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„Wir müssen lernen, geschlechterneutral zu denken“
Frauen in so genannten Männerberufen sind keine Seltenheit mehr. Foto: Adobe Stock, KI-generiert
„Frauen entwickeln einen einzigartigen Ehrgeiz“, sagt Claudia Beil, wenn man mit ihr über Frauen im Handwerk spricht. Sie selbst weiß das am besten: Mit knapp 15 Jahren hat sie Metzgerei-Fachverkäuferin gelernt. Seit 1999 arbeitet sie im Malerbetrieb ihres Mannes. Neben ihren administrativen Aufgaben hat sie sich zur Betriebswirtin qualifiziert. Bis vor zwei Jahren war sie regelmäßig im Einsatz auf Baustellen und hat nebenbei 2004 den Arbeitskreis Erding der UnternehmerFrauen im Handwerk Erding e.V. gegründet. Seit 2020 ist sie erste Vorsitzende der UnternehmerFrauen im Handwerk Bayern (UFH). Kürzlich hat sie für ihr Engagement bei den UFH und für das Handwerk in Bayern den Bayerischen Verdienstorden erhalten.
Frau Beil, braucht das Handwerk Frauen?
Claudia Beil: Auf alle Fälle! Frauen können alles genauso gut wie Männer. Hilfsmittel wie Exoskelette erleichtern die körperlich schwere Arbeit. Seit Jahren schon steigt deshalb die Zahl der Frauen in Berufen wie Schreiner oder Dachdecker kontinuierlich. Und sind zwei Eimer auf einmal doch zu schwer, dann geht Frau eben zweimal. Die Männer machen das ja auch: Alle arbeiten heute schonender.
Was macht das Handwerk heute für Frauen interessant?
In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Neben der rein körperlichen Tätigkeit wird das fachliche Wissen immer wichtiger. Auftraggebern ist es letztlich egal, ob ein Mann oder eine Frau das Dach repariert. Auch Teams entwickeln sich positiv weiter, wenn eine Frau dabei ist. Frauen haben andere Ansätze. Sie schauen und arbeiten oft genauer. Zudem sind die Betriebe heute flexibler und familienfreundlicher. Teilzeit im Handwerk ist Standard.
Claudia Beil ist erste Vorsitzende der UnternehmerFrauen im Handwerk und lebt mit viel Engagement das Motto „Handwerk ist hier auch Frauensache“. Foto: privat
Gibt es spezielle Karrieremöglichkeiten für Frauen?
Aufstiegschancen, Weiterbildungen oder Duales Studium sind für Männer und Frauen gleich und super vielseitig. Bereits während der Ausbildung gibt es Weiterbildungen. Mit ein paar Jahren Berufserfahrung nach der Gesellenprüfung hat man automatisch die fachgebundene Hochschulreife. Das wissen viele nicht: Handwerker können ohne Abi studieren. Mit dem Meisterbrief können sich Handwerkerinnen vergleichsweise früh selbstständig machen und selbst verwirklichen. Und das mit bereits mehreren Beitragsjahren auf dem Rentenkonto!
Warum entscheiden sich Frauen gegen eine Ausbildung im Handwerk?
Viele fürchten, dass sie sich in der Männerwelt nicht behaupten können und Vorurteilen begegnen. Auch die Sorge, dass Familie und Freunde die Arbeit in einem Männerberuf nicht gutheißen, spielt eine Rolle. Genau da müssen wir ansetzen. Ob Gesellschaft, Schule oder Eltern: Wir müssen lernen, geschlechterneutral zu denken. Jeder soll vorurteilsfrei das arbeiten dürfen, wofür er sich begeistert.
Was können die Betriebe besser machen, um mehr Frauen für das Handwerk zu gewinnen?
Die Betriebe tun schon sehr viel. Sie werden aber von bürokratischen Auflagen und Vorschriften ausgebremst. Extra Toiletten für Frauen in den Betriebsstätten und auf Baustellen sind ein Beispiel. Vorschriften, wie Frauen zu behandeln sind, welche Fragen man ihnen nicht stellen darf, erschweren die Akzeptanz von Frauen in den Betrieben.
Wie unterstützen die UFH Frauen im Handwerk?
Aktuell setzen wir im Landesverband Bayern mit der Initiative „Handwerk ist hier auch Frauensache“ ein Zeichen: Betriebe können über die UFH-Website das entsprechende Siegel erwerben und sich damit für mehr Gleichberechtigung und Anerkennung von Frauen im Handwerk positionieren. Im Mai 2024 hat der Bundesverband der UFH die „Gemeinsame Erklärung“ vom Bündnis für den Mutterschutz für Selbstständige unterzeichnet. Hiermit setzen wir uns aktiv für die Vereinbarkeit von Selbstständigkeit und Elternschaft ein. Eine Schwangerschaft und damit verbundene pauschale Arbeitsverbote sind für Selbstständige ein unkalkulierbares, wirtschaftliches Risiko. Das darf nicht sein!
In welchen Handwerksberufen sehen Sie das meiste Potenzial für Frauen?
Schreiner und Dachdecker. Beide Berufe sind heute durch zunehmende Maßnahmen zum Arbeitsschutz körperlich nicht mehr so belastend. Wie engagiert die Frauen hier sind, beweist das Netzwerk Dachdeckermädelz: Mit 1550 Followern auf Instagram teilen sie ihre Begeisterung für die Arbeit auf dem Dach und zeigen, wie sie sich gegenseitig unterstützen. Im Selbstmarketing sind Frauen den Männern oft einen Schritt voraus.
Wenn Sie an Ihr 16-jähriges denken: Welches Handwerk würden Sie gerne erlernen?
Schreinerin. Ich mag Holz. Es ist vielseitig, fühlt sich gut an und riecht so gut. Ideen habe ich genug. Für mich ist jeder Beruf ein Handwerk: Wir arbeiten heute alle mit fachlichem Wissen und mit den Händen. Deshalb sollten wir früh anfangen, alle Stärken unserer Kinder zu fördern: Das Handwerk stirbt nie aus.
Interview: Sabine Saldaña Bravo
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