Bundestagswahl:Wo Deutschland die Ampel gewählt hat

Bundestagswahl: Illustration: SZ

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Während Berlin anfängt zu sondieren, geben die Wahldaten eine klare Antwort. Überraschende Wahlergebnisse in Karten und Grafiken - von Querdenker-Hochburgen bis zum Wählerwillen in den Flutgebieten.

Von Sabrina Ebitsch, Markus Hametner, Berit Kruse und Sören Müller-Hansen

Das Selfie vom ersten grün-gelben Spitzentreffen kursierte bereits in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch auf Instagram. Und am Sonntag treffen sich beide auch noch mit den Sozialdemokraten zu ersten Gesprächen. Die Lage ist kompliziert, und noch ist nichts gewiss, aber vieles deutet in dieser Woche - nach einer historischen Wahl - auf eine Ampelkoalition. Es wäre das erste Dreierbündnis auf Bundesebene.

Auch viele Wählerinnen und Wähler haben sich mit ihrer Stimme für eine der drei Parteien ausgesprochen. In dieser Karte mit allen 299 deutschen Wahlkreisen ist der Stimmanteil der Ampelparteien ausgezeichnet: Je dunkler, desto mehr Wählende haben einer dieser Parteien ihre Zweitstimme gegeben. Die hellen Bereiche zeigen, wo die Ampelkoalition keine Mehrheit hätte.

Auch wenn die Grünen in fast allen Wahlkreisen einen größeren Anteil der Stimmen für sich verbuchen konnten als noch 2017, hat ihr Gesamtwahlergebnis sie nach dem zwischenzeitlichen Höhenflug am Ende natürlich enttäuscht - zumal nach einem von Bränden, Fluten und drastischen Warnungen von Weltklimarat und UN geprägten Jahr.

Nach dem Hitzesommer 2018 haben sich die Starkregen- und Flutereignisse dieses Sommers ins kollektive Klimakrisen-Gedächtnis eingebrannt. Für die Menschen in den besonders betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen scheinen die Extremwetter, die Fachleuten zufolge eindeutig in Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, bei der Wahlentscheidung aber nicht ausschlaggebend gewesen zu sein. Zumindest gewinnt die Partei mit den ambitioniertesten Klimaschutzzielen im Wahlprogramm beispielsweise in Erftstadt oder in Ahrweiler nicht mehr hinzu als in nicht betroffenen Gebieten.

Einen Zusammenhang gibt es dagegen zwischen Wahl- und Fahrverhalten: Die Grünen holten dort besonders große Stimmanteile, wo bezogen auf die Bevölkerung viele Elektro- und Hybridautos zugelassen sind. Und in Regionen mit insgesamt weniger Autos wird eher grün gewählt, während es in Wahlkreisen mit hoher Pkw-Dichte eine Neigung Richtung Union gibt - von Ausnahmen wie etwa dem Main-Taunus-Kreis mal abgesehen. Mutmaßlich hat das auch damit zu tun, dass Menschen auf dem Land oder in der Stadt wohnen - in städtisch geprägten Regionen haben die Grünen ohnehin höhere Stimmanteile, CDU und CSU eher in ländlichen.

Immerhin kann die Union bei den Autofahrern also wohl noch punkten. Mancherorts aber kann sie offenbar überhaupt nur noch sehr wenige Menschen von sich überzeugen. In dieser Wahlkreiskarte sind die Waben entsprechend der Platzierung der Union im Parteienranking eingefärbt. Die dunklen Flecken stehen für Wahlkreise, in denen CSU und vor allem CDU nach Zweitstimmen nur noch dritt-, viert- oder gar fünfstärkste Kraft wurden.

Der Absturz der Union mag tief gewesen sein, in manchen Wahlkreisen hat sich ihr Zweitstimmenanteil sogar halbiert oder liegt jetzt im niedrigen zwei-, teils sogar im einstelligen Bereich. Unter die Fünf-Prozent-Hürde ist sie allerdings nirgendwo in Deutschland gerutscht.

Bei anderen Bundestagsparteien ist das durchaus der Fall, insbesondere bei der Linken, die zwar über Direktmandate ins Parlament einzieht, aber bundesweit nur auf 4,9 Prozent kommt. In dieser Karte zeigt sich, dass sich die meisten Wahlkreise, von den ostdeutschen abgesehen, in diesem Votum einig sind. In Deggendorf haben gar nur 1,8 Prozent für die Linke gestimmt. Aber auch die AfD und sogar die Grünen, die fast überall Zugewinne verzeichnen konnten, spielen in einzelnen Wahlkreisen politisch keine Rolle. Die AfD konnte in Köln die wenigsten Wählerinnen und Wähler überzeugen, für die Grünen entschieden sich im Erzgebirgskreis nur etwas mehr als drei Prozent.

Umgekehrt gibt es einzelne Wahlkreise, in denen die Kleinen groß werden, wo also Parteien ohne besondere bundespolitische Bedeutung einen erheblichen Stimmenanteil für sich verbuchen können. Im Norden und im Südosten stark ist vor allem der nur in Schleswig-Holstein angetretene Südschleswigsche Wählerverband, der einen Abgeordneten nach Berlin schickt, und in Bayern sind es die Freien Wähler, die dort mitregieren. Außerhalb Bayerns konnten die Freien Wähler nur in Bitburg punkten.

Wenn Verschwörungsideologen Geld vom Staat bekommen

Die noch junge Partei Die Basis hat es zwar nirgendwo über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Für die erst im Juli 2020 gegründete und aus der verschwörungsideologischen Querdenker-Bewegung hervorgegangene Kleinstpartei muss jedoch auch dieses Zweitstimmenergebnis als zweifelhafter Erfolg gewertet werden. Bundesweit kommt der parteipolitische Arm der Querdenker auf 1,4 Prozent Stimmenanteil und erhält damit wie alle Parteien, die von mehr als 0,5 Prozent gewählt werden, Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Während sie in Berlin gar nicht zur Wahl zugelassen wurde, hat die Basis ihre Hochburgen im Süden, insbesondere in Offenburg. Die Querdenker-Bewegung formierte sich ursprünglich als Sammelbecken von Corona-Kritikern im Raum Stuttgart und wird mittlerweile bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet.

Zum Vergleich: Diese Karte zeigt, welche anderen Kleinparteien wo besonders gut abschnitten. Auch hier tauchen die Freien Wähler und die Querdenker wieder auf, und auch die Tierschutzpartei und das Team Todenhöfer dürfen sich durch ihr Wahlergebnis von mehr als einem halben Prozent über Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung freuen. Sie alle spielen aber beim Blick auf ganz Deutschland keine besondere Rolle in der Liga der Unter-Fünf-Prozent-Parteien. Und außer dem SSW stellt keine der Parteien ein Mitglied des Bundestags.

Welche Wahlkreise so wie Deutschland insgesamt abgestimmt haben, oder außergewöhnlich

Ganz anders als der Rest von Deutschland haben die Menschen im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost gewählt: Dort interessieren sich nur noch sieben Prozent für die Christdemokraten, aber die Grünen sind mit 36,7 Prozent Stimmanteil auf Volkspartei-Niveau. Im Vergleich mit dem Ergebnis der vorigen Bundestagswahl liegt der Wahlkreis voll im Trend: Die Grünen legen deutlich zu, auch die SPD gewinnt. Die FDP gewinnt minimal hinzu, die AfD verliert etwas, Linke und CDU stürzen ab.

Das Gegenstück mit einem absolut durchschnittlichen Wahlverhalten ist der gar nicht so weit entfernte Wahlkreis Berlin-Reinickendorf, wo die Bundestagsparteien ebenso hohe Stimmanteile erhalten wie in Gesamtdeutschland.

Obwohl die Schlangen vor manchen Wahllokalen vielleicht einen anderen Eindruck vermittelt haben, hat sich die Gesamtwahlbeteiligung im Vergleich zur vorigen Bundestagswahl kaum verändert. Vom Durchschnitt von 76,6 Prozent weichen einige Regionen in Deutschland aber erheblich ab: Besonders viele - mehr als 84 Prozent der Wählenden - gaben zum Beispiel in den Wahlkreisen München-Land, Köln II, Starnberg-Landsberg am Lech und Hamburg-Nord ihre Stimme ab. Besonders unmotiviert waren die Menschen in Duisburg II und Anhalt, wo nicht einmal zwei Drittel zur Wahl gingen.

Der Anteil derer, die nicht wählen dürfen, ist übrigens in Berlin am größten: Hier sind fast ein Fünftel als nichtdeutsche Staatsangehörige von der Wahl ausgeschlossen. Auch in Bremen (18,5 Prozent), Hessen (16,6), Hamburg (16,5) und Baden-Württemberg (15,9) dürfen viele nicht wählen. Weitere 14 bis 17 Prozent haben noch nicht das Wahlalter von 18 Jahren erreicht.

Ihren eigenen Wahlkreis und alle sonstige Wahlkreise können Sie auch hier suchen und sich eine Analyse der Wahlergebnisse vor Ort ausgeben lassen - vom Direktkandidaten bis zum Vergleich mit Gesamtdeutschland oder der Wahl 2017:

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