Peter Karasch zeigt zwei kleine, unscheinbare Pilze: hellbräunlich, genoppte Kappe, ähnlich wie bei jungen Parasolen. Er fragt in die Runde: „Was für ein Pilz könnte das sein? Hat irgendjemand eine Idee?“ Circa 20 Menschen stehen um ihn herum, in einem Waldgebiet bei Bayerisch Eisenstein. Sie nehmen an einer Führung mit dem Titel „Die geheimnisvolle Welt der Pilze“ teil, organisiert von Biologin Heidi Heigl vom Naturpark Bayerischer Wald, mit Karasch als prominentem Führer.
Der 58-Jährige gilt als einer der profiliertesten deutschen Mykologen; er arbeitet unter anderem für den Nationalpark, eine der wichtigsten Institutionen Deutschlands in Sachen Pilzforschung. Im vergangenen Jahr hat Karasch das „Kosmos Handbuch Pilze“ zusammen mit Andreas Gminder neu verfasst, quasi die Bibel der Pilzfans (750 Seiten). Viele der Teilnehmenden sind routinierte Schwammerlsucher, wie sich schnell herausgestellt hat. Doch niemand kann oder will Karaschs Frage beantworten. „Ihr alle kennt den Pilz“, lockt er sein Publikum. Schweigen im Walde. Dann die Auflösung: „Das ist ein junger Fliegenpilz!“ Überraschung, Gemurmel, einige ärgern sich: „Dachte ich mir doch.“

Welcher Pilz ist das? Der Mykologe Peter Karasch präsentiert einen eigentlich bestens bekannten Pilz, den aber niemand identifizieren kann. Foto: Horst Kramer
Peter Karasch nutzt den kleinen Fruchtkörper, um einige Regeln für das Pilzesammeln loszuwerden. „Kinder und Leichen lässt man stehen“, lautet die erste. Der Grund: Junge Pilze sind schwer zu bestimmen, sehr alte oder auch angefressene Exemplare kann man nicht mehr in der Küche verarbeiten. Eine weitere Karasch-Regel heißt: „Um einen unbekannten Pilz sicher zu bestimmen, ist es ratsam, mehrere Altersstufen zu untersuchen.“
Gute zwei Stunden dauert die Führung, die Gruppe durchstreift dabei gerade einmal einen 400 Meter langen Geländestreifen entlang eines kleinen Holzwegs. Umso verblüffender ist die Ausbeute: Rund 30 Pilzarten kann der Experte identifizieren: gleich zum Start einen Steinpilz, später verschiedende Maronen, einige Fleckenstielige Hexenröhrlinge. Zudem Fleischrote Speisetäublinge, unzählige Stockschwämmchen und auch einen Schopftintling, den Pilz des Jahres 2024. Eines ist schnell klar: Der Bayerwald ist ein Paradies für Pilz-Gourmets! Kein Zufall, wie Karasch betont: „Die Umwelteinflüsse sind hier viel geringer, vor allem ist der Boden nicht so übersäuert wie im Flachland.“ Der gebürtige Bochumer lebte viele Jahre in München und war dort Vorsitzender des Vereins für Pilzkunde, er kennt die Region.

Sieht aus wie ein Schwamm, wird aber von manchen Pilzfans wegen ihres nussigen Geschmacks und ihrer bissfesten Konsistenz sehr geschätzt: die Krause Glucke, auch als Fette Henne bekannt. Foto: Horst Kramer

Massenweise Fichtensteinpilze: im Bayerwald normal, andernorts eine Seltenheit. Foto: Horst Kramer

Ein verletzter Flockenstieliger Hexenröhrling: an der Wunde tritt eine Blaufärbung ein, eine enzymatische Oxidationsreaktion. Sie bedeutet nicht, dass der Pilz giftig ist (Stichwort: Blausäure). Er ist weiterhin essbar. Foto: Horst Kramer
Der Bayerwald besteht aus sehr unterschiedlichen Habitaten: dem streng geschützte Nationalpark, an dessen Wegrändern man laut Karasch seit kurzem Pilze sammeln darf, und dem Naturpark Bayerischer Wald, der sich von der Donau bis zur tschechischen Grenze erstreckt, für den ebenfalls besondere Naturschutzregeln gelten. Außerdem gibt es viele private wie staatliche Nutzwälder. Nördlich grenzen die geschützten Naturparks Oberer Bayerischer Wald und Oberpfälzer Wald an.
Wegen dieser Vielfalt kommen in der Region Pilze „in rauen Mengen“ vor, die andernorts inzwischen selten sind. Zum Beispiel Pfifferlinge (bei Fichten, Buchen, Eichen), die Krause Glucke (Tanne, Fichte, Buche, Eiche), der Flockenstielige Hexenröhrling (Laub- und Nadelwälder), der Ästige Stachelbart (auf Ästen morscher Buchen, Eichen, Eschen) oder auch der Gelbe Graustieltäubling (Erlen, Eschen, Fichten).

Ein Pfefferröhrling, die Röhren sind klar zu erkennen: Er ist ein Gewürzpilz, kein Speisepilz! Nur vorsichtig einem Pilzgericht beimischen, sonst wird’s zu scharf, rät Peter Karasch. Foto: Horst Kramer
Einen Tag nach der Führung ging in der Arberlandhalle eine Ausstellung namens „Pilze ohne Grenzen“ über die Bühne, mit zirka 200 Pilzarten, die Karasch und ein achtköpfiges Team in den Tagen zuvor gesammelt hatten und liebevoll arrangiert präsentierten. Es gab auch Überraschendes zu entdecken, etwa Kleidungsstücke, die aus Zunderschwamm, oder Papier, das aus Schmetterlings-Trameten hergestellt worden war. Die Ausstellung zählt zu den Öffentlichkeitsaktionen des trinationalen EU-Projekts „Pilze ohne Grenzen“. Ein Citizen-Science-Projekt, bei dem Karasch als Projektkoordinator fungiert. Ein Ziel ist der Aufbau einer der weltweit größten regionalen Pilz-Datenbanken. Bisher sind schon mehr als 4000 Pilzarten erfasst, mit rund 12.000 Fotos, samt Fundorten und Beschreibungen (www.fungi-without-borders.eu). Das Projektgebiet umfasst den Bayerischen Wald, den Oberpfälzer Wald, große Teile des tschechischen und oberösterreichischen Böhmerwalds.
Ziemlich erfolgreich war unsere Pilzejagd am anderen Tag: Neben vielen Pfifferlingen entdeckten wir zudem ein prächtiges Exemplar eines Schwefelporlings, ein sehr schmackhafter Speisepilz, der im englischen Sprachraum als „Chicken of the Woods“ bekannt ist. Wenn er – wie unser Fundstück – jedoch an einer Eibe wächst, sollte man ihn meiden: Dann ist er giftig!
Horst Kramer
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