Zoologie:Das Phantom

Fury, Black Beauty oder der sprechende Mr. Ed - Pferde wie diese kennt beinahe jeder. Doch der wirklich Star bleibt ein Phantom: Fast jeder Hengst, der heute lebt, stammt von einem einzigen Pferd ab. Dieser Urvater lebte während der Eisenzeit vor etwa 3000 Jahren.

Von Katrin Blawat

In der Pferdewelt geht es ungerecht zu. Hengste wie Black Beauty, Fury und der sprechende Mr. Ed sind weltbekannt, und mit den Namen von Sportcracks wie dem einstigen Dressurstar Totilas oder dem Rennpferd Secretariat - auch er immerhin Protagonist eines gleichnamigen Films - können zumindest viele Reiter noch etwas anfangen.

Der, auf den es allerdings wirklich ankommt, ist hingegen ein Phantom: Der eine Hengst, von dem die meisten heute lebenden männlichen Pferde abstammen. Welche Farbe sein Fell hatte, wie groß er war, ob er eher draufgängerisch oder zurückhaltend auftrat - vieles davon wird sich vermutlich niemals aufklären lassen. Doch zumindest zeitlich lässt sich der Urvater der meisten männlichen Pferde nun genauer einordnen als je zuvor, wie Wissenschaftler um Saskia Wutke vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin in einer Studie im Fachmagazin Science Advances schreiben. Ihren Untersuchungen zufolge lebte der entscheidende Hengst während der Eisenzeit vor knapp 3000 Jahren.

Das schließen die Forscher aus DNA-Proben, die sie aus Knochenresten und Zähnen von Pferdeskeletten verschiedener Zeitalter in Europa und Asien gewonnen haben. Die jüngsten Proben stammten aus dem späten Mittelalter, die ältesten von Tieren, die vor gut 5000 Jahren lebten - zu einem Zeitpunkt also, als die Domestikation des Pferdes gerade erst begann. In ihren Analysen interessierten sich Wutke und ihre Kollegen vor allem für das Y-Chromosom, das nur männliche Tiere in sich tragen. Einige Abschnitte auf diesem Chromosom ließen Rückschlüsse auf die Zuchtpraktiken vergangener Epochen zu.

Demnach begann die Anzahl der zur Zucht eingesetzten Hengstlinien in der Bronzezeit vor etwa 3500 Jahren zu schrumpfen. Von diesem Zeitpunkt an wurde mit immer weniger Hengsten gezüchtet. Dafür zeugten diejenigen, die noch zum Zuge kamen, immer mehr Nachkommen. Noch einmal gut 500 Jahre später, zur Zeit der Römer, verstärkte sich diese Praxis deutlich. Bis heute hat sie sich gehalten mit der Folge, dass sich die Y-Chromosomen der allermeisten heutigen männlichen Pferde stark ähneln.

Das Haremsprinzip setzte sich bei Pferden im Vergleich zu anderen Haustier-Zuchten erst spät durch

Diese geringe genetische Variabilität stellt zwar ein gewisses Risiko für die Häufung von Erbkrankheiten dar, bietet aber auch große Vorteile. Denn Zuchtziele wie zum Beispiel eine besondere Schnelligkeit oder Ausdauer lassen sich auf diese Weise besonders effizient erreichen. Bei Stuten hingegen findet sich eine entsprechende genetische Verarmung nicht. Somit funktioniert die Pferde- wie die Haustierzucht im allgemeinen nach dem Haremsprinzip: Einige wenige männliche Tiere zeugen Nachkommen mit einer Vielzahl weiblicher Artgenossen.

Auffällig im Fall des Pferdes ist, dass die Konzentration auf wenige männliche Zuchttiere nicht von Anfang an erfolgte, wie es etwa bei Hunden der Fall war. Dabei setzten schon die Menschen zu Beginn der Pferde-Domestikation nicht nur auf eine bloße Vermehrung ihrer Tiere, sondern selektierten gezielt auf bestimmte Eigenschaften hin, wie eine frühere Studie des IZW gezeigt hat.

Dennoch durften in den ersten knapp 2000 Jahren, in denen der Mensch das Pferd zu seinem Haustier machte, noch sehr viele verschiedene Hengste Nachkommen zeugen. Das Haremsprinzip setzte sich bei Pferden im Vergleich zu anderen Haustier-Zuchten also erst relativ spät durch. So hat schließlich auch die Wissenschaft bestätigt, was Reiter schon lange wissen: Pferde sind eben etwas ganz Besonderes.

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