Zivilisation vor 12.000 Jahren:Ohne Fell und Keule

In Anatolien schufen unsere Vorfahren Schmuck, Reliefs und gewaltige Megalithpfeiler - 5000 Jahre bevor Stonehenge entstand. Das, was davon übrig blieb, zeigt eine spektakuläre Steinzeit-Schau in Karlruhe.

Das gängige Bild von den ersten Menschen ist wie folgt: Sie trugen Tierfelle und erschlugen sich mit Keulen, jagten Mammuts, die friedlicheren wühlten nach Wurzeln und sammelten Beeren.

Doch so war es offenbar nicht, zumindest nicht in Anatolien.

"Dieses Bild müssen wir ändern", sagte Harald Siebenmorgen, Direktor des Badischen Landesmuseums. Mit einer bislang einmaligen Zusammenstellung von jüngsten archäologischen Entdeckungen aus der Türkei will sein Karlsruher Haus die Debatte um die Ursprünge der Zivilisation anheizen.

Unter dem Titel "Vor 12.000 Jahren in Anatolien - Die Anfänge der Menschheit" werden dort bis zum 17. Juni etwa 450 Funde vom Tempelberg Göbekli Tepe, der Grabungsstätte Çatal Höyük und anderen anatolischen Orten präsentiert.

Die Erfolge der Archäologen weisen die ältesten monumentalen Kultanlagen und Großsiedlungen ebenso nach wie den Beginn von Landwirtschaft und Nutztierhaltung. "Hier machte die Menschheit vor 12.000 Jahren den bedeutendsten Schritt ihrer Geschichte", sagte Siebenmorgen.

Die Ausstellung sei auch ein deutlicher Fingerzeig, wie wichtig es sei, das in der Schule gebildete humanistisch geprägte Bild von der Antike zu lösen und die früheren Kulturen einzubeziehen. "Das hilft, die Kulturen von heute zum Beispiel im vorderasiatischen Raum oder im Nahen Osten zu verstehen."

Im so genannten Neolithikum (Jungsteinzeit) entwickelte sich der Mensch nach den bisherigen Untersuchungen vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern und Viehzüchter, er wurde sesshaft. Bereits auf den ersten Metern der Karlsruher Ausstellung wird dem Besucher das Monumentale und bislang weitgehend Unbekannte dieser Zeit bewusst:

Ein polierter Stein als Spiegel

Der Raum wird dominiert von den millimetergenauen Kopien der gewaltigen Megalithpfeiler, die - ähnlich wie im englischen Stonehenge - im Zentrum der Kultstätten standen und Menschengestalten darstellten. Nur, dass die englischen Monumentalbauten erst mehr als 5000 Jahre später entstanden.

Gezeigt werden auch fein und schmuckvoll geschlagene Skulpturen und Reliefs mit mysteriösen Symbolen, die von der ersten Schrift zeugen könnten. Ketten und Gürtelschnallen, Werkzeug und Steingefäße für den Hausgebrauch deuten auf eine Zivilisation fern von Keulen und Fellen hin.

Ein glattpolierter Stein diente als Spiegel, Knochen als Nadeln oder Löffel. Modelle der Siedlungen und durch Dachfenster und Leitern begehbare Wohnräume sollen den erwarteten mehr als 100.000 Besuchern der Ausstellung das Leben der entfernten Vorfahren näher bringen.

Anfänge in der Altsteinzeit

Nach Ansicht des Prähistorikers Klaus Schmidt könnte es sich bei den bisherigen Funden in der Türkei erst um die "Spitze des Eisberges" handeln. "Wir können das genaue Alter der frühesten Besiedlung am Göbekli Tepe noch nicht bestimmen", sagte der Grabungsleiter.

Es lasse sich aber anhand der Schichten vermuten, dass der Platz mehrere tausend Jahre alt ist und bis in die Altsteinzeit (Paläolithikum) zurückreicht.

Welchen Stellenwert selbst die hohe Politik der Landesausstellung beimisst, ist an deren "Paten" zu sehen: Bundespräsident Horst Köhler und der türkische Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer haben die Schirmherrschaft übernommen.

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