NSU 2.0:"Wenn ich könnte, würde ich ganz andere Sachen mit Ihnen machen"

NSU 2.0: Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der NSU-2.0-Drohschreiben, Alexander M., mit seinem Anwalt Marcus Steffel (l.) im Landgericht Frankfurt.

Der Angeklagte und mutmaßliche Verfasser der NSU-2.0-Drohschreiben, Alexander M., mit seinem Anwalt Marcus Steffel (l.) im Landgericht Frankfurt.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Im NSU-2.0-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt sagt der Journalist Deniz Yücel aus. Er wendet sich direkt an den Angeklagten - und wird daraufhin von ihm wüst beleidigt und bedroht.

Von Gianna Niewel, Frankfurt

Der Juli 2020 war besonders schlimm. Da gingen Drohschreiben an die Politikerinnen Janine Wissler und Anne Helm, an den hessischen Ministerpräsidenten und seinen Innenminister, an eine Kabarettistin, einen Rechtsanwalt, die Redaktion von Maybrit Illner. Und das war nur die erste Hälfte des Monats. Am 18. Juli veröffentlichte die Zeitung Die Welt einen Text, wieder waren Mails aufgetaucht, wieder mit Drohungen, wieder mit dem Kürzel NSU 2.0. Diesmal wurde einer ihrer Redakteure erwähnt: Deniz Yücel.

An diesem Donnerstag kommt Yücel vor das Landgericht Frankfurt, es ist der sechste Prozesstag im NSU-2.0-Verfahren. Es geht darin um 116 Drohschreiben, um Mails, Faxe, SMS. Im Juli 2020 wurde auch Yücel in einer Mail erwähnt: "Die Volksschädlinge Deniz Yücel und Hengameh Yaghoobifarah (...) unterliegen von hiesiger Fachdienststelle nämlich der Sonderbehandlung. Irgendeiner muss die Drecksarbeit ja auch machen. Heil Hitler."

Wie er das verstanden habe, fragt ihn die Vorsitzende Richterin.

"Morddrohung oder Mordfantasie"

"Das ist eine Morddrohung", sagt Deniz Yücel. "Sonderbehandlung ist NS-Sprech, das ist eine Morddrohung oder eine Mordfantasie."

Auf dem Holzstuhl, auf dem er sitzt, saßen schon viele andere, die ähnliche Mails bekommen haben, die erzählt haben, dass sie in der U-Bahn fremde Blicke nicht aushalten, dass sie jeden Tag unter Panikattacken leiden, die Brust wird eng, die Arme kribbeln, dass sie durch den Spion schauen, ehe sie die Haustür öffnen. Dass sie Vertrauen verloren haben.

Yücel sagt, er bekomme seit Jahren Drohmails, er habe nicht mehr Angst als sonst.

Zunächst habe er gedacht, das sei "irgend so ein Versager, der in seiner Bude vor sich hinhockt". Aber zwei Dinge beunruhigten. Zum einen der Verdacht, über den die Medien damals berichteten: dass es eine Verbindung zur Polizei in Hessen geben könne, zu Polizistinnen und Polizisten in Frankfurt und Wiesbaden - von anderen Mail-Empfängern waren persönliche Daten an Polizeicomputern abgefragt worden. Auch das hessische Landeskriminalamt habe sich merkwürdig verhalten, erzählt Yücel. Er liest zwei Mails vor, in denen die Ermittler mit ihm Kontakt aufnehmen wollten, die aber offenbar nicht an ihn persönlich gingen, sondern an einen allgemeinen Mailverteiler seiner Zeitung. Er habe daraufhin nicht geantwortet.

Und zum anderen: Selbst wenn vom Verfasser keine unmittelbare Gefahr ausgehe - geht sie vielleicht von anderen aus? Der ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke etwa habe auch Drohmails bekommen, aber nicht von seinem Mörder. "Die einen drohen, die anderen schreiten zur Tat", sagt Yücel. Mit der Konzernsicherheit des Axel-Springer-Verlages jedenfalls habe er nach den Mails Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Die Kosten: 10 000 Euro, der Verlag habe sie übernommen.

Die Mailadresse: türkensau@yandex.de

Von Deniz Yücel aus gesehen links sitzt der Mann, den die Staatsanwaltschaft verdächtigt, die Schreiben verfasst zu haben: Alexander M., 54 Jahre alt, ein arbeitsloser IT-Techniker aus Berlin. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem Beleidigung in 67 Fällen vor, Bedrohung in 23 Fällen, Nötigung in elf Fällen.

Der Angeklagte hat zugehört, als die Vorsitzende Richterin die Mails vorgelesen hat. Er hat zugeschaut, als Deniz Yücel auch noch zwei Mails mitgebracht hatte, die ebenfalls Drohungen enthalten, aber nicht von türkensau@yandex.com geschrieben sind. Sie waren bisher nicht Gegenstand des Verfahrens. Yücel wendet sich direkt an den Angeklagten, ob er die auch geschrieben habe?

Während die Richterin ihn bittet, Unterstellungen zu lassen, ruft der Angeklagte: "Wenn ich könnte, würde ich ganz andere Sachen mit Ihnen machen."

"Oh, was denn?", sagt Yücel.

Und dann sind mehrere Sekunden lang nur einzelne Wörter zu verstehen, weil so viele Menschen gleichzeitig reden, der Angeklagte, sein Verteidiger, Deniz Yücel, die Vorsitzende Richterin. Als sich alle wieder beruhigt haben, nimmt die Richterin die Drohung ins Protokoll auf und - weil Staatsanwaltschaft und Nebenklage darauf bestehen - auch alle Beleidigungen, die der Angeklagte dem Zeugen zugerufen hat. "Mistmade", "Scheißfotze", "duz mich nicht, du Stück Scheiße", "mir ist aber schlecht, wenn ich den sehe". Als die alle notiert sind, immer schön der Reihe nach, können sie weitermachen. Ursprünglich ging es ja um Drohmails.

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