Wissenschaft:Guter weißer Schopf

Forscher wollen Haare ergrauen lassen - um den Menschen vor Hautkrebs zu bewahren.

Von Wiebke Rögener

Ob es das erste graue Schamhaar ist, das Samantha aus der Kultserie "Sex and the City" in eine Lebenskrise stürzt, oder das prächtige graue Haupthaar der Alten, von dem es in den Sprüchen Salomos heißt, es sei eine "Krone der Ehre" - symbolträchtig ist es allemal, wenn Haare ihre schwarze oder braune, blonde oder rote Färbung verlieren.

Graue Schläfen bei Männern gelten mal als sexy, mal als seriös. Oder gar als Zeichen von Führungsstärke - sind es doch schon bei den Gorillas die Silberrücken, die die Horde leiten. Und Frauen können mit grauen Strähnen Selbstbewusstsein und Lebenserfahrung zeigen, versuchen Modezeitschriften ihren Leserinnen seit neuestem einzureden. Wenn das Haar jedoch einen Gelbstich aufweise, müsse eine "Tönung mit Violett-Anteil" der Natur nachhelfen.

Freilich gibt es das graue Haar an sich gar nicht, das so seit Jahrtausenden für Gesprächstoff sorgt. Wenn Haare ihre Pigmentierung verlieren, füllen kleinste Luftbläschen die Lücke, und das Haar erscheint weiß. Nur im Mix mit anderen, noch in voller Pracht stehenden Haaren entsteht der Eindruck der grauen Mähne - beim einen früher, bei dem anderen später. Irgendwann jedoch ereilt es jeden: Die Zellen, die in der Haarwurzel den Farbstoff Melanin bilden, die so genannten Melanozyten, stellen die Produktion ein und sterben ab, ohne dass neue Zellen sie ersetzten.

Weder Phäomelanin, das im roten und blonden Haar vorherrscht, noch Eumelanin, das bei Schwarzhaarigen und Brünetten dominiert, werden noch geliefert.

Was dabei genau in der Kopfhaut geschieht, haben jetzt Forscher des Dana-Farber Cancer Institute und des Children's Hospital in Boston herausgefunden (Science, Online-Veröffentlichung vom 23.12.2004). Dabei waren die Forscher keineswegs kosmetischen Problemen auf der Spur. Sie untersuchten eigentlich das umgekehrte Phänomen - übereifrige Farbzellen nämlich, die sich ungehemmt vermehren und bösartige Melanome bilden.

Die Krebsforscher um David Fischer wollten wissen, wie sich aus farblosen Melanozyten-Stammzellen die Farbstoffproduzenten entwickeln. Dabei stellten sie fest: Wenn Mäuse alt und grau werden, nimmt die Zahl der Melanozyten nicht einfach nur ab, die Zellen geraten auch auf Irrwege.

Normalerweise reifen die Stammzellen im so genannten Haarfollikel, der die Haarwurzel umgibt, zu Melanozyten heran und wandern dann an den Grund der Haarwurzel. Dort tun sie sich mit Keratinozyten zusammen und bringen gemeinsam das farbige Haar hervor. Bei ergrauten Mäusen aber fanden die Forscher nicht nur weniger Melanozyten. Die voll entwickelten Farbzellen saßen auch dort im Follikel, wo sonst nur die Stammzellen wohnen. Hier aber können sie nichts zur Farbgebung beitragen - der alternde Nager wird zur grauen Maus.

Besonders schnell geschieht das, wenn den Mäusen das Gen Bcl-2 fehlt. Es bildet einen Überlebensfaktor, der die Stammzellen der Melanozyten vor dem vorzeitigen Absterben bewahrt. Mäuse ohne diesen Schutz bekommen schon bald nach der Geburt graues Fell. Und das könnte bei Mäusen und Menschen ähnlich sein: Wenn Menschen früh ergrauen, besitzen sie möglicherweise Faktoren, die Bcl-2 hemmen, mutmaßen die Forscher.

Doch sie wollen ihre Erkenntnisse nicht nutzen, um die Bcl-2-Produktion anzukurbeln und Herstellern von Haarfärbemitteln das Geschäft zu verderben. Stattdessen suchen sie nach Wegen, Bcl-2 gezielt zu blockieren. Mit dem nachgeahmten Alterungsprozess, hoffen die Wissenschaftler, ließe sich das Wachstum von Hautkrebs-Zellen bremsen.

Das relativ rapide Ergrauen könnte dann eines Tages eine Nebenwirkung der Krebstherapie sein. Für solche Begleiterscheinungen kennt die Medizin noch andere Beispiele: So kann eine Chemotherapie mit dem Mittel Imatinib die Farbproduktion der Haarwurzeln wieder ankurbeln, hieß es vor zwei Jahren im New England Journal of Medicine.

Plötzlich sprießen dann wieder schwarze, braune, rote oder blonde Haare. Aber kein gesunder Weißhäuptiger möchte sich wohl einer Chemotherapie unterziehen, um seine Haarfarbe zurückzubekommen.

Auch wenn im grauen Haar spontan neue dunkle Strähnen auftauchen, ist das kein Grund zur ungetrübten Freude, wie 2001 der Lancet berichtete. Eine Frau wurde von ihrer Friseurin auf dieses seltene Phänomen aufmerksam gemacht. Klugerweise ging die alte Dame zum Arzt, der ein Melanom feststellte. In den Haarwurzeln hatte sich dadurch eine große Menge Melanin gebildet. Nach einer Strahlentherapie wuchsen die Haare wieder im gewohnten Grau.

Häufiger als von der überraschenden Rückkehr der Haarfarbe berichten Anekdoten jedoch davon, dass ein Mensch wegen eines traumatischen Erlebnisses plötzlich ergraut. Der französischen Königin Marie Antoinette soll das in der Nacht vor ihrer Hinrichtung geschehen sein. Doch selbst wenn tatsächlich alle Melanozyten schlagartig die Arbeit eingestellt hätten, hätte das im königlichen Haupthaar erst nach Wochen sichtbar werden können - wächst es doch nur einen drittel Millimeter pro Tag.

Denkbar ist allenfalls, dass Menschen auf einen Schlag alle pigmentierten Haare verlieren und die ungefärbten übrig bleiben. Bei Marie Antoinette könnte die Erklärung auch einfacher sein: Während ihrer Gefangenschaft hatte sie keine Gelegenheit, ihre Haare zu färben. Als das Volk die Königin dann auf dem Schafott wiedersah, war sie "plötzlich" grau.

Marie Antoinette hat damit ihre letzten Wochen womöglich zumindest in dieser Hinsicht in besserer Gesundheit verbracht als zuvor: Haarfärbemittel sind oft ungesund, einige sollen zum Beispiel das Risiko für Blasenkrebs erhöhen (SZ, 7.1.2004). Auch wenn das Ausmaß der Gefahr umstritten ist - am sichersten fährt wohl, wer sich wegen grauer Haare keine grauen Haare wachsen lässt.

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