescheiden. Also: rechtzeitig in einen niedrigen Gang schalten. Und, nur Geduld.

Die Österreichische Alpenfahrt - einst der härteste Test für Mensch und Material

Damals jedoch durften die Piloten nicht zögern. Es gab Teilstrecken, auf denen sie gegen die Uhr fuhren. Auf den anderen hatten sie Soll-Zeiten einzuhalten, was nicht immer einfach war, wie Firmengründer August Horch notierte. Denn schon am ersten Renntag gruben sich die Wagen bis zu den Achsen in die aufgeweichten Straßen, andere Strecken zeigten sich so rutschig "wie mit Seife überzogen". "Fuhr man über 30 km/h, so lag die Gefahr nahe, dass der Wagen sich quer stellte, zumal die österreichischen Straßen lange Rinnen haben; springt nun der Wagen aus einer derartigen Rinne heraus, so ist er nicht mehr zu halten." Bei einem Unwetter schossen ihm sogar "erbsengroße Kieselsteine" ins Gesicht.

August Horch war Chef der Audi-Werke, die er am 19. Juli 1909 gegründet hatte. Zunächst trug das Unternehmen noch seinen Namen, doch das untersagte ihm bald ein Gericht. Kläger war die A.Horch & Cie., Motorenwagenwerke AG, Horchs erste Firma, die ihrem Gründer und Chefkonstrukteur kurz zuvor fristlos gekündigt hatte. Für Horch war der Motorsport eine ideale Werbemaßnahme und Langstreckenveranstaltungen wie die Österreichische Alpenfahrt galten als härtester Test für Mensch und Material.

Für die Veranstaltung ließ Horch seine Wagen in plakativem Schwarz-Gelb lackieren. Dem Patriarch gefiel der Audi-Auftritt: "Die Wagen waren auffallend, sie waren auch schön und zweckentsprechend, denn sie hatten wenig Luftwiderstand", schrieb er. Als neue Idee ließ er die vier Werkswagen auf die Namen der Fahrer-Frauen taufen: Helene, Anneliese, Liselotte und Marie Audi hießen die Typ-C-Modelle, die unter ihren Spezial-Karosserien robuste Serientechnik verbargen.

Das Ziel war klar. Horch, der gewissenhafte Konstrukteur mit eigener Firma, wollte den opulenten Alpensieger-Pokal endgültig nach Zwickau bringen. In den beiden Jahren zuvor hatte ihn der Kaiserlich-Königliche Österreichische Automobil-Club nur als Wanderpreis ausgelobt, 1914 jedoch sollte die riesige Trophäe für alle Zeiten an den Sieger gehen. Ein besseres Renommee als einen Sieg in diesem strapaziösen Bergmarathon war nicht denkbar: Schon damals wünschten sich Kunden nichts sehnlicher als Zuverlässigkeit.

Vor dem Start wurden alle wichtigen Teile verplombt

Leicht sollte es nicht werden. Schließlich hatte der Veranstalter sein Reglement bis ins letzte Detail ausgetüftelt. Bei der Abnahme vor dem Start versiegelten Sportkommissare alle relevanten Teile mit Plomben. Sogar an die Lüftungsschlitze dachten sie: Hier mussten Drahtsiebe angebracht werden, "damit man mit keinem Instrument in das Innere des Motorraumes gelangen konnte", wie Horch schrieb, der sich erinnerte, dass im Vorjahr ein Teilnehmer "mittels eines Hebels eine Ventilfeder eingehängt" hatte. Doch Reparaturen während des Rennens führten zu Strafpunkten, ebenso sichtbare Defekte, zu langsames Fahren oder falsches Abbiegen. Um Tricksereien zu verhindern, saß in jedem Auto ein Kontrolleur des Kaiserlich-Königlichen Österreichischen Automobil-Clubs.

Da überrascht es, dass am 27. Juni 1914 immerhin 19 Teams Wien erreichen konnten, ohne einen Strafpunkt verbucht zu haben. Auch die fünf Audi-Wagen zählten dazu. August Horch war stolz. Er ließ Anzeigen schalten: "Audi - einzige Automobilfabrik, die innerhalb Jahresfrist sämtliche von ihr bestrittenen internationalen Konkurrenzen mit den ersten Preisen belegte." Und sein Typ C trug nun den verheißungsvollen Namenszusatz "Alpensieger" - in einer Zeit, in der die meisten Menschen die Alpen nur vom Hörensagen kannten.

Doch in Wien war man zunächst ratlos. Es gab fünf Fahrer, die drei Jahre hintereinander ohne Strafpunkte die Fahrt absolviert hatten; allein zwei fuhren Audi. Wem gebührte der Sieg? Der Veranstalter löste das Problem salomonisch: Er behielt den Pokal und verteilte fünf Kopien. Audi bot den Typ C noch bis 1925 an, etwas mehr als 1100 Exemplare ließen sich absetzen. Damit galt er als erfolgreichstes Modell der Marke.

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