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Interview Pater Anselm Grün

„Wandern bedeutet, dass man in Bewegung bleibt.“

Foto: Katharina Gebauer/wunderlichundweigand

Pater Anselm Grün spricht übers Wandern und den Lebensweg. Der Theologe, Betriebswirt, Vortragsredner und Autor hat ein Buch über das Wanden und Unterwegssein geschrieben.

Ein Mönch ist ein Lebtag lang unterwegs zu Gott – und zu sich selbst, diesen Weg beschreitet Pater Anselm Grün, geboren im Januar 1945 und mit sechs Geschwistern in Lochham bei München aufgewachsen, bis heute. Nach einer anspruchsvollen Position innerhalb der Benediktinerabtei in Münsterschwarzach ist der promovierte Theologe und Betriebswirt als Vortragsredner und Buchautor mit großer gesellschaftlicher Resonanz unterwegs. Dass Wandern für ihn viel mehr ist als bloßes Ausschreiten und Ankommen am Ziel, erklärt er in diesem Gespräch – und in seinem Buch übers Wandern anhand vieler Beispiele aus Philosophie und Psychologie, der Bibel und der Geschichte der Weltreligionen.

Pater Anselm, wann haben Sie das Wandern für sich entdeckt?
Pater Anselm Grün: Als Jugendlicher bin ich viel mit meinen Geschwistern ins Gebirge gegangen, wir waren auch Bergwandern oder sind mit dem Fahrrad rausgefahren. Das hat das Fundament fürs Gehen in der Natur gelegt.

Gibt es ein prägendes Erlebnis aus dieser Zeit?
Ja, einmal sind wir im Nebel gewandert und ich bin über ein Schneefeld abgerutscht. Da hatten meine Geschwister schon Angst, ich bin aber wieder heraufgekrabbelt.

Interview Pater Anselm Grün

Foto: Katharina Gebauer/wunderlichundweigand

Wandern ist gut für die körperliche Gesundheit, aber kann es auch die Seele stärken? Wie haben Sie die wohltuende Wirkung des Wanderns erlebt?
Die Seele lässt sich stärken, indem man Schwierigkeiten überwindet. Wenn es gut geht, krabbelt man wieder heraus. Gerade beim Bergwandern fragt man sich ja, warum tust du dir das an? Man schwitzt und kann nicht mehr. Aber dann stärkt das Weitergehen die – Seele für die Herausforderungen des Lebens.

Gehen Sie auch auf Pilgerschaft?
Dafür habe ich leider zu wenig Zeit. Als Priester habe ich einmal eine Wallfahrt geleitet, und ich gehe kleinere Wallfahrten zu Kirchen in Bayern. Der Weg nach Santiago, er hat mich schon gereizt, doch für den Jakobsweg fehlt mir die Zeit.

Sollte man schweigend gehen, um sich selbst und vielleicht auch Gott zu begegnen?
Wenn ich mit meinen Geschwistern unterwegs bin, reden wir in der Rast, also wenn wir Pause machen. Unterwegs möchte ich immer schweigend gehen und die Schönheit der Natur und auch von Gottes Werk spüren. Wir haben Gott ja lange als überwiegend moralische Instanz betrachtet, für die Urväter des Glaubens spiegelt sich Gott aber auch in der Schönheit. Im Angesicht der Schönheit bekommen wir eine Ahnung von der Idee, die sich Gott von uns Menschen gemacht hat.

In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit der Peregrinatio (dem Leben in der Fremde, Pilgern) und den Wandermönchen. Würden wir besser klarkommen, wenn wir mehr auf den eigenen Füßen unterwegs wären?
Ja, auf jeden Fall. Schauen Sie sich in den Städten um, da sind die Leute nur mit dem Handy vor der Nase unterwegs, und sie wandern schnurstracks auf ein Ziel hin, dass sie möglichst schnell erreichen wollen. Oder sie wandern mit ihrer sportlichen Leistung im Hinterkopf. Dabei bedeutet Wandern, nicht ständig schauen, wie weit ich komme, sondern sich frei gehen von den ständigen Grübeleien und Informationen. Wandern bedeutet nicht, ständig Neues zu erleben, sondern neu zu werden, es bedeutet innere Wandlung.

Man muss nicht alles hinter sich lassen, wenn man heute loszieht, es genügt, sich ganz dem Gehen zu überlassen, schreiben Sie in Ihrem Buch. Was heißt denn das genau?
Die Wandermönche haben einst ihr Hab und Gut verkauft und sind losgezogen. Auf Pilgerschaft heute müssen wir schon etwas mitnehmen, allerdings nicht mehr als wir tragen können. Allein diese Wahrnehmung, dass man mit wenig auskommt, verändert unser Verhältnis zu Besitz und Notwendigem.

Sie schreiben auch, dass man Beziehungen und Konflikte hinter sich lassen sollte beim Wandern, also nicht ständig darüber grübeln?
Für die frühen Mönche bedeutete Wandern Auszug aus der Heimat, der Vaterstadt, den Gewohnheiten und Bindungen, für uns bedeutet es oftmals das Weggehen von Beziehungen, die mich in der Vergangenheit festhalten. Alles Äußere wird bedeutungslos, wenn wir auf dem spirituellen Weg sind, dem Weg vom Sichtbaren zum Unsichtbaren.

„Im Wandern übe ich den inneren Auszug“

Pater Anselm Grün

„Im Wandern übe ich den inneren Auszug“, schreiben Sie. Man löst sich und wird innerlich frei. Ist das das Ziel spirituellen Wanderns?
Ja. Innere Freiheit, ganz im Augenblick sein, die Schönheit Gottes wahrnehmen und ankommen bei Gott und sich selbst, darin würde ich den Sinn des Wanderns sehen. Novalis hat diesen Aspekt des Gehens in seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ in die kurze Frage gefasst: „Wohin denn gehen wir? – Immer nach Hause.“ Die Sehnsucht, über diese Welt hinauszuschreiten auf die eigentliche Heimat zu, sie teilen viele, die unterwegs sind.

Gibt es einen Pilger, den Sie besonders bewundern?
Ja, aus der russisch-orthodoxen Tradition kann ich die „Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers“ nennen, der Verfasser ist uns namentlich nicht bekannt. Die Geschichte dieses Pilgers, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Russland wirkte und das Jesusgebet verbreitete, beeindruckt Gläubige bis heute – weil sie eine tiefgreifende innere Wandlung beschreibt.

Jesus war ein Wanderprediger, folgen wir ihm nach, wenn wir uns auf eine eigene Wanderschaft begeben? Oder braucht es dazu noch mehr?
Es braucht Einsicht und Gebet. Lukas nennt Jesus den „göttlichen Wanderer“. Er wandert mit den Jüngern und kehrt immer wieder ein und erinnert sie und uns an unseren göttlichen Kern. In der Nachfolge Jesu sind wir auf die Gastfreundschaft anderer und der Natur angewiesen. „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“, spricht Christus in Lukas 9,58. Der Mensch ist letztlich unbehaust und im Wandern spüre ich, dass die Welt nicht meine letzte Heimat ist.

Welche Rolle spielt die Natur beim Wandern?
Die heilende Wirkung der Natur hat für mich verschiedene Aspekte. Zum einen bewertet sie nicht. Ich gehöre als Mensch zu ihr, bin Teil alles Lebendigen. Sie nimmt mich an, wie ich bin. Die Natur hatte etwas Mütterliches. Ich fühle mich also nicht nur angenommen, sondern auch getragen und geborgen.

Wo begegnet Ihnen Gott?
In der Stille, beim Meditieren, im Gottesdient und religiösen Ritus, aber auch beim Wandern oder im Gespräch mit jemandem, wo ich merke, sie oder er lässt sich berühren.

Sie leben ja nicht nur in der Kontemplation, sondern halten Vorträge, geben Seminare und schreiben Bücher. Welche Rolle spielt das Wandern bei Ihren Aktivitäten?
Es hält mich körperlich und geistig fit – auch wenn ich im Alltag oft nur am Sonntagnachmittag dazu komme, eine längere Strecke zu gehen. Wenn ich allein gehe, kommen mir neue Gedanken, um was geht es eigentlich, bei den Menschen und bei mir? Grundsätzliche Fragen klären sich. Kennen Sie die altgriechischen Peripatetiker? Sie verfassten ihre Gedanken grundsätzlich, indem in ihren Säulengängen umherwanderten.

Sie haben einen, braucht jeder Mensch einen Kraftort?
Wenn man wandert, geht man oft zu einem bestimmten Ort oder wandert eine bestimmte Strecke. Meine Kraftstrecke ist die Bachallee in der Nähe der Gärtnerei auf unserem Gelände in Münsterschwarzach. Ich mag aber auch sehr den Weg zur kleinen Kapelle bei Aidling, von der aus man einen schönen Blick über den Riegsee ins Gebirge hat. Ganz früher soll sich hier das Heiligtum der Ostara befunden haben, nach der Göttin der Fruchtbarkeit wurde unser Ostern benannt.

Interview Pater Anselm Grün

Foto: Julia Martin, Abtei Münsterschwarzach

Wandern, pilgern … das vereint alle großen Religionen. Warum ist das so?
Das Bild des Weges für das menschliche Leben ist in allen Religionen verbreitet. Der Mensch sucht etwas Heiliges, wobei sich das Heilige oftmals mit dem Heilenden deckt, man denke nur ans Asklepios-Heiligtum oder an Delphi, die zentrale Orakelstätte Griechenlands, wohin die Menschen der Antike pilgerten. Das Heilige vermag zu heilen, sagen die Griechen. Dieselbe Motivation hat die frühen Christen zu den Märtyrergräbern pilgern lassen, auf dem Weg zu innerer Heilung.

Der Glaube findet im Innern statt und kommt beim Wandern zu sich. Würden Sie das unterstreichen?
Ja, wandern bedeutet Ankommen bei sich selbst, und wer sich selbst begegnet, begegnet Gott.

Sie beschreiben sehr schön die Gehworte aus den Psalmen, die man sich beim Wandern vorsprechen kann. Hätten Sie ein Lieblingsgehwort für uns?
Ich habe über zehn Jahre mit Jugendlichen Wanderungen gemacht. Dabei hat uns allen der Psalm 18,30 geholfen: „Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern.“ Ebenfalls aus den Psalmen ist „Du schaffst meinen Schritten weiten Raum“ (Psalm 18,37). Man kann auch das Jesusgebet „Herr Jesus, Christus, erbarme Dich meiner“ aufsagen, das ist nie verkehrt.

Ihre Lieblingswege daheim und in der Fremde?
Viele schöne Wege bin ich mit den Jugendlichen durch den Steigerwald gegangen, 25 Kilometer am Tag. Im Urlaub bin ich oft allein im Steigerwald gegangen.

Wer mit Gepäck und ohne Vorbuchung wandert, ist auf die Gastfreundschaft fremder Leute angewiesen. Wie geht das heute?
Dass wir auf Gastfreundschaft angewiesen sind, ist ein schöner Gedanke. Aber bei fremden Menschen einfach so anklopfen und um Kost und Logis bitten, das kann man kaum mehr irgendwo. Ich selbst bin in Italien vier Tage lang gewandert, aber da hatte ich mich vorher in den Klöstern angemeldet, wo ich auch willkommen war. Klöster sollen Pilger aufnehmen, aber auch bei uns in Münsterschwarzach muss man sich vorher anmelden, weil der Platz begrenzt ist.

Wandern und Wanderschaft ist ein Bild für unser Menschsein auf der Erde. Was empfehlen Sie Menschen, die es noch nicht ausprobiert haben?
Ohne Handy gehen. Am Sonntag drei Stunden durch den Wald gehen und seine Stille und Schönheit genießen. Es ist vollkommen in Ordnung, sich eine Gastwirtschaft als Ziel zu setzen. Oder eine schöne Kirche. Hauptsache, Sie gehen raus und kehren in sich selbst ein.

Buchtipp

Anselm Grün, Wandern. Mehr als Unterwegssein. Vier Türme, Münsterschwarzach, 2024

Interview: Bettina Rubow

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