Zoologie:Tiere sind auf Plastik-Flößen nach Amerika gefahren

Massenmigration im Meer nach Tsunami in Japan

Massenmigration im Meer: Eine japanische Boje, am Strand von Oregon mit Muscheln, Rankenfüßern und Seeanemonen.

(Foto: dpa)
  • An Stränden in den USA wurden Plastikteile mit fremden Arten angeschwemmt.
  • Sie kommen aus Japan, wo Tausende Teile 2011 ins Meer gespült wurden.
  • Verschiedene Meereslebewesen haben diese als Floß genutzt und sind damit in die USA umgesiedelt.

Von Tina Baier

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat an der Westküste der USA eine Invasion stattgefunden. Hunderte Muscheln, Schnecken, Pocken und sonstige Meerestiere haben in den vergangenen Jahren auf Plastikflößen den Pazifik zwischen Japan und Nordamerika überquert, schreiben Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Science. Auslöser des Massenevents war das Seebeben, das im Jahr 2011 die Tohoku-Küste Japans erschüttert und Teile des Atomkraftwerks in Fukushima zerstört hat.

Der auf das Beben folgende Tsunami hat unzählige Trümmer ins Meer gespült. Diese wurden offenbar noch in japanischen Gewässern von verschiedenen Meereslebewesen besiedelt und als eine Art Floß genutzt, das sie bis an die US-Küste trug.

Die amerikanischen Meeresökologen haben insgesamt 634 Objekte untersucht, die an der US-amerikanischen Küste angeschwemmt wurden. Sie fanden darauf 289 verschiedene Spezies aus Japan: darunter auch größere Tiere wie Krebse und sogar Fische, die die lange Fahrt in wassergefüllten Löchern überstanden hatten. Viele der Tiere haben aber nicht nur überlebt, sondern konnten sich unterwegs sogar vermehren. Das größte Floß, das die Wissenschaftler fanden, war ein zwölf Meter langes Dock, das im Juni 2012 an einem Strand in Oregon ankam.

"Als wir zum ersten Mal Arten aus Japan in Oregon fanden, waren wir geschockt"

Wenig später entdeckten die Forscher das Wrack eines Fischerboots, das mit einer japanischen Pockenart übersät war. Viele Organismen nutzten aber auch kleinere Plastikteile für ihre Reise über den Ozean. Die meisten kamen in den Jahren 2012 bis 2014 in Amerika an. Doch auch dieses Jahr fanden die Wissenschaftler noch lebende Organismen auf Trümmern, die offensichtlich schon 2011 ins Meer gespült worden waren.

"Als wir zum ersten Mal Arten aus Japan in Oregon fanden, waren wir geschockt", sagt John Chapman von der Oregon State University, der an der Studie beteiligt war. "Wir hätten nie gedacht, dass diese Organismen auf dem offenen Ozean so lange überleben können." Ein Floß mitten auf dem Meer ist nämlich ein lebensfeindlicher Ort - vor allem für Lebewesen, die eigentlich an seichte Küstengewässer angepasst sind.

Sie finden dort viel weniger Nahrung und sind außerdem starker UV-Strahlung ausgesetzt. Zu den Langzeitüberlebenden, die sechs Jahre lang unterwegs waren und dabei bis zu 7000 Kilometer zurückgelegt haben, gehört die Miesmuschel Mytilus galloprovincialis und die Seepocke Megabalanus rosa.

Dass Tiere mit im Wasser treibenden Trümmern über das Meer schwimmen, ist schon länger bekannt. Wahrscheinlich wurden auf diese Weise zahlreiche Inseln vom Festland aus besiedelt. Neu ist aber, dass sie nicht Holzstücke oder andere natürliche Materialien als Floß benutzen, sondern von Menschen gemachtes Plastik. Anders als Holz, das nach kurzer Zeit verrottet, kann Plastik jahrzehntelang im Meer überdauern. Die Passagiere auf solchen Flößen können also viel weitere Strecken zurücklegen. Noch konnten die Wissenschaftler nicht nachweisen, dass sich Ankömmlinge aus Japan dauerhaft in den USA angesiedelt haben. Ob ihnen das gelingt, hängt unter anderem davon ab, ob genügend Individuen überlebt haben, um sich in der neuen Heimat zu vermehren.

"Es würde mich aber sehr wundern, wenn das keiner dieser Organismen schaffen würde", sagt Chapman. Welche Folgen das für die jetzt dort lebenden Tiere und Pflanzen hat, ist noch nicht absehbar. Grundsätzlich ist die Einwanderung neuer Arten nichts Negatives. Aus ökologischer Sicht problematisch kann es erst werden, wenn sich die Neuankömmlinge so stark ausbreiten, dass sie einheimische Tiere verdrängen.

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