Zoologie:Liebe Delfine, wir müssen reden!

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Denise Herzing mit zwei Mitarbeiterinnen: Der wasserdichte Computer soll eines Tages Delfin-Laute übersetzen. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Sie sind die einzigen Tiere, die sich Namen geben. Dank der Echosignale von Artgenossen wissen sie, was sich diese gerade ansehen. Der nächste Schritt ist überfällig: das Gespräch mit Menschen.

Von Joshua Foer (Text) und Brian Skerry (Fotos)

Hector und Han sind Profis. Immer wieder strecken sie ihre Schnauzen aus dem Wasser, warten eifrig auf Kommandos. Sie können sich auf Befehl mit Drehungen in die Luft schrauben, rückwärts auf dem Schwanz Wasserski fahren oder mit den Brustflossen den Touristen zuwinken. Die kommen regelmäßig vorbei hier am Roatán Institute for Marine Sciences (RIMS), einer Ferien- und Forschungseinrichtung auf einer Insel vor der Küste von Honduras.

Aber die Wissenschaftler des RIMS interessieren sich weniger für das, was diese beiden Delfinmännchen können. Sie interessieren sich dafür, wie sie denken. Was passiert in ihren Köpfen, wenn Delfintrainerin Teri Turner Bolton erst die Handflächen über dem Kopf zusammenführt und dann die Fäuste nebeneinanderhält. So teilt sie den Tieren mit: "Zeigt uns etwas, was wir heute noch nicht gesehen haben - und tut es gemeinsam."

Hector und Han verschwinden unter der Wasseroberfläche. Der Psychologe Stan Kuczaj taucht mit und zeichnet ihr Verhalten mit einer Unterwasser-Videokamera samt Mikrofonen auf: Hector und Han zirpen sich mehrere Sekunden lang an; dann drehen beide langsam einen Purzelbaum unter Wasser und schlagen dreimal gleichzeitig mit dem Schwanz. Sie zeigen tatsächlich ein für heute neues Kunststück.

Der Psychologe Stan Kuczaj bittet den Delfin, sich rücklings zum Meeresboden sinken zu lassen. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Oben formt Bolton mit Daumen und Mittelfinger einen Kreis. Damit sagt sie den Delfinen: "Macht weiter, gemeinsam." Sie tun es. Zunächst lassen sich die Tiere tiefer sinken, tauschen einige hochfrequente Pfiffe aus und lassen gleichzeitig Luftblasen aufsteigen. Schließlich drehen sie an der Oberfläche Seite an Seite eine Pirouette, dann tanzen sie synchron auf dem Schwanz über das Wasser.

Wir kennen weder Silben noch Worte dieser Sprache, geschweige denn den Satzbau

Für dieses Verhalten gibt es zwei Erklärungen: Entweder ahmt ein Delfin den anderen so schnell und präzise nach, dass es nur so aussieht, als hätten sie sich abgesprochen. Oder es ist wirklich so: Die beiden Tümmler hecken mit ihren Pfiffen einen gemeinsamen Plan aus.

Menschen tun sich schwer damit, Delfine zu verstehen; sie sind so anders: So sehen sie auch mit Ultraschall, und das so exakt, dass sie aus 30 Meter Entfernung erkennen, ob ein Gegenstand aus Metall, Kunststoff oder Holz besteht. Sie können die Echoortungssignale anderer Delfine mithören und wissen, was diese sich gerade ansehen. Delfine atmen nicht automatisch. Wenn sie schlafen, ruht immer nur eine Hälfte ihres Gehirns. Und ihre Augen arbeiten unabhängig voneinander. Sie sind eine fremde Intelligenzform, die mit uns auf demselben Planeten lebt.

Diese Schwarzdelfine umkreisen einen Sardellenschwarm, der bald im Magen der Tiere enden wird. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Eines allerdings haben sie mit Menschen gemeinsam: Delfine sind geschwätzig. Sie pfeifen und klicken, sie geben laute Geräusche in einer weiten Frequenzbreite von sich, um ihre Jungen zu disziplinieren oder Haie zu vertreiben. Wissenschaftler versuchen seit Langem herauszufinden, was diese Töne bedeuten. Diese höchst sozialen Tiere mit ihrem großen Gehirn würden sicher nicht so viel Energie darauf vergeuden, unter Wasser zu plappern, wenn diese Äußerungen nicht irgendeinen Sinn hätten. Aber auch nach einem halben Jahrhundert Forschung kann niemand sagen, was die Grundeinheiten der Lautäußerungen bei Delfinen sind und wie die Tiere sie zusammensetzen. Wir kennen weder Silben noch Worte dieser Sprache, geschweige denn den Satzbau.

"Wenn wir es schaffen würden, bestimmte Äußerungen mit konkreten Verhaltensweisen zu verbinden, wären wir einen großen Schritt weiter", sagt Kuczaj. Der 64-Jährige ist einer der wichtigsten Experten für die Wahrnehmung und Kognition der Delfine. Nach seiner Ansicht könnte die Arbeit mit den synchronisierten Delfinen beim RIMS den Schlüssel zu ihrer Kommunikation liefern. Er sagt aber auch: "Gerade weil Delfine so hoch entwickelt sind, lassen sie sich nur schwer erforschen."

Nur wenn die beiden Tümmler kooperieren und gleichzeitig an den Seilen ziehen, gelangen sie an den Fisch. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Einen Beweis dafür, dass es eine Delfinsprache gibt, hat bisher niemand gefunden. Manche Wissenschaftler behaupten, die Delfinsprache sei nur eine fixe Idee von ein paar maritimen Romantikern - es gebe sie in Wahrheit gar nicht. Doch Kuczaj und andere verweisen auf die zahlreichen Indizien. Man sei das Problem nur noch nicht auf die richtige Weise angegangen, sagt er. Erst seit etwa zehn Jahren kann man mit Hochfrequenz-Aufnahmegeräten das ganze Spektrum der Delfinlaute einfangen, erst seit wenigen Jahren ermöglichen Auswertungsprogramme eine genauere Analyse der Aufzeichnungen. So könnte man dieser uralten Intelligenz auf die Spur kommen.

Ehe vor sechs oder sieben Millionen Jahren die Menschen ihren Aufstieg starteten, waren vermutlich die Delfine Millionen Jahre lang die Tiere mit dem größten Gehirn und der höchsten Intelligenz. Im Verhältnis zur Körpergröße ist ihr Gehirn eines der größten im Tierreich, größer sogar als das der Schimpansen. Die Ahnen der Meeressäuger spalteten sich bereits vor etwa 55 Millionen Jahren von der Abstammungslinie der anderen Säugetiere ab. Der letzte gemeinsame Urahn der Delfine und Primaten lebte wohl schon vor 95 Millionen Jahren. Eine lange Zeit, selbst nach den Maßstäben der Evolution. Deswegen sieht nicht nur ihr Körper, sondern auch die Hirnstruktur ganz anders aus.

Bei Primaten zum Beispiel sind die großen Stirnlappen für Entscheidungs­- und Planungsprozesse verantwortlich. Delfine besitzen keine so großen Stirnlappen, doch auch sie können Probleme lösen und, so erscheint es, für die Zukunft planen. Primaten verarbeiten visuelle Informationen hinten im Gehirn, Sprache und akustische Informationen hingegen in den Schläfenlappen. Delfine nutzen dafür ganz andere Teile ihrer Großhirnrinde. Außerdem haben Delfine ein gut entwickeltes paralimbisches System für die Verarbeitung von Gefühlen. In dieser Region könnten auch die außergewöhnlichen sozialen und emotionalen Bindungen entstehen, die für Delfine so typisch sind.

Menschen wie Delfine sind rund um den Globus verbreitet

Doch wieso haben gerade die Delfine ein so großes Gehirn entwickelt? Ein Blick in die Erdgeschichte und auf Fossilien gibt Hinweise. Vor rund 34 Millionen Jahren waren die Vorfahren der heutigen Delfine noch große Tiere mit mächtigen Zähnen. Damals hatte eine Periode begonnen, in der das Wasser der Ozeane deutlich kälter wurde. Deshalb entstanden neue Nischen für die Delfine, mit neuer Beute. Sie veränderten ihre Jagdgewohnheiten. Aus Veränderungen an den Knochen des Innenohres kann man schließen, dass die Delfine in jener Zeit auch die Echoortung verbesserten. Jedenfalls verwandelten sich manche Arten von einsamen Jägern, die großen Fischen nachstellten, in Gruppen, die Jagd auf Schwärme kleinerer Tiere machten. Damit wurde Kommunikation wichtiger. Die Delfine wurden sozialer - und vermutlich auch intelligenter.

Die Meeressäuger - hier Zügeldelfine - leben in wechselnden Gruppen unterschiedlicher Größe zusammen. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Die Tiere brauchen nämlich ein großes Gehirn unter anderem deshalb, um über den Status ihrer Beziehungen stets auf dem Laufenden zu sein. So bilden die Männchen unterschiedlich große Bündnisse, etwa um gemeinsam um Weibchen werben oder sie zu rauben. Wobei solche Koalitionen manchmal Jahre halten oder von einem Tag auf den anderen wieder auseinanderfallen, je nachdem, welche Artgenossen sich in der Nähe herumtreiben.

Menschen wie Delfine sind rund um den Globus verbreitet - die einen an Land, die anderen in den Meeren. Und so wie Menschen sind Delfine erfinderisch, wenn sie sich in einem Lebensraum einrichten müssen. In der australischen Shark Bay zum Beispiel lösen Große Tümmler Schwämme vom Meeresboden und setzen sie sich zum Schutz auf die Schnauze, wenn sie im Sand nach versteckten Fischen suchen - es ist eine primitive Form des Werkzeuggebrauchs. Im flachen Wasser der Florida Bay umkreisen Delfine Schwärme von Meeräschen. Dabei wirbeln sie Schlammwolken auf. Äschen, die darüber hinwegspringen, landen in den aufgesperrten Mäulern der dahinter lauernden Delfine. Vor der Küste Patagoniens treiben Schwarzdelfine Sardellen zu dichten kugelförmigen Schwärmen zusammen. Dann stoßen sie abwechselnd hinein und holen sich ihre Beute.

Diese Verhaltensweisen sind Hinweise auf Intelligenz. Für Stan Kuczaj als Verhaltenspsychologe stellt sich deshalb gar nicht die Frage, "ob Delfine schlau sind, sondern auf welche Weise sie schlau sind". Für den amerikanischen Neurophysiologen John Lilly, der schon vor 60 Jahren die Sprache der Delfine erforschte, waren sie "die Menschen der Meere". Lilly beschäftigte sich seit den Fünfzigerjahren am National Institute of Mental Health mit ihnen und schrieb unter anderem den Bestseller "Ein Delfin lernt Englisch".

Weil Lillys Experimente mit der Zeit aber immer obskurer wurden - irgendwann spritzte er den Delfinen sogar LSD - bekam er weniger Forschungsmittel, seine Glaubwürdigkeit schwand, irgendwann war "die "Sprache" der Delfine unter Wissenschaftlern ein verpöntes Thema. Das änderte sich erst wieder 1970, als der Psychologe Louis Herman in Honolulu das Kewalo Basin Marine Mammal Laboratory gründete.

"Wir wollten die Delfine dazu bringen, uns ihr geistiges Potenzial zu offenbaren. Dazu haben wir sie von klein auf so erzogen, wie andere ihre Kinder erziehen", erzählt Adam Pack, der 21 Jahre an dem Institut arbeitete. Zwei dieser Delfine im Kewalo Basin waren die Großen Tümmler Phoenix und Akeakamai. Sie erhielten Unterricht in künstlichen Sprachen.

Phoenix lernte eine akustische Sprache. Dabei waren die Wörter, die sie zu hören bekam, chronologisch angeordnet; deren Reihenfolge entsprach der Folge der Aufgaben, die Phoenix auszuführen hatte. Akeakamai dagegen wurde in einer Gebärdensprache unterrichtet, in der die Abfolge der Wörter nicht mit der Reihenfolge der Aufgaben übereinstimmte. Entsprechend konnte Phoenix Wort für Wort reagieren, Akeakamai hingegen wusste erst nach der gesamten Gebärdensequenz, was sie tun sollte. Doch wenn die beiden Delfine in einem Becken schwammen, das mit Gegenständen angefüllt war, führten beide die Anweisungen in mehr als 80 Prozent der Fälle richtig aus.

Akeakamai starb im Jahr 2003, Phoenix ein Jahr darauf, beider Asche wurde mit Surfbrettern auf das Meer gebracht und verstreut. Das Lernprojekt wurde nicht fortgesetzt. Auch deswegen ist bis heute nicht geklärt, warum es den beiden so leicht gefallen war, ihre jeweilige Sprache zu lernen. Vielleicht ist Delfinen die Fähigkeit zur Kommunikation angeboren?

Zumindest eine Form der Töne, die Delfine von sich geben, legt nahe, dass es bestimmte Laute für bestimmte Dinge oder Aktionen gibt: Sie bedienen sich charakteristischer Signaturpfiffe, um sich gegenseitig anzusprechen. Heute geht man davon aus, dass jeder Delfin schon als Jungtier für sich selbst einen Namen erfunden hat, den er sein ganzes Leben lang behält. Im Meer begrüßen sich Delfine, indem sie Signaturpfiffe austauschen; an die Pfiffe anderer Delfine erinnern sie sich noch nach Jahrzehnten.

Per Echolokation hat das Tier im Sand versteckte Fische entdeckt - jetzt wird gefressen. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Tiere anderer Arten machen sich zwar ebenfalls mit Lauten gegenseitig auf Feinde aufmerksam, aber keine Tierart verwendet spezifische Kennzeichnungen für Individuen. Dabei sind Signaturpfiffe nur einer von mehreren Tönen, die Delfine mit ihren Stimmen erzeugen. Sollten sie wirklich die einzigen Laute im Repertoire der Tiere sein, die für irgendeine Bedeutung stehen? Könnte es sein, dass sie auch Namen für andere Dinge haben?

Dieser Frage geht Denise Herzing seit drei Jahrzehnten nach. Sie ist eine Art Jane Goodall der Meere und beobachtet mehr als 300 Zügeldelfine aus drei Generationen, viele kennt sie von klein auf. Ihr Arbeitsgebiet ist eine Meeresfläche von 450 Quadratkilometern vor den Bahamas, wo sie das weltweit älteste Unterwasserforschungsprogramm für wilde Delfine betreibt. Neuerdings mit einem Gerät, das ihr helfen soll, eines Tages mit den Delfinen, um deren Bekanntschaft sie sich seit Langem bemüht, ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig will sie damit klären, wie die Tiere sich untereinander verständigen.

Das Gerät steckt in einem schuhschachtelgroßen Würfel aus Aluminium und durchsichtigem Kunststoff. Die Forscher nennen es Chat. Das ist die Abkürzung für Cetacean Hearing and Telemetry. "Belauschen" und "Fernvermessen" - darum geht es hier zum einen. Aber eben auch um einen Chat, ein Gespräch.

Unter Wasser befestigt Herzing den neun Kilo schweren Apparat mit Gurten vor ihrer Brust. Die Kiste hat auf der Vorderseite einen kleinen Lautsprecher und eine Tastatur, dazu zwei Unterwassermikrofone. Der Computer im wasserdichten Inneren spielt auf Knopfdruck zuvor aufgenommene Signatur­ und andere Pfiffe von Delfinen ab und zeichnet alle Laute auf, die von den Tieren zurückkommen. Wiederholt ein Delfin einen der Pfiffe, kann der Computer das Geräusch in menschliche Wörter umwandeln und diese in Herzings Kopfhörer abspielen.

Delfine lernen schnell und gern. Herzing will einige junge Weibchen dazu bringen, dass sie drei verschiedene Pfeifgeräusche aus der Chat-Box drei Gegenständen zuordnen: einem Tuch, einem Seil und einem Stück braunem Seetang, den junge Delfine als Spielzeug verwenden. Diese drei Wörter, so ihre Hoffnung, könnten die Grundlage für einen Wortschatz von Pfiffen bilden, den sie und ihre Delfine gemeinsam haben. Es wäre der Anfang einer neu geschaffenen Sprache, in der sie und die Tiere sich eines Tages vielleicht unterhalten könnten.

Die lebhafte, optimistische Herzing ist eine Visionärin. Als sie zwölf war, machte sie bei einem Schülerwettbewerb mit, für den sie nur eine Frage beantworten musste: "Was würdest du für die Welt tun, wenn du eine Sache tun könntest?" Ihre Antwort: "Ich würde eine Mensch­-Tier-Übersetzungsmaschine entwickeln, damit wir die Gedanken anderer Lebewesen auf der Erde verstehen können."

Oft ist sie bei ihrer Unterwasserforschung stundenlang mit den Delfinen zusammen, über Tausende Stunden hat sie alle möglichen Verhaltensweisen aufgenommen und eine riesige Datenbank mit den Lauten ihrer geschwätzigen Partner zusammengestellt. Mit an Bord ihres Forschungsschiffes Stenella - das ist der biologische Name für die Delfine - ist Thad Starner, Informatiker am Georgia Institute of Technology. Er ist ein Pionier in der Entwicklung tragbarer Computer und leitender Ingenieur bei Google. Er arbeitet dort am Google Glass, der Computerbrille mit Minibildschirm, die ihrem Träger in Sekundenschnelle alle möglichen Informationen aus dem Internet vor die Augen zaubert.

Starner trägt das Glass nahezu ständig und macht sich Notizen auf einer zitronenförmigen Tastatur, die in seine linke Handfläche passt. Starners Team hat die Chat-Box gebaut, nun ist er für zehn Tage an Bord, um die Technik zu testen und Daten zu sammeln. Wenn man die Geheimnisse der Delfin-Kommunikation eines Tages lüften wird, dann auch wegen der Programme zur Datenauswertung, die Starner hier draußen erstmals anwendet. Sie suchen in den riesigen Datenbeständen systematisch nach Mustern.

Im ersten Testlauf erhält Starner die Aufzeichnung einer Reihe von Lauten, die Denise Herzing unter Wasser aufgenommen hat. Sie verrät ihm aber nicht, dass er die Signaturpfiffe zwischen Müttern und Jungen zu hören bekam. Bald hat das Auswertungsprogramm fünf Grundeinheiten erkannt, ein Indiz dafür, dass die Signaturpfiffe sich aus festen Bestandteilen zusammensetzten. Diese wiederholten sich ständig zwischen Müttern und Jungen und werden möglicherweise auch zu unterschiedlichen Begriffen neu kombiniert.

Mit der Schnauze rollt dieser Delfin einen essbaren Ball aus dem Labyrinth. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

"Irgendwann wollen wir in einer Chat-Box alle Grundeinheiten der Delfinlaute gespeichert haben", sagt Starner. "Dann wird die Box alles, was das System hört, in eine Reihe von Symbolen übersetzen. Und umgekehrt soll auch Denise dann Reihen mit symbolhaften Lauten an die Delfine aussenden können. Im Idealfall können wir das an Ort und Stelle tun, in einer Art Unterhaltung zwischen Menschen und Delfinen. Die Frage ist nur: Was sind die Grundeinheiten dieser Sprache? Das ist der heilige Gral, nach dem wir suchen."

Nach den einleitenden Tests wird die Chat-Box schließlich im Meer ausprobiert. Zwei weibliche Zügeldelfine nähern sich der Stenella: Meridian und Nereide. Die Aufzeichnungen ihrer Signaturpfiffe sind sogar in die Chat­Box programmiert, weil die Biologin gehofft hatte, die beiden zu begrüßen und sich mit ihnen auszutauschen. Herzing kennt die meisten Delfine in der Region seit deren Geburt, aber Meridian und Nereide sind die besten Kandidaten für ihre Forschung. Sie haben noch keinen Nachwuchs, und wie übermütige Kinder genießen sie die Freiheit, zu spielen und Neues zu erkunden.

Herzing taucht und spielt unter Wasser Meridians Signaturpfiff ab. Daraufhin wendet der Delfin sich ihr zu und kommt näher - ohne sichtbare Anzeichen der Überraschung, die man vielleicht erwartet, wenn ein Tier gerade hört, wie ein Angehöriger einer anderen Spezies den eigenen Namen ruft.

Herzing streckt beim Schwimmen den rechten Arm nach vorn und zeigt auf ein rotes Tuch, das sie aus ihrem Tauchanzug gezogen hat. Immer wieder drückt sie auf der Chat-Box den Knopf für "Tuch": ein rollendes Zirpen, das zunächst tiefer wird und am Ende ansteigt. Es dauert ungefähr eine Sekunde. Einer der Delfine schwimmt vorüber, schnappt sich das Stück Stoff und schiebt es zwischen Schnauze und Brustflosse hin und her. Als er vorübergehend in die Tiefe abtaucht, hängt das Tuch wie eine Fahne am Schwanz des Delfins.

Eine von Herzings Studentinnen hält die Begegnung mit einer Unterwasserkamera fest. Wird sich wohl einer der beiden Delfine mit dem Tuch davonmachen? Nein, offensichtlich wollen sie, wenn auch zögernd, Kontakt aufnehmen. Die Tiere reichen das Tuch zwischen sich hin und her, umkreisen die Forscher, verschwinden einen Moment und halten es schließlich Herzing wieder hin. Sie ergreift es, steckt es in ihren Tauchanzug und zieht an seiner Stelle nun etwas Seetang heraus. Sofort schießt Nereide herab, packt ihn mit den Zähnen und schwimmt davon. Herzing folgt ihr und drückt auf der Chat-Box immer wieder den Seetang­-Pfiff, als wolle sie das Stück zurück. Aber Meridian und Nereide beachten sie nicht.

Tümmler vor Florida haben eine neue Fangmethode erfunden: Sie wirbeln Schlamm auf, flüchtende Fische werden aufgefangen. (Foto: Brian J. Skerry/National Geographic)

Später an Bord überlegt Herzing, was die Beobachtung bedeuten könnte. "Falls die Delfine verstehen, dass wir Symbole benutzen, ist es vorstellbar, dass sie uns etwas zeigen wollen. Und stellt euch vor, wie es wäre, wenn die Delfine plötzlich anfangen, unter sich das von uns geprägte Wort für Seetang zu benutzen."

Belege dafür gibt es bisher nicht. Die Chat-Box zeichnete während der stundenlangen Begegnung nichts auf, was sich irgendwie im Sinne von Lernen oder Nachahmung interpretieren ließe. "Egal", sagt Herzing, "wir müssen den Versuch nur oft genug wiederholen. Und noch mal wiederholen. Ich weiß, sie sind neugierig. Man kann doch beinahe zusehen, wie sie allmählich die Verbindung zwischen einem Ding und einem Laut herstellen. Es wird passieren, man sieht es ihnen an den Augen an, wie sie überlegen. Ich kann es kaum erwarten, dass eines Tages eine weibliche Stimme aus der Chat­Box in meinem Kopfhörer 'Tuch' sagt."

Vielleicht existiert die Rückmeldung in irgendeiner Form ja auch schon, die Menschen verstehen sie nur nicht. Nereide hatte sich das Tuch zeitweise um den Schwanz gewickelt, es schließlich abgeschüttelt und dabei spielerisch eine große Blase steigen lassen. Ein Zeichen?

Nach einigen Stunden mit den Forschern haben die Delfine das Interesse verloren. Nereide schwimmt davon und lässt noch einmal einen langen, rätselhaften Pfiff hören. Ehe sie in der blauen Dunkelheit verschwindet, dreht sie sich noch einmal zu den Menschen um.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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