Wissenschafts- und Forschungspolitik:Die Wissenschaft muss tun, was sie tut - nur besser

Wissenschaftler und Trump: Was 2017 schief lief

Schluss mit "alternativen Fakten": Protestschild vor dem Capitol in Washington für die Unabhängigkeit der Wissenschaft.

(Foto: dpa)

Das klingt banal, ist es aber nicht. Denn die rationale und methodische Suche nach Wahrheit ist auf erschreckende Weise unter Druck geraten.

Kommentar von Patrick Illinger

Die Wissenschaft ist im Jahr 2017 auf extreme und erschreckende Weise unter Druck geraten. Das Leugnen, die Zensur, die Unterdrückung wissenschaftlichen Sachstands ist nicht mehr nur ein Phänomen in Drittwelt- und Schwellenländern, die zum Beispiel die schiere Existenz des Aids-Virus negieren. Nein, auch die Machthaber der Forschungs-Supermacht USA wie auch mehrere Regierungen in Europa missachten und attackieren neuerdings schamlos das Tun und die Erkenntnisse der Forschung. Jüngstes Beispiel war die Zensur von Begriffen wie "evidenzbasiert" innerhalb der US-Seuchenschutzbehörde CDC.

Diese geradezu mittelalterlichen Angriffe erfordern eine deutliche Reaktion jener, die Wissenschaft betreiben wie auch jener, die den Wert methodischer Wahrheitssuche schätzen. Ein erfreuliches Signal war der Science March im Frühjahr dieses Jahres, bei dem Zehntausende Forscher weltweit auf die Straße gingen. Doch birgt diese Form gesellschaftlicher Auseinandersetzung auch eine Gefahr. Sie nährt den Eindruck, Wissenschaft sei nur ein Spieler von vielen im pluralistischen Gerangel um Macht und Einfluss. Eine Strömung, der man sich anschließen kann - oder auch nicht.

Zu viele halbgare, nicht reproduzierbare und unsinnige Publikationen

Damit geriete die Wissenschaft in eine Position, die ihr weder gut tut noch zusteht. Darauf hat Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in diesem Sommer in einer soeben zur Rede des Jahres ausgezeichneten Ansprache hingewiesen. Er warnte vor einer "Szientokratie", in der "politische Macht durch Wahrheit anstatt durch Mehrheit und Verfassung legitimiert" wird. Forscher dürften sich nicht als Instanz des Wahrheitsbesitzes verstehen, "sondern als diejenigen der rationalen, methodischen Suche nach Wahrheit".

Wie ist das in den wissenschaftlichen Alltag zu übersetzen? Die Antwort klingt banal, ist es aber nicht: Die Wissenschaft muss tun, was sie tut, nur besser. Puristischer. Mit härteren Standards. Weniger vollmundig. (Post)doktoranden sollten weniger Publikationsdruck ausgesetzt sein. Berufungen und Finanzierungen sollten weniger von numerischen Kennzahlen abhängen. Derzeit produziert der globale Forschungsbetrieb zu viele halbgare, nicht reproduzierbare und, ja, auch nachgerade unsinnige Publikationen. Das schafft Raum für despotische Attacken wie auch Zweifel verunsicherter Bürger: Was kann man noch glauben?

Sicher, "schlechte" Wissenschaft fliegt dank der Selbstreinigungskräfte der Empirie irgendwann auf. Doch wo der anti-intellektuelle Populismus eisig bläst, dort müssen die Leinen dicht- und die Sturmsegel aufgezogen werden.

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