Wissen:Umleitung zwecklos!

Strömen und stauen - Autofahrer verhalten sich wie tote Materie. Wissenschaftler haben bewiesen: Wer sich nicht für einen Streckenwechsel sondern für das Ausharren im Stau entscheidet, kommt schneller zum Ziel.

Von Titus Arnu

Und hier die neuesten Verkehrsnachrichten: Falls Sie einen Stau vor sich haben und in der Nähe einer Ausfahrt sind - bitte biegen Sie nicht auf die Umgehungsstrecken ab. Das führt nur zu weiteren Staus. Klingt extrem unsinnig, ist jetzt aber wissenschaftlich bewiesen.

Stau, dpa

"Papi, wann sind wir endlich da?" - Jetzt bloß nich rechts rausfahren. Sie würden länger brauchen.

(Foto: Foto: dpa)

Das hektische Reagieren auf Staumeldungen zahlt sich für Autofahrer in den meisten Fällen nicht aus. Wer sich nicht sofort für einen Streckenwechsel entscheidet, sondern erst einmal abwartet, kommt schneller ans Ziel.

Der Verkehrsfluss laufe gleichmäßiger, wenn die Verkehrsteilnehmer nicht möglichst schnell auf Umleitungsstrecken abbögen, haben Verkehrsforscher der Universität Duisburg ermittelt. Von der Untersuchung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 640.000 Euro gefördert wurde, erhoffen sich Verkehrsexperten langfristig bessere Stau-Prognosen.

Die gemeinsame Arbeitsgruppe von Nobelpreisträger Reinhard Selten (Universität Bonn) und Michael Schreckenberg (Universität Duisburg) kombinierte spieltheoretische Methoden der Wirtschaftsforschung mit Verkehrsphysik. Die Auto-Didaktiker entwickelten dazu ein Laborexperiment, bei dem Berufspendler an 200 Tagen die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Wegstrecken hatten. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass die große Mehrheit der Autofahrer in der Hoffnung auf kürzere Fahrzeiten sehr häufig die Wegstrecke wechselt.

Die Versuchs-Pendler benutzten unterschiedliche Strategien, um ans Ziel zu kommen. So wechselten viele ihre Strecke, wenn sie beim vorangegangenen Mal eine lange Fahrzeit hatten. Andere blieben gerade dann bei ihrer vorigen Wahl, weil sie damit rechneten, dass andere ausweichen würden. Nur wenn die Teilnehmer Zusatzinformationen über sämtliche Baustellen und Staugefahren auf allen alternativen Strecken erhielten, nahm die Zahl der Wechsler ab und das Verkehrssystem stabilisierte sich.

Bei der Suche nach Wegen aus dem Verkehrschaos nutzten die Verkehrsforscher auch Erkenntnisse aus der Teilchenphysik. Wie sich herausgestellt hat, treffen physikalische Gesetze auch auf zäh fließenden Verkehr zu. So verläuft der Übergang vom fließenden zum stockenden Verkehr wie der Wechsel eines Stoffes vom gasförmigen in einen zähflüssigen oder festen Zustand. Gas entspricht in diesem Modell dem fließenden Autoverkehr.

Je mehr Platz die Wagen haben, umso schneller bewegen sie sich. Wird das Gas zur Flüssigkeit, bewegen sich die Teilchen langsamer. Gefriert die Flüssigkeit, herrscht bei den Teilchen Stillstand - das ist dann der Stau.

Gegen die Temperatur, die es zum Gefrieren bringt, kann das Teilchen nichts machen. Aber der Autofahrer? "Die Individualisten gehen in der Masse unter", sagt Michael Schreckenberg, Professor für Transport und Verkehr an der Universität Duisburg. Der Autofahrer - ein willenloses Elementarteilchen, das nur mit dem Strom schwimmen kann.

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