Wissenschaftsgeschichte:Heureka!

Das älteste Wissenschaftsmagazin der Welt feiert 350. Geburtstag. In den "Philosophical Transactions" publizierten Genies wie Isaac Newton und Michael Faraday - und eine äußerst bescheidene Astronomin. Zum Jubiläum die besten Anekdoten.

Von SZ-Autoren

Licht und Farbe

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(Foto: N/A)

Isaac Newton ist ein relativ unbekannter Mann, als er am 6. Februar 1672 einen Brief von Cambridge nach London schickt. Er wolle über "poore & solitary endeavours" (armselige & einsame Bemühungen) berichten - und widerlegt die gängige Vorstellung von Licht und Farbe. Newton hatte Sonnenlicht mit Prismen in sein Spektrum zerlegt und so gezeigt, dass Farbe eine Grundeigenschaft von Licht ist. Vorher glaubte man, spätestens seit Descartes, im Grundsatz weißes Licht erhalte seine Farbe von den Substanzen aufgeprägt, die es berührt. Newtons Experimente seien "entzückend klar und unwiderlegbar", würdigt die Historikerin Patricia Fara aus Cambridge den 14-seitigen Bericht. Doch seine Beweisführung ist nicht so neutral und klar, wie man es aus heutiger Sicht von dem Genie erwartet. Er verschweigt Details, argumentiert irreführend, lässt mögliche Gegenargumente unter den Tisch fallen. Am Ende bittet er seine Leser, ihn auf mögliche Fehler hinzuweisen - in einem Ton, als erwarte er keine Antwort.

Plattentektonik

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(Foto: iStockphoto)

Jede Weltkarte zeigt es. Und schon dem britischen Philosophen und Politiker Francis Bacon (1561-1626) war aufgefallen, dass die Küstenlinien von Afrika und Südamerika zueinander passen. Doch erst der deutsche Geowissenschaftler Alfred Wegener formulierte 1915 die verwegene Theorie, wonach die Kontinente schlicht auseinandergedriftet sein müssten. Das brachte ihm viele Gegner ein, denn einen Mechanismus konnte er nicht beschreiben. Erst der Aufsatz eines Forscherteams um Sir Edward Bullard von der University of Cambridge, erschienen 1965, brachte den endgültigen Beleg, dass es tatsächlich einen Urkontinent gab, der vor ungefähr 160 Millionen Jahren auseinandergebrochen war. Die Passung der Kontinente erwies sich darin als noch besser als der Augenschein zeigt, wenn man die unter Wasser liegenden Schelfränder betrachtet. Die Forscher konnten mit geometrischen Verfahren nachvollziehen, wie sich die Kontinentalplatten bewegt hatten - wohl nicht so geradlinig wie ursprünglich vermutet.

Fadenwurm

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(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Im August 1984 kam ein außergewöhnlich dickes Manuskript bei der Royal Society in London an. Es stammte von der britischen Arbeitsgruppe White und enthielt die bis dahin genaueste Beschreibung eines tierischen Nervensystems. Jede einzelne Nervenverbindung des Fadenwurms Caenorhabditis elegans war dokumentiert. Das Manuskript wurde unter dem Namen "The mind of a worm" (Gedanken eines Wurms) berühmt. Bevor die Wissenschaftler mit ihrer Arbeit beginnen konnten, suchten sie lange nach einem geeigneten Tier. Einer der beliebtesten Modellorganismen, die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, kam nicht in Frage: Ihr Nervensystem war zu komplex. Als sich die Forscher für den Fadenwurm entschieden, etablierten sie damit auch einen neuen Modellorganismus. "The mind of a worm" wurde zu einer Art Bibel für Wissenschaftler, die erforschten, wie Gene den Aufbau von Nervensystemen steuern und wie Nerven und Verhalten zusammenhängen. Die Veröffentlichung wurde über 2500 Mal zitiert.

Bakterien

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(Foto: dpa)

Im Jahr 1677 beschrieb Antoni van Leeuwenhoek das Reich der "animalcules". Mit Spezialmikroskopen, die der Wissenschaftler selbst anfertigte, beobachtete er in verschiedenen Wasserproben winzige Lebewesen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen waren. Der Mann aus Delft war damit der erste Mensch, der Bakterien und Protisten sah; heute gilt er als Vater der Mikrobiologie. Damals aber glaubte ihm kaum jemand; es dauerte Jahre, bis seine Entdeckung veröffentlicht wurde. Ein Grund dafür war, dass Leeuwenhoek niemandem verriet, wie er die Linsen für seine Mikroskope schliff. Andere Forscher konnten seine Entdeckung deshalb nicht nachvollziehen. Außerdem hatte er nicht studiert, was ihn in den Augen vieler Wissenschaftler unglaubwürdig machte. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde die Entdeckung der Bakterien offiziell bestätigt. Und bis heute beschäftigen sich Mikrobiologen mit Fragen, die bereits Leeuwenhoek gestellt hat: Woher kommen die "animalcules" und wie sind sie miteinander verwandt?

Musterbildung

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(Foto: dpa)

Es ist nicht klar, weshalb sich der britische Mathematiker Alan Turing, nachdem er im Zweiten Weltkrieg die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma geknackt und praktisch die Computerwissenschaft erfunden hatte, Anfang der 1950er-Jahre dann auch noch irdischen Systemen zuwandte. Fest steht jedoch, dass er einen Prozess der Musterbildung entdeckte und erklärte, der praktisch überall in der Natur auftaucht, etwa in vom Wind gezeichneten Sand, auf den Körpern von Schnecken, Zebras oder Geparden, selbst wenn aus einer einzelnen Zelle ein ganzer Mensch erwächst. In seinem Aufsatz mit dem Titel "Die chemische Grundlage der Morphogenese" entwickelte er 1952 ein Modell, das erklärt, wie aus dem Chaos vieler zufälliger Reaktionen Ordnung entstehen kann. Turing zitiert in seiner Arbeit nur sechs Arbeiten anderer Forscher, die eher am Rande etwas mit seiner Beobachtung zu tun haben. Er entdeckte das Phänomen nicht nur im Alleingang, er lieferte auch gleich noch selbst die Erklärung dazu.

Der Dynamo

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(Foto: dpa)

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war die große Zeit physikalischer Experimente. Ein gewisser Alessandro Volta hatte 1799 die Batterie erfunden, ein Franzose namens André Marie Ampère festgestellt, dass Leiter, in denen Strom fließt, sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. Andere Versuche erwiesen, dass elektrischer Strom und Magnetismus irgendwie miteinander zu tun haben. Im Bemühen, diesen Zusammenhang aufzuklären, unternahm der Brite Michael Faraday von 1821 an eine Reihe von Versuchen, bei denen es gelang, stromführende Drähte mit magnetischen Feldern in Bewegung zu versetzen: "Elektromagnetische Rotationen" nannte Faraday den Effekt. 1832 berichtete er in einer ersten von insgesamt 30 wichtigen Publikationen in Philosophical Transactions vom umgekehrten Phänomen: Strom der fließt, wenn man einen Leiter im Magnetfeld bewegt. Der Dynamo war geboren, die Welt konnte elektrifiziert werden. Auch heutige Windräder basieren auf Faradays Entdeckung.

Hängebrücke

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(Foto: Denis Egan / CC by 2.0 / Flickr)

Was wohl passiert wäre, wenn Thomas Telford, in den 1820er-Jahren der führende britische Brückenbauer, nicht auf den Mathematiker Davies Gilbert gehört hätte? Telford hatte den Auftrag, die Insel Anglesey mit dem walisischen Festland zu verbinden und er entwarf dazu die Menai-Brücke, die heute als Meilenstein der Ingenieurskunst gilt. Es ist allerdings gut möglich, dass die Hängebrücke ohne Gilbert gar nicht mehr stehen würde. Der hatte zwar vom Brückenbau wenig Ahnung, doch konnte er berechnen, welche Zuglast die Stützpfeiler der Brücke auffangen müssten. Er empfahl Telford, sie wenigstens doppelt so hoch wie ursprünglich geplant über der Fahrbahn aufragen zu lassen, um die Aufhängungen zu entlasten. Zunächst wollte Telford Gilbert nicht anhören, dessen zentraler Aufsatz zur Theorie von Hängebrücken erst 1826 erschien, als auch die Menai-Brücke fertig wurde. Der hartnäckige Mathematiker hatte zum Schluss dann wohl doch die besseren Argumente.

Wärme arbeitet

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(Foto: dpa)

James Prescott Joule wurde vom Establishment ignoriert. Der Engländer war schüchtern und unbeholfen, aber ein genialer Experimentator. Und schon seit Jahren versuchte er Gehör für seine Thesen über die Wärme zu finden, hielt Vorträge, schrieb Manuskripte - vergeblich. 1850 wurde endlich ein Aufsatz von ihm bei den Philosophical Transactions angenommen. Er beschrieb darin, wie mechanische Arbeit Wasser erwärmt. Das widersprach der etablierten Theorie der Wärme, die darin eine Stoffeigenschaft sah. Die kalorische Substanz sitze zwischen den Molekülen etwa von Kohle und könne nur von dort ins Wasser gelangen. Aber woher kam dann die Kraft, die Dampfmaschinen aufbrachten? Joule erkannte, dass sich mechanische Arbeit und Wärme nach festen Regeln ineinander umwandeln lassen. Es war der erste Schritt zum Formulieren eines der wichtigsten Sätze der Physik, der Energieerhaltung. Doch gerade diese Erkenntnis strich ihm der Gutachter damals aus dem Manuskript. Dessen Name: Michael Faraday.

Aufbau des Auges

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(Foto: dpa)

Thomas Young war ziemlich kurzsichtig. Was lag da näher für den Physiker und Arzt, als sich mit den Eigenschaften des Auges zu beschäftigen. Seine 1801 veröffentlichten Ausführungen zur Optik und Funktionsweise des Auges räumten mit etlichen Irrtümern auf. So zeigte Young mit akribischer Beweisführung, dass die Akkommodation nicht auf einer veränderten Krümmung der Hornhaut oder einer variablen Augenlänge beruhte. Vielmehr wies er nach, dass die Linse ihre Form verändert und es so ermöglicht, die Brechkraft des Auges anzupassen und nahe wie ferne Objekte scharf sehen zu können. Young entwickelte den Optometer und damit ein Gerät, mit dem - weiter entwickelt - bis heute die Brechkraft und Sehweite des Auges bestimmt werden. Young führte eine Praxis in London, die er auch dann beibehielt, als sich sein wissenschaftlicher Ruhm gemehrt hatte. Um seinen Ruf als Arzt nicht zu gefährden, veröffentlichte er einige seiner ersten Fachartikel nicht unter seinem Namen, sondern anonym.

Komet Herschel

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(Foto: epd)

Caroline Herschel wusste, dass sie ihr Licht unter den Scheffel stellen musste, um es leuchten zu lassen. Im 18. Jahrhundert gehörte es sich für eine Dame nicht, die Öffentlichkeit zu suchen, und Wissenschaft war Männersache. Aber Caroline Herschel kannte den Nachthimmel so gut wie ihr Bruder William, der spätere Hofastronom von George III. Und sie hatte am 1. August 1786 einen Kometen entdeckt, für den sie Priorität anmelden wollte. So schrieb sie an den Sekretär der Royal Society: "In Folge der Freundschaft, die zwischen Ihnen und meinem Bruder besteht, erlaube ich mir, Sie mit folgendem imperfekten Bericht zu belästigen." Sie habe das Teleskop nur benutzt, weil ihr Bruder außer Landes sei. Ihr Brief erschien Anfang 1787 als erster Beitrag einer Frau in den Philosophical Transactions. Zurückhaltend und höflich, aber selbstbewusst und unmissverständlich nahm die damals 36-Jährige so ihren Platz unter den Forschern ihrer Zeit ein, stellt Emily Winterburn von der Universität Leeds in der Rückschau fest.

Fiebersenker

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(Foto: Peter Endig/dpa)

Er war nicht der erste. Lange bevor Edward Stone 1763 von den "Erfolgen der Weidenrinde in der Behandlung des Fiebers" berichtete, wussten schon Hippokrates, die alten Ägypter und andere Heilkundige von lindernden Wirkungen des Pflanzenextrakts. Doch der Geistliche Edward Stone - in der Veröffentlichung versehentlich als Edmund bezeichnet -, ging systematisch vor und begann eine Reihe von Experimenten, die durchaus als frühe klinische Tests durchgehen können. Zunächst behandelte er sein eigenes Fieber mit dem Pulver, das er aus der Rinde gewonnen hatte. Anschließend probierte er die neue Medizin in verschiedenen Dosierungen bei etwa 50 Probanden aus, die ebenfalls von der Wirkung angetan waren. Es dauerte allerdings noch mehr als 130 Jahre, bis der Chemiker Felix Hoffmann im Bayer-Stammwerk in Elberfeld mithilfe des Bestandteils der Weidenrinde (Salix) die Acetylsalicylsäure synthetisieren konnte. Es kam als "Aspirin" auf den Markt, das inzwischen wohl bekannteste Medikament der Welt.

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