48-Volt-Bordnetz:Mit dem neuen A8 will Audi das Autofahren verändern

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Der neue Audi A8, der am 11. Juli debütiert, übernimmt viele Designelemente der Prologue-Studie von 2014. (Foto: Audi)
  • Die Autohersteller erwarten, dass sich die Elektromobilität bald durchsetzt. Den Umschwung sollen vor allem Hybridautos schaffen.
  • Die Zulieferer sind sich da nicht so sicher. Für sie gehört die kurzfristige Zukunft dem 48-Volt-Hybriden.
  • Audi prescht nun vor und integriert das 48-Volt-System in den neuen A8. Und der zeigt, dass die Technik das Automobil in vielen Bereichen verändern wird.

Von Joachim Becker

Diesel im Rückwärtsgang: Der Marktanteil ist innerhalb eines Jahres zweistellig gesunken. Nur noch rund 40 Prozent der deutschen Neuwagenkäufer entscheiden sich für einen Selbstzünder. In Großbritannien und Frankreich sieht es kaum besser aus. Im selben Maße, wie die Ölbrenner verlieren, legen Benziner zu. Und die Flottenverbräuche steigen.

Elektroautos können den Dieselabsturz nicht abfedern. Dafür sind die Stromer (und die Ladeinfrastruktur) noch nicht wettbewerbsfähig genug. Im vergangenen Jahr gab es weltweit zwei Millionen Elektrofahrzeuge. Der Zulieferer Borg Warner schätzt, dass erst ab dem Jahr 2023 dieselbe Anzahl jährlich neu hinzukommen wird. Die Alternative für eine schnelle Energiewende auf der Straße bleibt der elektrifizierte Benziner. Audi, BMW und Mercedes sprechen von einem Siegeszug der E-Mobilität, die 2025 bis zu 25 oder mehr Prozent erreichen soll. Mit reinen Batteriefahrzeugen in China und vornehmlich Plug-in-Hybriden für den Rest der Welt.

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Führende Zulieferer wie Bosch und Continental sind zurückhaltender. Auch deshalb, weil Continental einen dreistelligen Millionenbetrag aufgrund einer verfrühten Elektroeuphorie abschreiben musste. Stärker als auf elektrisches Fahren setzt Firmenboss Elmar Degenhart auf Teilzeitstromer mit geringer Batteriekapazität: "Der Verbrennungsmotor hat seinen Zenit erst noch vor sich. Wir rechnen 2025 mit einem Marktanteil für rein elektrische Antriebe in Höhe von etwa zehn Prozent." Für Hybridantriebe erwartet er dagegen nahezu 30 Prozent.

Gemeint sind weniger die teuren Hochvolthybride, sondern der "Volkshybrid für breite Fahrzeugsegmente", wie Elmar Degenhart das 48-Volt-System nennt. Bosch-Geschäftsführer Rolf Bulander sieht darin ebenfalls eine "attraktive Option" und erwartet einen weltweiten Absatz von 15 Millionen dieser Einstiegshybride für das Jahr 2025. Diesen Marktanteil von etwa 15 Prozent müssen Batterieautos oder Plug-in-Hybride erst einmal schaffen.

Hersteller und Zulieferer sind sich uneins

Schon 1999 stand eine BMW 7er-Studie mit 42-Volt-Bordnetz auf der IAA. Statt den Antriebsstrang zu elektrifizieren, senkten die Hersteller ihre Flottenverbräuche aber erst einmal mit immer ausgefeilteren Automatikgetrieben. Toyota blieb als Hybrid-Pionier über zwei Dekaden unangefochten. Denn die Plug-in-Offensive der deutschen Hersteller kommt im Volumenmarkt nicht an. Statt "das Beste aus zwei Welten" zu kombinieren, packt sie die Kosten des Hochvoltsystems samt Traktionsbatterie auf den herkömmlichen Antriebsstrang mit Verbrenner, Getriebe und Abgasnachbehandlung.

Klaus Fröhlich verteidigt die vermeintliche Brückentechnologie zur E-Mobilität: "Ein Plug-in-Hybrid mit 40 Kilometer elektrischer Reichweite bietet wesentlich mehr als ein 48-Volt-Bordnetz." Durch eine geringe CO₂-Ersparnis seien die relativ hohen Kosten für die zweite Spannungslage schwer begründbar, so der BMW-Entwicklungsvorstand. Stefan Demmerle hält dagegen: "Ein 48-Volt-System liefert 70 bis 80 Prozent der Hybrid-Funktionalitäten bei 20 Prozent der Kosten", kontert der Geschäftsführer der Power-Drive-Sparte von Borg Warner für elektrifizierte Antriebe.

Die leichte Hybridvariante kann fast alles, außer die Räder längere Zeit elektrisch anzutreiben. Der Verbrauch im Normzyklus ist daher viel höher als beim Steckdosenhybrid. Entsprechend unterschiedlich sind die Hybridstrategien der Hersteller: BMW hat es mit 48 Volt nicht eilig. 2019 kommt zwar der überarbeitete Sechszylinder-Benziner mit dem zweiten Bordnetz und einem elektrischen Verdichter. Doch die Serieneinführung bei den volumenstarken Vierzylindern ist erst in der nächsten Dekade geplant.

Mercedes lässt die neuen Reihensechszylinder inklusive Elektrifizierung schon im Juli anlaufen. Im Getriebe der überarbeiteten S-Klasse arbeitet ein 15 kW starker Startergenerator, der 48 Volt für eine besondere Luftpumpe bereitstellt: "Ein Startergenerator addiert seine Leistung 1:1 zur Motorleistung. Beim E-Booster genügen dagegen drei kW elektrische Leistung, um 30 kW zusätzliche Motorleistung zu erzeugen", erklärt Hermann Breitbach, Entwicklungsleiter bei Borg Warner Turbo Systems.

Audi führt das 48-Volt-Bordnetz in der Oberklasse ein

Die wundersame Verzehnfachung der eingesetzten Energie funktioniert im Prinzip wie bei jedem Turbolader: Wenn mehr Luft in den Brennraum gepumpt wird, lässt sich mehr Kraftstoff verbrennen, um mehr Leistung zu erzeugen. Der Clou ist, dass der elektrische Verdichter in 0,3 Sekunden von null auf 70 000 Umdrehungen hochläuft - unabhängig vom Abgasstrom. Anfahrschwäche oder Turboloch sind damit Geschichte, der Benziner wird so durchzugstark wie ein Selbstzünder. Das überzeugt selbst hartnäckige Dieselfans. Vorausgesetzt, die neue Elektrotechnik ist so verbrauchsarm wie ein Ölbrenner - und nicht teurer.

Noch ist die Niederspannung jedoch eine exklusive Angelegenheit. Vorreiter war vor einem Jahr der Audi SQ7 - wahrlich kein "Volkshybrid". Am 11. Juli stellen die Ingolstädter ihr neues Flaggschiff vor. Die vierte A8-Generation macht die höhere Spannungslage zum Standard. Außer den TFSI-Vierzylindern und den Plug-in-Hybriden werden alle Diesel- und Benzinervarianten mit einem wassergekühlten Riemenstartergenerator für das 48-Volt-Hauptbordnetz ausgestattet.

Ist die zweite Spannungslage erst einmal an Bord, lassen sich mit vertretbarem Aufwand ganz neue Funktionen darstellen. Neben dem Fahrspaßbooster zum Beispiel eine komfortable Standklimatisierung ohne laufenden Motor. Auch beim hoch automatisierten Staufolgefahren (zunächst bis 60 Kilometer pro Stunde) kann der Verbrenner im A8 länger ruhen. Stolz sind die Ingolstädter auf eine weitere Funktion, die zum Türöffner für das autonome Fahren wird: ein vorausschauendes, aktives Fahrwerk, das dem Wanken und Wippen auf schlechten Straßen vorbeugt.

Mehr Komfort und Sicherheit

A8-Kunden sollen nicht wie Wackeldackel beim Fahren ständig mit dem Kopf nicken oder hin- und herschlackern. Stattdessen verspricht Audi den Komfort eines fliegenden Teppichs. In Kombination mit einer Luftfederung und einer dynamischen Allradlenkung lässt sich der Aufbau präzise kontrollieren. Gute Nachrichten für die Nutzer von Chauffeurslimousinen, die ohne Seekrankheit im Fond lesen wollen. Profitieren sollen aber auch alle anderen, die sich die Lenkaufgabe von Kollege Computer abnehmen lassen. "Gerade in Hinblick auf das pilotierte Fahren erlaubt dieses neue Komfortniveau eine sinnvolle Nutzung der Reisezeit", sagt Thomas Müller, Leiter Entwicklung Fahrwerk bei Audi.

Gesteuert wird das aktive Fahrwerk unter anderem durch eine Frontkamera und seitliche Radarsensoren: Im Falle eines unvermeidbaren Unfalls kann die betroffene Fahrzeugseite innerhalb einer halben Sekunde um acht Zentimeter angehoben werden: Dadurch zielt der Crash weniger auf den Türbereich, sondern wird stärker vom Schweller abgefangen. Die Frontkamera kann zudem Hindernisse auf der Straße erkennen und die Dämpfer in Millisekunden einstellen. "Die Kamera löst Hindernisse mit einer Höhe von drei bis 15 Zentimetern auf: Wenn das System eine solche Unebenheit erkennt, kann das entsprechende Rad über elektrisch betätigte Aktuatoren nach oben gezogen werden", sagt Müller.

Klaus Fröhlich hatte recht: Allein für 0,7 Liter Spritersparnis werden die Kunden kein 48-Volt-System kaufen. Angesichts der Fülle neuer Funktionen müssen Audis Wettbewerber aber schon bald mit ähnlichen Systemen nachziehen.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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