Zwei Millionen Jahre alter Hominide:Hände wie ein Klavierspieler

Zwei Millionen Jahre alter Hominide: Die Abbildung zeigt eine Rekonstruktion des Australopithecus sediba in der Mitte - zwischen den Skeletten eines modernen Menschen und eines Schimpansen.

Die Abbildung zeigt eine Rekonstruktion des Australopithecus sediba in der Mitte - zwischen den Skeletten eines modernen Menschen und eines Schimpansen.

(Foto: AFP)

Der zwei Millionen Jahre alte Australopithecus sediba hatte Hände wie ein heutiger Mensch, aber Arme wie ein Schimpanse - und stellt die Forschung vor die Frage: Ist er der Urahn des Menschen?

Von Hubert Filser

Eigentlich befand sich Matthew am 15. August 2008 nur auf einem Spaziergang mit seinem Vater und dem Hund Tau. Doch dann machte der heute 14-Jährige in einer eingestürzten Karsthöhle 40 Kilometer nördlich von Johannesburg einen Fund, der bis heute die Wissenschaft beschäftigt: Er hatte das Schlüsselbein eines Vormenschen entdeckt, wie sein Vater erkannte, der Paläoanthropologe Lee Berger von der Universität Witwatersrand. Es waren die Überreste einer bis dahin unbekannten Hominiden-Art, des Australopithecus sediba, einem Wesen zwischen Affe und Mensch. Vor ziemlich genau zwei Millionen Jahren waren einige dieser Vormenschen wohl kurz nacheinander durch eine Öffnung im Höhlendach 30 Meter in den Tod gestürzt.

Drei in Teilen phantastisch gut erhaltene Individuen haben die Forscher um Lee Berger mittlerweile ausgegraben. Die Zähne, ein Schädel, sogar die fragilen Rippenknochen sind erhalten. Nach fünf umfangreichen Publikationen im September 2011 legen Berger und 25 Kollegen nun in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science sechs weitere Veröffentlichungen zu ihrem Fund aus der Malapa-Höhle nach (Bd. 340, S. 163f und online).

Die Forscher beschreiben eine "mosaikartige Anatomie" des Australopithecus sediba. Diese unterscheide ihn sowohl von anderen Australopithecinen als auch von frühen Vertretern der Gattung Mensch. Dabei war Australopithecus sediba in manchen Eigenschaften sogar dem modernen Menschen durchaus ähnlich.

So gleichen seine Hände unseren heutigen, sagt Berger, mit ihnen hätte man Klavier spielen können. Andere Details der Malapa-Wesen, etwa die Fersen, die Schultern oder auch die langen Arme erinnern eher an Schimpansen. Die Vormenschen konnten zwar aufrecht laufen, aber irgendwie lustig verdreht. Sie rollten die Füße vermutlich von außen über die Ferse und die schmale Außenseite des Mittelfußes nach innen. Sie konnten gut klettern, hatten ein kleines Gehirn und aßen harte Baumrinde, Blätter, Gräser und Früchte.

Zweifel an der These

Die neuen Untersuchungen bestätigen somit, was die Forscher schon 2011 fanden: eine Mischung aus anatomisch primitiven und menschenähnlichen Merkmalen. Mit dieser Erkenntnis begründet Berger sein Anliegen. Er will die Wesen von Malapa als die lange gesuchten Bindeglieder zwischen den noch affenähnlichen Australopithecinen und den ersten Vertretern der Gattung Mensch einordnen.

"Australopithecus sediba stammt sicher nicht von einer Art aus Ostafrika ab, also nicht von Lucy und dem Australopithecus afarensis", sagt Berger. "Er könnte aber der beste Kandidat für einen frühen Vorfahren der Gattung Mensch sein." Demnach wäre die Wiege der Menschheit in Süd- und nicht in Ostafrika zu verorten.

Viele Paläoanthropologen zweifeln allerdings an Bergers These. Schließlich ist der älteste Fund der Gattung Mensch, ein Unterkiefer aus Äthiopien, 2,4 Millionen Jahre alt - 400.000 Jahre älter als die Malapa-Australopithecinen. Berger sucht jedoch weiter selbstbewusst nach dem Missing Link - im Sommer gräbt er weiter in der Malapa-Höhle. Wie überzeugt Berger ist, darauf deutet auch eine von ihm gefertigte Zeichnung des Vormenschen hin, die Science veröffentlicht hat. Sie zeigt das Wesen von Malapa mit ausgestreckten Armen in der Pose von da Vincis berühmter Proportionsstudie des vitruvianischen Menschen.

Kollegen haben Berger aufgrund seines Auftretens schon mal als Großmaul der Feldforscher bezeichnet. Dennoch sind die Funde zweifellos wichtig, und Berger wertet die Daten verhältnismäßig schnell und gründlich aus. So wird sein Team wohl weitere Veröffentlichungen nachlegen. Berger kündigte bereits die Beschreibung einer neuen Fuchsart an, deren fossile Überreste er ebenfalls in der Malapa-Höhle gefunden hat. Außerdem seien dort noch mehr als 300 menschliche Überreste im Kalkstein verborgen.

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