Energieträger

Warum wir jetzt die Molekülwende brauchen

Ohne Molekülwende kann es keine umfassende und erfolgreiche Energiewende geben, denn auch künftig werden wir flüssige und gasförmige Energieträger und Rohstoffe brauchen.

Warum wir jetzt die Molekülwende brauchen

Foto: Adobe Stock

Diese müssen nun zunehmend erneuerbar hergestellt werden, um fossile Produkte zu ersetzen. Dafür lassen die Klimaziele nicht mehr viel Zeit.

Es wird zwar seit etlichen Jahren viel von der Energiewende gesprochen. Gemeint wurde damit bislang jedoch fast immer nur eine Stromwende – und die kam auch vergleichsweise gut voran: Mit einem Anteil von 56 Prozent stammte, der im Jahr 2023 erzeugte und ins Netz eingespeiste Strom nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehrheitlich aus erneuerbaren Energieträgern. Diese Erfolgsgeschichte ist erfreulich, hat jedoch einen Schwachpunkt: Strom deckt derzeit lediglich gut 20 Prozent des Endenergiebedarfs in Deutschland ab. Den großen Rest tragen Moleküle zur Kraft- und Brennstoffversorgung bei. In den anderen EU-Ländern sieht es zum Teil sehr ähnlich aus. EU-weit dominieren Moleküle den Energieverbrauch mit durchschnittlich mehr als 75 Prozent. 

Endenergieverbrauch der EU 27 Länder
Moleküle dominieren mit durchschnittlich über 75 %

Ohne Molekülwende keine Energiewende

Endenergieverbrauch der EU 27 Länder

Grafik: Eurostat 2022/495, en2x

Zwar liegt es auf der Hand, dass eine verstärkte Elektrifizierung künftig einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten kann und wird. Das betrifft zum Beispiel den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen in Gebäuden und elektrischer Antriebe in der Mobilität oder die Umstellung auf strombasierte Prozesse im verarbeitenden Gewerbe. Doch wir sehen auch in Ländern, die Deutschland diesbezüglich in der Entwicklung schon deutlich voraus sind, wie etwa Schweden, dass dort noch immer weit über 60 Prozent des Bedarfs durch Moleküle gedeckt werden. Das zeigt, dass neben der Stromwende hin zu „grünen Elektronen“ auch die Moleküle klimaneutral werden müssen, also Produkte, die heute noch aus Erdgas oder Mineralöl gewonnen werden. Auch diese Moleküle müssen künftig CO-neutral hergestellt und nutzbar sein, um die Klimaziele zu erreichen. Darüber hinaus brauchen wir auch CO₂-neutrale Kohlenwasserstoffe für die stoffliche Nutzung, wie insbesondere in der Chemieindustrie.

Die Stromwende allein reicht also nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Zusätzlich ist eine Molekülwende erforderlich und das bedeutet: Kohlenstoffarm und CO-neutral hergestellter Wasserstoff sowie synthetische und nachhaltige biogene Energieträger und Produkte müssen verstärkt in den Fokus der Politik rücken. Solche alternativen Moleküle stehen dabei nicht in Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und einer sinnvollen Elektrifizierung. Es geht vielmehr darum, ergänzend fossile Energieträger und Rohstoffe dort zu ersetzen, wo rein elektrische Antriebe oder Prozesse technisch an ihre Grenzen stoßen oder wirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Darüber hinaus werden gerade flüssige Energieträger wegen ihrer Flexibilität auch zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit auch im Krisenfall benötigt.

Nicht nur Flugzeuge und Schiffe brachen klimaschonende Treibstoffe

Luftfahrt und Schifffahrt sind Verkehrsbereiche, die größtenteils auch künftig für flüssige oder gasförmige Energieträger prädestiniert sind. Hier zeigt sich auch die globale Dimension der Herausforderungen. Es ist nicht absehbar, dass Flugzeuge für die Mittel­ und Langstrecke oder große Container­ und Passagierschiffe batterieelektrisch betrieben werden. Das gilt auch für Landwirtschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz und Militär: Landmaschinen, Lösch-­ und Bergungsfahrzeuge oder auch Notstromaggregate werden weiterhin flexible und speicherbare Energieträger benötigen. Energiereiche Moleküle werden darüber hinaus für den großen Bestand an Fahrzeugen und Heizungen gebraucht. Trotz fortschreitender Elektrifizierung wird es 2030 bundesweit voraussichtlich noch mehr als 40 Millionen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor und auch weiterhin mehrere Millionen Heizungen für flüssige oder gasförmige Brennstoffe geben. Auch dort sind Klimaschutzoptionen notwendig.

Grüne Moleküle langfristig in großen Mengen erforderlich

Sektorale Unterschiede bei der Machbarkeit eine Markthochlaufs

Quelle und Grafik (Nr. 386a): en2x

Zudem sind einfach transport- und speicherfähige flüssige Energieträger für eine resiliente und möglichst flexible Energieversorgung zur Vermeidung von Engpässen und Abhängigkeiten in Krisensituationen enorm wichtig. Mit Elektronen ist zum Beispiel eine nationale Energiereserve im Umfang von 90 Verbrauchstagen, wie sie heute das deutsche Erdölbevorratungsgesetz für Rohöl und Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin verpflichtend vorsieht, nicht realisierbar. Darüber hinaus bleibt die stoffliche Nutzung von Molekülen – insbesondere Kohlenwasserstoffen – für die chemische Industrie und weitere Industriezweige langfristig unverzichtbar. Sie werden als Einsatzstoffe für die Herstellung einer Vielzahl von Produkten bzw. Vorprodukten benötigt. Wichtige chemische Einsatzstoffe sind beispielsweise Naphtha, Ethylen oder Flüssiggas, die u. a. für die Erzeugung von Kunst­, Schaum­ und Dämmstoffen benötigt werden. Aber auch hochwertiger Schmierstoffe z. B. für Windkraftanlagen oder Elektromotoren bis hin zu Bitumen für den Straßenbau oder für die Abdichtung von Gebäuden werden bislang vor allem aus Erdöl hergestellt und müssen mittel- bis langfristig CO₂-neutral zur Verfügung stehen.

Es ist absehbar, dass, trotz zunehmender Elektrifizierung – gerade im Straßenverkehr und Gebäudesektor – auch 2045 noch mehr als 40 Prozent des heutigen Absatzes von Mineralölprodukten in Form von Molekülen benötigt werden. Es könnten auch mehr als 50 Prozent sein, wenn der Umstieg auf E-Antriebe und Wärmepumpen nicht im politisch angestrebten Umfang erfolgt. Das bedeutet in jedem Fall, dass auch langfristig CO-neutrale Moleküle in sehr großen Mengen benötigt werden.

CO-neutrale Moleküle: Importe sind von großer Bedeutung

Doch wie und wo können diese Mengen in Zukunft produziert werden? Klar ist: Die Molekülwende darf nicht allein auf Wasserstoff reduziert werden. Die Frage, wie wir den Kohlenstoffbedarf unserer Wirtschaft künftig decken können, ist ebenfalls zu klären. Allein die chemische Industrie in Deutschland verarbeitet etwa 21 Millionen Tonnen Kohlenstoff jährlich. Nötig ist darum, zusätzlich zur bestehenden Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, eine umfassende Kohlenstoffstrategie aufzustellen, welche die drei wesentlichen alternativen Kohlenstoffquellen – Biomasse, direkte CO₂-Nutzung und Recyclingströme – einschließt und nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe ermöglicht.

Welche Anteile der benötigten Moleküle in Deutschland z. B. aus Biomasse oder synthetisch aus alternativem Wasser- und Kohlenstoff hergestellt und welche Anteile importiert werden, lässt sich derzeit nicht genau vorhersagen. Zu beachten ist jedoch: Deutschland importiert derzeit rund 70 Prozent der genutzten Energie. Dieser Anteil lässt sich durch erneuerbaren Strom aus heimischen Wind- und Solaranlagen und inländischen biogenen Quellen bei weitem nicht ersetzen. Wir werden also weiterhin ein Energieimportland bleiben – und auch das spricht für grüne Moleküle: Denn der Leitungstransport von Strom über große Entfernungen ist technisch begrenzt.

Globaler Markt für grüne Moleküle als Win-win-Situation

Darum erfordert der Transport erneuerbarer Energie aus dem Sonnen- und Windgürtel der Erde die Umwandlung und Speicherung in Wasserstoff, aber auch dessen Weiterverarbeitung zu Ammoniak, Methanol oder synthetischem Rohöl. Wichtig für das Gelingen der Molekülwende ist daher der weltweite Auf- und Umbau von Produktionskapazitäten und Importstrukturen.

Studien zeigen, dass ein globaler Markt für grüne Moleküle eine Win-win-Situation herstellen könnte, von dem unsere heimische Wirtschaft, z. B. durch Bau und Export dafür notwendiger Produktionstechnologien, genauso profitieren würde, wie die Länder, die CO-neutrale Moleküle erzeugen, für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklungs- und Einnahmechancen entstehen, wenn zugleich angemessene ökologische Standards und Arbeitsbedingungen beachtet werden. Neben dem Transport von Wasserstoff über Pipelines aus Südeuropa und Nordafrika oder Skandinavien ist für große Distanzen der Schiffstransport von flüssigen Wasserstoffderivaten wie Methanol und synthetischem Rohöl eine naheliegende Option.

Denn ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die deutsche Wirtschaft sind ein globaler Handel von Energie und Rohstoffen, die wie heute Rohöl zu Weltmarktpreisen beschafft werden können.

Die Versorgungsstrukturen werden dabei voraussichtlich vielfältiger sein, als sie es heute bei fossilen Rohstoffen und Produkten sind. So können einseitige Abhängigkeiten vermieden werden. Auch für Staaten, deren Volkswirtschaften bislang stark vom Export fossiler Energie abhängig sind, würde ein solcher Markt Perspektiven für eine alternative Wertschöpfung eröffnen. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen, wenn der Klimaschutz global gelingen soll.

Die Molekülwende kann und muss einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz und einer entsprechenden Transformation wichtiger Wirtschaftszweige leisten. Die Voraussetzung dafür ist, dass noch in dieser Dekade die industriellen Projekte, die zur Produktion CO-neutraler Moleküle notwendig sind, auch realisiert werden und das Angebot danach stetig und auf nachhaltige Art und Weise ausgeweitet werden kann. Denn die Zeit drängt.

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