Energiewende:Wind gäbe es genug

Windkraftindustrie

Der erneuerbare Strom soll künftig an immer mehr Stellen zum Einsatz kommen, deshalb muss die Windkraft stärker genutzt werden.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Um die Klimaziele zu erreichen, müssten in Deutschland Tausende neue Windräder aufgestellt werden. Doch der Fortschritt ist viel zu zäh.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es klingt wie eine Jubelbotschaft, aber es ist keine. "Wir sind schon jetzt auf dem Niveau von 2019", sagt Anna-Kathrin Wallasch, als die Folie mit den Balken endlich auf den Bildschirmen erscheint. Wallasch arbeitet für die Beratungsfirma Deutsche Windguard, sie erhebt die Zahlen für den Ausbau der Windkraft. Und wenn nach einem halben Jahr 2021 schon so viel neue Windräder errichtet sind wie nach einem ganzen Jahr 2019 - das ist doch was. Wäre das Jahr 2019 für die Branche nicht so grauenhaft schwach gewesen.

Am Dienstag präsentiert die deutsche Windlobby ihre Halbjahresbilanz, sie soll zumindest eine Trendwende markieren. Windräder mit einer Gesamtleistung von 971 Megawatt wurden in den ersten sechs Monaten an Land installiert, 62 Prozent mehr als im Corona-Frühjahr 2020. "Die Talsohle ist durchschritten", sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE). Und das nach vier Jahren, "die nicht einfach waren". Für das Gesamtjahr erwarten BWE und der Maschinenbau-Verband VDMA nun zwischen 2,2 und 2,4 Gigawatt neue Windleistung. Das entspricht zwischen 550 und 600 neuen Windrädern - jedenfalls bei den mittlerweile gängigen, großen Anlagen.

Nur: Das alles reicht nicht. Ende Juli waren in Deutschland Windräder mit einer Gesamtleistung von knapp 56 Gigawatt am Netz. Um die Republik bis 2045 tatsächlich klimaneutral zu machen, müssten aber nach Auffassung von Experten bis 2030 allein an Land Windräder mit 80 Gigawatt Leistung stehen, und weitere 25 Gigawatt zur See. Entstehen weniger Windparks in Nord- und Ostsee, braucht es entsprechend mehr an Land.

Viele Windräder kommen in die Jahre und müssen abgebaut werden

Die Sache wird erschwert durch den Umstand, dass zeitgleich Tausende Windräder in die Jahre kommen. Allein im ersten Halbjahr wurden bundesweit 135 meist kleinere Anlagen abgebaut. Damit werden zwar auch Standorte für größere Anlagen frei. Aber der Zubau schrumpft unterm Strich auf 831 Megawatt. Umso mehr also muss neu gebaut werden, um bis 2030 tatsächlich 80 Gigawatt Windleistung zu erreichen. So geht auch der Berliner Thinktank Agora Energiewende von durchschnittlich fünf Gigawatt aus, die jährlich neu errichtet werden müssen - mehr als doppelt so viel, als für dieses Jahr veranschlagt ist. "Und die verlorenen Jahre müssen wir auch noch aufholen", sagt Agora-Energiewende-Chef Patrick Graichen. Gelingt das alles nicht, rücken die schönen deutschen Klima- und Energieziele in weite Ferne. "Faktisch brauchen wir zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie, und das auch in Ländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen", sagt Graichen. Das müsse auch die Union spätestens in Koalitionsverhandlungen begreifen. "Andernfalls gibt es ein böses Erwachen."

Schließlich soll der erneuerbare Strom künftig an immer mehr Stellen zum Einsatz kommen: In einer wachsenden Zahl von Elektroautos, in den elektrischen Wärmepumpen von Gebäuden, nach der Umwandlung in "grünen" Wasserstoff auch im Schwerlast- oder Flugverkehr. Erst kürzlich hatte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Prognose für den deutschen Stromverbrauch im Jahr 2030 um zehn Prozent heraufsetzen müssen, auf 655 Terawattstunden. Entsprechend mehr Windräder und Solarparks werden nötig, um bis dahin einen Ökostrom-Anteil von 65 Prozent zu erreichen. Das ist derzeit das offizielle Ziel. "Wir brauchen deutlich mehr Erneuerbare Energien und wir brauchen ein schnelleres Ausbautempo, damit wir unsere ambitionierten Klimaziele erreichen können", sagt auch Altmaier selbst. Er rechne damit, "dass wir den Ausbau der erneuerbaren Energien noch einmal um bis zu ein Drittel steigern müssen".

"Wer Klimaschutz sagt, muss auch Windräder bauen."

Dagegen werfen die Grünen vor allem der Union vor, den Ausbau der erneuerbaren Energien verschleppt zu haben. "Vehement" hätten sich CDU und CSU gegen den Ausbau gesperrt, etwa durch Mindestabstände in Bayern und Nordrhein-Westfalen, kritisiert Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. "Wer Klimaschutz sagt, muss auch Windräder bauen."

Zumindest ökonomisch sind die Bedingungen dafür nicht schlecht. "Augenblicklich rechnet sich die Windkraft, auch angesichts hoher Preise im Emissionshandel", sagt der Eergiewirtschaftler Andreas Löschel, Kopf der Expertenkommission zur Begutachtung der Energiewende. Das macht die Wind- gegenüber der Kohlekraft günstiger. "Was aber fehlt, ist die langfristige Verlässlichkeit." Häufig fehlten die nötigen Flächen, die Genehmigungsverfahren zögen sich in die Länge. Und schließlich stießen Windräder nach wie vor vielerorts auf Vorbehalte. "Man muss die Leute beim Wort nehmen", sagt Löschel, schließlich wollten derzeit alle mehr Klimaschutz. "Und da muss man klar sagen: Das wird nicht klappen, wenn der Ausbau stockt."

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