Islamist:Wie Sami A. vom Routinefall zum Top-Gefährder wurde

Islamist: Sami A., hier 2012 in Bochum, soll gesagt haben, im Fall seiner Abschiebung werde "Deutschland Blut weinen".

Sami A., hier 2012 in Bochum, soll gesagt haben, im Fall seiner Abschiebung werde "Deutschland Blut weinen".

(Foto: WAZ Fotopool/action press)
  • Seit Jahren wird der Islamist Sami A. überwacht. Doch erst vor kurzem ändern deutsche Behörden ihre Einschätzung und schieben ihn nach Tunesien ab, wo er nun freikommt.
  • Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR verändert sich der Blick auf den einst als Studenten eingereisten Sami A. im April diesen Jahres.
  • Ein Mitglied aus dem engsten Familienkreis hat belastende Aussagen bei der Polizei gemacht.

Von Georg Mascolo

13 Jahre lang war der Tunesier Sami A. keines der wirklich drängendsten Probleme der deutschen Sicherheitsbehörden. Zwar gehörte der überzeugte Islamist schon seit 2005 zur Kategorie der sogenannten Gefährder. Aber einen Anschlag traute ihm eigentlich niemand wirklich zu. Das von ihm ausgehende Risiko wurde als "moderat" eingestuft.

Das änderte sich erst Ende Mai diesen Jahres. Sami A. rückte in den Kreis der Top-Gefährder auf, das Risiko wurde von dem für ihn zuständigen Polizeipräsidium in Bochum auf "hoch" heraufgesetzt. Sami A. galt plötzlich als unmittelbare Bedrohung und die Behörden in Nordrhein-Westfalen begründen seine bis heute hoch umstrittene Abschiebung nach Tunesien auch mit dieser Gefährlichkeit.

Diese Abschiebung am 13. Juli wurde alsbald zum Politikum. Ein Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, dass er wegen möglicher Foltergefahr nicht in das nordafrikanische Land abgeschoben werden dürfe, wurde erst übermittelt, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs nach Tunesien war. Das Gericht und Sami A.s Anwältin forderten die sofortige Rückholung des Mannes, die Verwaltungsrichter drohten dem Ausländeramt Bochum sogar ein hohes Zwangsgeld an, sollte A. nicht bis zum 31. Juli zurück in Deutschland sein. Am Freitag nun setzten die tunesischen Behörden A. vorläufig auf freien Fuß, die Terror-Ermittlungen liefen weiter. Nach Angaben der tunesischen Anti-Terror-Behörde kann A. aber vorerst nicht nach Deutschland zurückkommen. Sein Reisepass sei abgelaufen und zudem eingezogen worden. Eine offizielle Ausreisesperre gibt es jedoch nicht.

Wie aber wurde Sami A. nun in Deutschland plötzlich zum Top-Gefährder?

Manche der Kritiker der Entscheidung glauben bis heute, dass vor allem große Schlagzeilen in der Bild- Zeitung über den angeblichen Bin-Laden-Leibwächter, der von staatlicher Unterstützung lebt, und seit Jahren die Gerichte beschäftigt, für die schnelle Abschiebung verantwortlich sind. Näher liegt allerdings, dass Bild den Druck im Fall Sami A. zwar erhöht, die Entscheidungen der Behörden aber einen anderen Grund haben.

Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR veränderte sich der Blick auf den einst als Studenten eingereisten Sami A. im April diesen Jahres. Fast zeitgleich mit den Bild-Schlagzeilen macht ein Mitglied aus dem engsten Familienkreis belastende Aussagen bei der Polizei. Sami A. schaue sich häufig Videos von Bin Laden an und habe die zuletzt stattgefundenen Anschläge, darunter den von Anis Amri auf den Berliner Weihnachtsmarkt, ausdrücklich gutgeheißen. Schließlich mache ihm Deutschland das Leben schwer, die Toten seien eine verdiente Strafe. Dann, so steht es in einem Behördenzeugnis, soll Sami A. noch gedroht haben. Im Falle seiner Abschiebung werde "Deutschland Blut weinen."

Kaum liegt die Aussage vor, beugen sich die Spezialisten bei der Polizei in Bochum noch einmal über die Akte von Sami A.. Bisher war es eher ein Routinefall. Dass er überall als Ex-Leibwächter des inzwischen getöteten Al-Qaida-Chefs firmiert, liegt vor allem an den Aussagen eines früheren Kronzeugen. Gerichte erklärten dessen Aussagen für glaubhaft. Manche Staatsschützer haben da bis heute ihre Zweifel. Nun aber zeigt sich, dass zudem die Ehe von Sami A. seit mehr als einem halben Jahr zerbrochen ist, mangelnde soziale und familiäre Stabilität gelten als besonderes Risiko. Von einer "krisenhaften Zuspitzung seiner persönlichen Situation", ist die Rede. Hinzu kommen die zahlreichen Erklärungen von Landes- und Bundespolitikern, dass Sami A. jetzt endlich abgeschoben werden müsse. Kanzlerin Angela Merkel erwähnt den Fall in einer Bundestagsansprache.

Sami A., so schätzen es die Staatsschützer nun ein, müsse wissen, dass es jetzt ernst werde. Er könnte "seine taktische Zurückhaltung in Bezug auf Gewaltdelikte" aufgeben, heißt es in einem internen Vermerk. Die Kontakte in die gewaltbereite Islamisten-Szene, so ergeben Ermittlungen, werden enger. Hier wird Sami A. angeblich regelrecht verehrt. Sami A. wird mit einem neuen Analyse-Programm des BKA bewertet, RADAR-ITE soll dabei helfen herauszufinden, von wem der aktuell mehr als 770 Gefährder das größte Risiko ausgeht. Sami A. landete bei elf Punkten und damit in der höchsten Kategorie.

774 Gefährder

...mit islamistischem Hintergrund gibt es nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz. So steht es im Bericht für das Jahr 2017, der diese Woche vorgestellt wurde. Das seien "so viele Personen wie nie zuvor, denen wir die Begehung schwerer Straftaten zutrauen", sagte Innenminister Horst Seehofer. Bei der Abschiebung gebe es Verbesserungsbedarf.

Am 25. Juni wird er einer Richterin beim Amtsgericht in Bochum vorgeführt, es geht darum, ob nun Abschiebehaft verhängt werden sollte. Seine Anwältin protestiert, es gebe keine Beweise gegen ihren Mandanten, er werde nun seit langer Zeit überwacht. "Ich propagiere Toleranz ohne Grenzen", gibt Sami A. zu Protokoll. Nie habe er den Anschlag von Amri befürwortet. "Das ist nicht meine Art. Ich bin gegen jede Art von Attentaten und Gewalt." Die Angaben aus dem Familienkreis, so erklärt es Sami A.s Anwältin bis heute, seien allesamt falsch. Es gehe hier um einen privaten Streit.

Die Richterin in Bochum aber glaubt Sami A. nicht, Haftbefehl wird erlassen, von ihm gehe ein "beachtliches Risiko" für die Sicherheit aus. Zudem bestehe Fluchtgefahr, Sami A., so vermuten es die Behörden in Nordrhein-Westfalen, könnte sich mit seinen Kindern in die Türkei absetzen, womöglich mit den Papieren seines Bruders, der ihm zum Verwechseln ähnlich sehe.

So kommt der Tunesier in Haft, die Tore des Abschiebe-Gefängnisses in Büren bei Paderborn öffnen sich für ihn erst wieder am 13. Juli gegen kurz nach 3 Uhr morgens. Polizisten bringen ihn zum Flughafen in Düsseldorf, für den Transport nach Tunesien steht ein Charter-Flugzeug bereit. Ohne auf den Abschluss der noch vor dem Verwaltungsgericht laufenden Verfahren zu warten, wird Sami A. abgeschoben. Selbst manche Hardliner in den Sicherheitsbehörden schütteln den Kopf über die Aktion. Sami A. saß in Haft, den Ausgang der Prozesse hätte man in Ruhe abwarten können. Eine Gefahr ging - jedenfalls solange er hinter Gittern saß - von ihm nicht mehr aus.

Das jedenfalls kann man nicht von allen Gefährdern in Deutschland sagen.

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