Zur Gerechtigkeit im Klimaprozess:Eine Welt, zwei Maßstäbe

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Solange die reichen Staaten kein klimaverträglicheres Wirtschafts- und Wohlstandsmodell vorführen, haben sie für den Rest der Welt keine Legitimation für weiterreichende Forderungen.

Wolfgang Roth

Die Erderwärmung ist, soweit sie durch menschliches Handeln verursacht wird, ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Ungewiss vor allem deshalb, weil im Moment nicht absehbar ist, in welchem Umfang die Staatengemeinschaft zum Gegensteuern fähig und bereit ist.

Dass in den achtziger Jahren relativ rasch auf die Zerstörung der Ozonschicht reagiert wurde, hatte einen Grund: Ersatzstoffe für die schädlichen Chemikalien existierten bereits und versprachen den Produzenten in den mächtigen Nationen neuen Gewinn. Der Kampf gen den Klimawandel ist dagegen nicht nur eine gewaltige ökonomische und technologische, sondern auch eine moralische Herausforderung.

Die moralische Komponente war schon 1992 in dem UN-Rahmenabkommen von Rio verankert, wo die "gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung" der Nationen proklamiert wurde. Damit war klar, dass in erster Linie die Industrieländer in der Pflicht sind, weil sie den Löwenanteil der Treibhausgase in die Atmosphäre verfrachtet haben.

Die gefährlichsten Folgen aber sind gerade in ärmsten Gegenden der Erde zu erwarten. Klaus Töpfer, der ehemalige Leiter des UN-Umweltprogramms, nannte das die "ökologische Aggression".

An dieser Lage hat sich nicht viel geändert: Selbst die EU, die sich dem Klimaschutz-Protokoll von Kyoto verpflichtet hat, erreicht ihre Minderungsziele nur, weil nach dem Kommunismus auch die Industriekomplexe in den Staaten des Ostens zusammenbrachen. Die bescheidenen Fortschritte werden nun durch das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern und den Schwund der Tropenwälder zunichte gemacht.

Begegnung in der Mitte

Solange die reichen Staaten aber nicht vorführen, dass ein klimaverträglicheres Wirtschafts- und Wohlstandsmodell möglich ist, haben sie für den Rest der Welt keinerlei Legitimation für weiterreichende Forderungen. Letztlich gibt es kein moralisches Argument, das den einen mehr Recht zur Verschmutzung der Atmosphäre zubilligt als den anderen.

Noch immer verursacht aber ein Deutscher im Durchschnitt mindestens dreimal so viel schädlichen Kohlenstoff wie ein Chinese, ein Amerikaner mindestens fünfmal so viel. Ein Handelssystem, das jedem Erdbewohner dasselbe Kontingent zugesteht, ist noch Utopie. Es setzt voraus, dass neben dem Klimawandel das Bevölkerungswachstum gebremst wird, was nicht ohne Bekämpfung der Armut, des Bildungsmangels und der Benachteiligung von Frauen möglich ist.

Wenn die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden soll, müssen sich China, Indien, Europa und die USA auf einem Niveau begegnen. Dies ist zwangsläufig ein Level, der den klassischen Industriestaaten eine starke Minderung der Klimagase abverlangt und den anderen eine begrenzte Zunahme zugesteht.

© SZ vom 31.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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