Wissen:Ivan, der schreckliche Vorbote

Mit fast 28 Meter hohen Wassertürmen hatte Hurrikan Ivan die höchsten Wellen erzeugt, die je gemessen wurden. Ein einmaliges Ereignis? Aufgrund neuer Studien nehmen Wissenschaftler an, dass wir in Zukunft mit noch stärkeren Stürmen rechnen müssen - wegen des Klimawandels.

Philip Wolff

Sein Name klang wie eine Prophezeiung, und Ivan hat sie erfüllt. Als "Der Schreckliche" brauste der Hurrikan im September 2004 quer durch die Karibik, durch den Süden der USA - und in die meteorologischen Geschichtsbücher. Nicht nur eine Schneise der Verwüstung in der Natur, auch eine Zäsur in den Statistiken der Wissenschaftler hinterließ der Sturm: Mit fast 28 Meter hohen Wassertürmen habe Ivan die höchsten Wellen erzeugt, die je gemessen wurden, sagt der Ozeanologe David Wang vom Meeresforschungslabor des Stennis Space Centers der Nasa in Mississippi.

Hurrikan Ivan

Von der ISS aus gesehen: Wolken verbergen Ivans Spuren am Boden.

(Foto: Foto: AP)

Am 15. September peitschte Ivan das Meer über einer Sonde am Grund des nordöstlichen Kontinentalsockels im Golf von Mexiko um 27,7 Meter über den Normalwasserstand. So lautet das jetzt veröffentlichte Messergebnis der Sonde, die aus dem Wasserdruck am Meeresboden auf die Wellenhöhe an der Oberfläche schließen lässt (Science, Bd. 309, S. 896, 2005).

Ein einmaliges Ereignis? Das nehmen Wissenschaftler nicht an. Im Gegenteil: In Zukunft müsse der Mensch mit noch stärkeren Stürmen rechnen. Durch eine weitere Studie sehen Klimaforscher das jetzt erstmals stichhaltig belegt. Darin zeigt der Meteorologe Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology einen Zusammenhang zwischen Stärke sowie Dauer der großen Wirbelstürme und der Klimaerwärmung (Nature, Bd. 436, S. 686, 2005).

Hatten Meteorologen bislang an Zusammenhängen mit dem Treibhauseffekt gezweifelt, "sehen wir in Emanuels Ergebnis ein deutliches Signal", sagt Michael Botzet vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Wellengrößen und Windgeschwindigkeiten dürften demnach mit fortschreitender globaler Erwärmung über die Rekorde Ivans künftig hinauswachsen. Denn die Wärme des Oberflächenwassers im tropischen Atlantik gilt als die Mutter aller Hurrikane.

40 Meter hohe Wasserwände

Der in Fachkreisen als Sturm-Guru verehrte Kerry Emanuel hat neben der Temperatur-Entwicklung des Oberflächenwassers detailliert die alle sechs Stunden von Sonden, Flugzeugen oder Satelliten gemeldeten Windgeschwindigkeiten aller Hurrikane seit 1950 ausgewertet.

Emanuel addierte die Windwerte, sodass Stärke und Dauer der Stürme in jeweils einem Jahreswert zusammengefasst sind, und zeigte: Temperatur- und Sturmstärke-Kurven laufen parallel zueinander - und zwar mit einer steigenden Tendenz, die eine Erwärmung des Klimas seit den siebziger Jahren um 0,5 Grad Celsius widerspiegelt.

Dasselbe errechnete Emanuel für die Wirbelstürme im Nord-Pazifik. Nur in den betroffenen Regionen Südostasiens, wo die Wirbelstürme Taifune heißen, "liegen nicht genügend Messwerte vor", sagt er. "Aber auch aus der dünneren Datenbasis dort lässt sich auf eine ähnliche Entwicklung schließen." Der Hamburger Meteorologe Botzet urteilt: "Die Korrelation ist beeindruckend deutlich."

In früheren Studien hatten Forscher die Klimaerwärmung nicht für die Sturmstärke, sondern allein für die Häufigkeit der Wirbelwinde verantwortlich gemacht. Doch ihre Ergebnisse waren durch Hinweise auf wiederkehrende, jahrelange Sturmperioden leicht angreifbar: Worin sollte der Unterschied der stürmischen Jahre seit 1995 zur Hurrikan-starken Zeit um die Mitte des 20. Jahrhunderts bestehen?

Schließlich bringe die thermohaline Zirkulation, eine natürliche globale Strömungsschleife in den Ozeanen, ausgelöst durch Salzgehalt- und Temperaturunterschiede des Meerwassers, alle 30 bis 40 Jahre wärmeres Oberflächenwasser in den tropischen Atlantik. "Nur damit, und nicht mit einem globalen Klimawandel, hat die Vielzahl der starken Stürme seit 1995 zu tun", betonten angesehene Hurrikan-Forscher wie William Gray von der Colorado State University. Kerry Emanuels wachsende Temperatur- und Windstärke-Kurven seit 1975 belegen nun das Gegenteil.

Auch die Höhe mancher Monsterwelle, die Ivan aufpeitschte, ist demnach eine Folge der durch den Klimawandel verstärkten, natürlichen Effekte. Messbar wird dies zur jährlichen Hurrikan-Saison, die nach Prognosen der amerikanischen Oceanic and Atmospheric Administration in diesem Jahr nach den Stürmen Dennis und Emily noch sieben weitere Zyklone auf die US-Küste zujagen wird. Das Oberflächenwasser im tropischen Atlantik hat bereits knapp 26 Grad Celsius erreicht.

Wird es hier und da ein bisschen wärmer, steigt feuchtwarme Luft auf, deren Wassergehalt in kalten Höhen kondensiert: Gewaltige Gewittertürme bilden sich, wobei zusätzliche Energie in Form weiter nach oben schießender Wärme freigesetzt wird, und über dem Meer entsteht ein Unterdruck. Der saugt neue Luft von allen Seiten an: ein System, das sich durch die Strömungsablenkung der Erdrotation zu drehen beginnt. Ein saugender Kreisel entsteht, dessen Kraft, wie Emanuel zeigte, unmittelbar von der Wassertemperatur abhängt.

Schiffe weichen aus

Die Monsterwellen jedoch, die solche Hurrikane auftürmen können, galten bislang als das kleinere Übel. Denn nur in seltenen Ausnahmefällen wie den gewaltigen Sturmfluten, in denen im Jahr 1900 etwa 8000 Bewohner der texanischen Küstenstadt Galveston ertranken, erreichen solche Wasserwände das Land.

Meist glätten sich die Wogen auf dem Weg durchs Meer. Gesichtet jedenfalls wurden Wellen von der Größe, die der Ozeanologe Wang während des Hurrikans Ivan registrierte, auf offenem Meer noch nie. Schiffe fahren den Sturmtiefs weiträumig aus dem Weg. "Man weiß bislang einfach zu wenig über die Wellen, die in einem solchen Zyklon entstehen. Unsere Studie sollte den Startschuss zur Erforschung geben", sagt Wang.

Dieser Forderung verleiht der Forscher mit großen Zahlen Nachdruck: Die Rekordwellen-Höhe von 27,7 Metern habe er außerhalb des Sturm-Systems gemessen. Unmittelbar an der wirbelnden Sturmwand erreichten die Wassertürme heutiger Hurrikane vermutlich eine Höhe von 40 Metern. Sicherer jedenfalls, so lautet mittlerweile die gemeinsame Überzeugung der Forscher, werden die Sturm-Monate an den karibischen Küsten in Zukunft nicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: