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Interview Thomas Ortler

Gerichte und Geschichte

Foto: Thomas Tribus

Thomas Ortler ist der Shootingstar der Südtiroler Gourmetszene. Als studierter Sozialhistoriker weiß er der regionalen Küche ganz neue Seiten abzugewinnen

Als Thomas Ortler mit 17 aus Glurns wegging, hätte er nicht gedacht, dass er eines Tages in sein Heimatstädtchen zurückkehren würde. Doch genau da steht der 31-Jährige jetzt am Herd, ein studierter Sozialhistoriker, der seine Großeltern ebenso in Ehren hält wie ihre traditionelle Bergküche – und der zugleich die kulinarischen Einflüsse aus Italien, aber auch der Welt liebt. In seinen Restaurants, dem historischen Flurinsturm und dem Wirtshaus Steinbock, sowie in seinen Büchern verbindet er köstliche Gerichte mit Tradition und Dankbarkeit.

Kompliment für Ihr Kochbuch, Herr Ortler, Sie vereinen leicht nachzukochende Rezepte mit Kochgeschichten und der Geschichte Südtirols …
Thomas Ortler: Für mein Kochbuch bin ich vom einzelnen Haushalt ausgegangen. Ich kann daheim nicht gleich kochen wie im Restaurant, schon weil das Equipment ganz anders ist. Aber ich freue mich natürlich, wenn die Rezepte gut funktionieren.

Wie kommt ein Historiker aufs Kochen?

Das werde ich öfter gefragt. Ich war schon als kleines Kind vor oder neben dem Herd gestanden und bin bei den Großeltern aufgewachsen. Mit elf Jahren habe ich für die Familie gekocht, wenn alle gearbeitet haben. Daheim wurde leidenschaftlich gern gekocht und gegessen, dennoch lag eine Karriere in der Gastro nicht nahe. Niemand, den ich kannte, hat das gemacht. Woraufhin ich das studiert habe, was mir in der Schule am besten gefallen hat, was sicherlich auch am Lehrer lag, nämlich Geschichte auf Master in Wien, Berlin und im europäischen Ausland. Während des Studiums stand ich dann als Aushilfe in einer Profiküche und merkte, das ist ja ein Spirit wie beim Fußball, Teamwork plus Adrenalin.

Thomas Ortler kochte schon als kleiner Junge, ist aber ein Quereinsteiger in der Gourmetküche.

Thomas Ortler kochte schon als kleiner Junge, ist aber ein Quereinsteiger in der Gourmetküche. Foto: Patrick Schwienbacher

Schlutzkrapfen kennt jeder, aber was, bitte, sind Frseiln, Riebl oder Zigori?

Frseiln sind Bohnen, die mein Großvater geliebt hat, frisch aus dem Garten oder getrocknet im Winter … Meinem Vater kamen sie zu den Ohren raus, aber mit dem Überspringen einer Generation liebe ich Opas Pasta & Fagioli. In den „Korrnrliadr“ von Luis Stefan Stecher heißt es: It lai di Räasln plian roat, roat plian aa di Frseiln“ [Nicht nur Rosen blühen rot, sondern auch die Bohnen.] Zigori ist Löwenzahn, dessen Blätter wir als Salat genießen. Und Riebl, das ist ein köstliches Chaos aus Kartoffel- oder Buchweizenteig, in der Pfanne knusprig angebraten. Ein typisches Arme-Leute-Essen, das immer noch sehr vielen sehr gut schmeckt.


In Südtirol herrschte einst wie in vielen Gebirgsgegenden ein Mangel an vielfältigen Lebensmitteln …

Ja, das ist hier ganz anders als etwa in der Po-Ebene. Wir liegen hoch und das Klima ist trocken, daher auch das System der Waale zur Bewässerung. Wir hatten während der k.-und-k.-Zeit mitunter die höchsten Armutsraten. Das wird noch heute in den Geschichten der Bäuerinnen, die ich für mein zweites Buch befragt habe, deutlich. Man hat Respekt vor den Lebensmitteln, die nicht selbstverständlich sind.

Mut zur Innovation trifft Sinn für Tradition: Das ist Thomas Ortlers Erfolgsgeheimnis.

Mut zur Innovation trifft Sinn für Tradition: Das ist Thomas Ortlers Erfolgsgeheimnis. Foto: Patrick Schwienbacher

Was sind denn Ihre liebsten Gerichte mit Geschichte?

In Glurns ist Palabirne das Nationalobst, wenn ich das so sagen darf. Nicht Äpfel, sondern die sogenannte Türkenbirne, die aus dem Orient im 18. Jahrhundert eingeführt wurde. Sie ist auch unsere Sommerapotheke und prägt das Stadtbild mit ihren über zehn Meter hohen Birnbäumen. Besuchen Sie uns einmal zum Palabirnenfest [Palabiratage] oder genießen Sie Anfang September Palabirnen mit frischem Almkäse und Schüttelbrot.


Apropos Haltbarmachen … Fermentieren ist heute angesagt, was fermentieren Sie in Ihrer Küche?

Wir fermentieren nur das, was im Überfluss vorhanden ist. Perfekte Äpfel oder Tomaten versuchen wir reif zu verwerten. Was im Herbst übrig bleibt, fermentieren wir oder wecken es ein. Kürbisse und Kohl für unser Kimchi, aber auch Fleisch nach dem Vorbild der Carne Salada aus dem Trentino. Pflaumen, Zwetschgen, Kaki und Birnen wandern in die Weckgläser – oder werden getrocknet.


Essen ist das wirksamste Gedächtnistraining für Genießer, schreiben Sie in Ihrem schönen Kochbuch, an welches Gericht aus Ihrer Jugend erinnern Sie sich besonders gern?

Meine Leibspeise als Bub war Lasagne, mit den Großeltern verbunden sind Pasta & Fagioli vom Opa und Topfen-Birnen-Schmarrn sowie das Muas von der Oma, bei beiden Gerichten werden Erinnerungen wach.


Welche Südtiroler Tradition mögen Sie besonders gern?

Das Goaßlschnellen [bayr. Goaßlschnalzen] läutet im Mai den Frühling ein, der musikalische Palabirnen-Sonntag im September den Herbst und zu Beginn des Winters kann man beim Sealamorkt [Allerseelenmarkt] nachempfinden, wie es wohl früher zugegangen ist bei uns. Und dann gibt es noch meine kulinarischen Stadtführungen mit verschiedenen Gängen an unterschiedlichen Stationen …

Das Restaurant Flurin im alten Glurnser Gerichtsturm

Foto: Patrick Schwienbacher

Sie kochen an historisch bedeutsamer Stelle, in einem ehemaligen Gerichtsturm in Glurns. Die Stadt, eine der kleinsten im Alpenraum, hat Blüte, Verfall und Wiederaufstieg erlebt und der Turm war immer dabei … was bedeutet das für ein Restaurant?

Die Atmosphäre in einem mittelalterlichen Turm ist besonders, das spürt man bei der Arbeit im Team, aber auch die Gäste spüren, dass hier ein kollektives Gedächtnis beheimatet ist. Und beim Sanieren spürt man es ganz materiell, nichts ist gerade und rechtwinklig, alles braucht eine besondere Behandlung. Wie die Zutaten beim Kochen.

Samtpolster im romanischen Gewölbe des Lokals.

Samtpolster im romanischen Gewölbe des Lokals. Foto: Patrick Schwienbacher

Sie schreiben im Vorwort zu Ihrem Buch, dass Schlutzkrapfen und Speckknödel gar nicht überall in Südtirol auf dem Speiseplan standen?

Ja, das war von Tal zu Tal unterschiedlich, was gegessen wurde und vor allem auch, wie es zubereitet wurde. Schlutzkrapfen etwa kennt man bei uns im Vinschgau traditionell nicht, aber im Pustertal und Osttirol sehr wohl. Bei den Knödeln konnte man sich aufregen über die Tatsache, dass sie bei uns selbstverständlich gedämpft werden, während sie im Unterland gekocht und im Pustertal, fast noch schlimmer, gebraten werden.


Wie ist das mit der Sprachenvielfalt in Südtirol? Was wird bei Ihnen gesprochen?

Die Dialekte unterscheiden sich von Tal zu Tal, wie auf Inseln. Bei uns wurde Rätoromanisch gesprochen, das Ladinische erinnert daran, dass die Grenze zu Graubünden [wo Rätoromanisch bis heute gesprochen wird] nur zehn Kilometer weit weg ist. Dialektwörter und Flurnamen wie Piz Chavalatsch [ein Berg], Tschött [Bewässerungsteich] und Petschlan [Zirbenzapfen] erinnern noch daran.


Ihre Bücher durchweht der Respekt für die Großeltern und generell die Vorfahren in Südtirol. Was haben Sie von Ihnen gelernt?

Außer dem Respekt für Lebensmittel zitiere ich an dieser Stelle gern die Geduld und den Fleiß. Immer am Herd dranbleiben, pflegte meine Großmutter Antonia, genannt Touna, zu sagen. Das kann man wörtlich verstehen, aber auch im übertragenen Sinn.


Sie erzählen auch vom Leid, Südtiroler zu sein, in der neueren Geschichte. Welche Bedeutung hat in dieser Situation das gemeinsame Essen?

Dazu ein bisschen Oral History von meiner Oma. Während der Italianisierung mussten viele Südtiroler ihre Sprache und Gebräuche aufgeben, andere verließen das Land. Im großelterlichen Garten trafen sich die Alpini, italienische Gebirgsjäger, und bereiteten ihre Pasta zu. Dieses köstliche Essen hat sie und die Leute hier vor Ort schon überzeugt, zumal man sich gemeinsam hinsetzte und aß.


Das Interview führte Bettina Rubow.

Über die kulinarischen Schätze Südtirols hat Thomas Ortler zwei Kochbücher geschrieben.

Über die kulinarischen Schätze Südtirols hat Thomas Ortler zwei Kochbücher geschrieben. Foto: Patrick Schwienbacher

Buchtipps

Thomas Ortler, Südtirol, Fine & Fancy. Gerichte & Geschichten von Berg, Tal und Welt. München, 2023. „Nanas Küche“ mit 66 Wohlfühlgerichten und Geschichten von sechs Bergbäuerinnen und ihrer Küche, erzählt und gekocht von Thomas Ortler, ist ebenfalls im Christian Verlag in München erschienen, im Jahr 2025. Die Fotografien beider Bücher stammen von Udo Bernhart. br

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