Gesundheitshochschule:Netzwerk-Meister

Lesezeit: 5 min

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Pfleger, Ärzte und Therapeuten müssen besser und praxisnäher miteinander kommunizieren. Dafür engagiert sich die auf Gesundheits- und Sozialthemen spezialisierte HSG Bochum - mit Erfolg.

Von Holger Pauler

Die Mittagssonne lockt die Studenten der Hochschule für Gesundheit (HSG) Bochum auf den Campus. Der Platz, von grauem Beton und riesigen Glasscheiben eingerahmt, wird zum bunten Sammelplatz. Aus einem Food-Truck wird Essen verkauft. Nebenan, hinter einer riesigen Glaswand, füllen sich langsam die Tische der Mensa - Essen und Smalltalk in entspannter Atmosphäre. Man kennt sich untereinander: Die HSG ist mit ungefähr 1600 Studierenden eine der kleinsten staatlichen Hochschulen in Deutschland sowie die einzige, die sich komplett der akademischen Ausbildung in Gesundheitsberufen widmet - und das seit mittlerweile einem Jahrzehnt.

Professorin Anne Friedrichs ist die Gründungspräsidentin der HSG Bochum. Im Winter wird sie in den Ruhestand gehen. Mit einer Stimme, die Zufriedenheit und Gelassenheit ausdrückt, sagt sie: "Ich bin vor zehn Jahren vom nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium angefragt worden, ob ich mir vorstellen könne, die Hochschule zu gründen. Ich habe nach kurzem Überlegen gerne zugesagt und am 1. November 2009 meine Tätigkeit aufgenommen." Von da an hieß es keine Zeit mehr verlieren: Im Wintersemester 2010/11 sollten schließlich die Bachelor-Studiengänge in der Pflegeausbildung, der Hebammenkunde und den therapeutischen Berufen starten.

Einige Bachelor- und Master- Studiengänge der HSG kann man berufsbegleitend studieren

Die größte Herausforderung war laut Friedrichs, die geeigneten Leute für die Lehre zu finden, da es für die genannten Fächer noch keine akademischen Erfahrungen hierzulande gegeben habe. Man holte Lehrende ins Ruhrgebiet, die in den Niederlanden oder Großbritannien studiert hatten oder die in anderen Fachbereichen tätig waren. Die Motivation war entsprechend groß, da der Bundestag erst kurz zuvor die Modellklauseln in die Berufsgesetze eingebracht hatte, wonach es endlich möglich war, Gesundheitsberufe auch an deutschen Hochschulen zu studieren.

Aus dem Büro der Gründungspräsidentin im fünften Stock geht der Blick Richtung Osten auf die beige-grauen, anonym wirkenden Plattenbauten der Ruhr-Universität Bochum, die an die Zeit erinnern, als neben den Arbeitern der Schwerindustrie endlich auch Studenten an der Ruhr ihre Heimat fanden. Die 1965 gegründete Lehranstalt ist die älteste und mit mehr als 40 000 Studierenden auch größte Universität des Ruhrgebiets. Im Gegensatz zu ihr erscheint die HSG gemütlich. Doch es gibt Gemeinsamkeiten. Beide Hochschulen verbindet ein interprofessioneller Ansatz, das heißt, Dozenten der Ruhr-Uni organisieren Veranstaltungen, an denen Studierende der HSG teilnehmen können und umgekehrt. "Menschen, die erfolgreich mit Patienten arbeiten wollen, müssen miteinander reden und sich austauschen", sagt Friedrichs. "Der Pfleger soll wissen, was der Chirurg oder der Therapeut macht und umgekehrt. Aus diesem Grund arbeitet die HSG intensiv mit den Medizinern der benachbarten Ruhr-Universität zusammen. Erst kürzlich wurde das Projekt "Interdisziplinäres Handeln im Gesundheitswesen (IPHiGen)" abgeschlossen. Weitere gemeinsame Projekte sollen folgen.

Das Studienangebot der HSG wächst stetig. Aus den anfangs fünf Bachelorstudiengängen sind mittlerweile neun geworden. Hinzu kommen zwei Master. Einige Programme kann man berufsbegleitend studieren. Das Angebot verteilt sich auf drei Fachbereiche - die beiden Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften und Community Health sowie das Department für Pflegewissenschaft.

Christina Malow studiert im achten Semester Pflege, mit dem Ziel, den Bachelortitel zu erwerben. Sie arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin in einer Kinderklinik im benachbarten Witten. "Ich habe viel mit Fragestellungen der Medizin, der Pharmakologie oder der sozialpsychologischen Beratung zu tun", sagt die 27-Jährige. Kommunikation sei dabei ein wichtiger Faktor, der sich durch die komplette Studienzeit ziehe. So stehen Dozenten und Studenten auch Bürgern, die im Interprofessionellen Gesundheitszentrum (InGe) der HSG auftauchen, als Ansprechpartner bei Themen wie Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und altersgerechter Gestaltung der Wohnung zur Verfügung.

Doch nicht nur dort probt man den Ernstfall. In den "Skills Labs" werden Szenarien simuliert, die später im Beruf auftauchen. "Es gibt Dinge, die man vorher lieber im geschützten Raum übt, um Handlungsabläufe zu verinnerlichen und Sicherheit zu bekommen. Denn hier können und dürfen Fehler gemacht werden, ohne dass man dabei den Patienten gefährdet", sagt Malow. Dies betrifft etwa die doch sehr intime Situation der morgendlichen Grundversorgung im Bett oder die sterile Wundversorgung. "Dadurch wird uns die Angst genommen, unser Wissen auch tatsächlich in der Praxis anzuwenden", so Malow.

Im dual angelegten Bachelor arbeiten die Studierenden vom zweiten bis siebten Semester insgesamt bis zu 2500 Stunden in Pflegeeinrichtungen - von Kinder- über Alten- bis hin zur Kranken- und Intensivpflege. Pflegestudent Hendrik Watermann hat das komplette Programm absolviert: "Ich konnte während meiner praktischen Ausbildung Einblicke in die Geburtshilfe, in ambulante Pflegedienste, in die Psychiatrie, aber auch in die Intensivstation oder in Altenpflegeheime erlangen", sagt er. Dadurch habe er nahezu das komplette Berufsbild der Pflege kennenlernen können. Nach dem Studium möchte der 23-Jährige sein Wissen im neuen Masterstudiengang "Bildung im Gesundheitswesen - Fachrichtung Pflege" vertiefen, der ihn dazu befähigen soll, später an Aus-, Fort-, und Weiterbildungseinrichtungen des Gesundheitswesens zu lehren.

An einer Hochschule im Ruhrgebiet spielt auch das Thema Diversity eine zentrale Rolle. "Hier leben viele Menschen mit Migrationshintergrund, mit einem anderen religiösen oder familiären Background, in dem Gesundheit und Körperlichkeit anders wahrgenommen werden", sagt Anne Friedrichs. Die entsprechenden Studiengänge sind im Department of Community Health organisiert. Es ist das erste seiner Art, das in Deutschland gegründet wurde. Die englische Bezeichnung hat man auch gewählt, um sich von dem Begriff der "Volksgesundheit" zu distanzieren, der für die menschenverachtende Praxis während der NS-Zeit stand.

Die Hochschule bildet Experten für Diversity aus. Diese haben gute Berufsperspektiven

Während Community Health in den USA längst zum Standard gehört, gibt es aktuell in Deutschland nur einen weiteren Studiengang in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), der die Bezeichnung im Titel trägt. "Hinter dem Begriff Community verbergen sich die gesellschaftlichen Subgruppen, die sich etwa nach Alter, Migrationshintergrund, Geschlecht, Behinderung unterscheiden und die in unterschiedlichen Sozialräumen leben", sagt Dekanin Heike Köckler. Sie leitet auch den Studiengang "Gesundheit und Sozialraum", der sich mit den verschiedenen Sichtweisen zu dieser Thematik befasst. Hierbei geht es nicht nur um die Versorgung von Menschen, sondern auch um Prävention und Gesundheitsförderung. "Wir analysieren Determinanten und Einflussfaktoren, die in der Umwelt oder dem sozialen Umfeld der Patienten zu suchen sind", so Köckler.

Vom Wintersemester 2019/20 an wird das Department of Community Health zudem den neuen Studiengang "Gesundheitsdaten und Digitalisierung" anbieten. "Wir wollen die Studierenden einerseits dafür sensibilisieren, dass sie verantwortlich mit den Daten umgehen, aber auch zeigen, dass künstliche Intelligenz zwar viel, aber nicht alles leisten kann", sagt Köckler. Dabei lernen die Teilnehmer unter anderem, wie sie große Mengen von Daten erheben und aufbereiten - und dabei den Datenschutz wahren. Im Übrigen umfasst die Praxisdatenbank des Departments derzeit mehr als 130 Partner, die Stellen für ein Praktikum anbieten. Diese reichen von der Knappschaft über öffentliche Einrichtungen bis hin zu Patientenverbänden.

Auch mit dem Ziel, die Vernetzung mit anderen Einrichtungen zu fördern, ist die HSG im Sommer 2015 auf das 48 500 Quadratmeter große Areal des Gesundheitscampus NRW in Bochum gezogen. Neben der Hochschule sind dort zahlreiche Firmen und Institutionen aus der Branche angesiedelt. Allein ungefähr 160 Unternehmen sind zum Beispiel im Netzwerk Med-Econ Ruhr organisiert.

Inja Klinksiek arbeitet dort als Projektmanagerin. Die 25-Jährige war eine der ersten Absolventinnen des Studiengangs Gesundheit und Diversity. Wer ihn abgeschlossen hat, kann zum Beispiel in Sozial- und Gesundheitsämtern oder Stadtteilzentren von Kommunen, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden unterkommen, in Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen, bei Verbraucherberatungen, in Gesundheitsdiensten als Diversitymanager oder in Unternehmen als Beauftragter für betriebliches Gesundheitsmanagement.

"Mittlerweile können in der Gesundheitsbranche die meisten etwas mit dem Begriff Diversity anfangen", sagt Klinksiek. Zu Beginn des Studiums sei dies anders gewesen. Ein zäher Prozess: In der Praxis lasse sich gerade am Umgang mit Migrantinnen und Migranten sowie mit Menschen mit Behinderungen erkennen, dass sie im Alltag immer noch täglich benachteiligt werden. Am Ende wolle sie vermitteln, dass es "normal ist, verschieden zu sein".

© SZ vom 18.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: