Windenergie:Wie die Windenergie die Ökoszene spaltet

Windenergie in Brandenburg

Manchen kann der Ausbau der Windenergie nicht schnell genug gehen, andere warnen vor der "Verspargelung"

(Foto: dpa)

Auch viele Umweltschützer kritisieren den schnellen Ausbau der Windkraft. Für die Verfechter dagegen kann es nicht schnell genug gehen.

Von natur-Autor Georg Etscheit

"Eine brutalere Zerstörung der Landschaft, als sie mit Windkrafträdern zu spicken und zu verriegeln, hat zuvor keine Phase der Industrialisierung verursacht. Es ist die Auslöschung aller Dichter-Blicke der deutschen Literatur. Eine schonungslosere Ausbeute der Natur lässt sich kaum denken, sie vernichtet nicht nur Lebens-, sondern auch tiefreichende Erinnerungsräume." Starke Worte. Sie stammen von keinem Geringeren als Botho Strauß. Der Dichter lebt zurückgezogen in der brandenburgischen Uckermark. Vor mehr als zehn Jahren hatte er die zornigen Sätze veröffentlicht. Heute darauf angesprochen, klingt Strauß resigniert. In Brandenburg plane man "allen Ernstes", die Zahl der Anlagen noch zu verdoppeln. Der "Schande der Windkraftfelder", sagt der Dichter, "ist kein Einhalt mehr zu gebieten".

An dieser Stelle sei hinübergeschwenkt in eine andere Landschaft, nach Mainfranken. Dort, im alten Weinhandelszentrum Kitzingen, lebt Manfred Engelhardt. Er ist Vorsitzender der örtlichen Niederlassung des Bundes Naturschutz in Bayern (BN). In einem Internetbeitrag besingt er zunächst die kleinteilige Kulturlandschaft seiner vom Weinbau geprägten Heimat. Um dann seine Vision von der Zukunft dieses Landstrichs auszubreiten: "Um jedes Dorf, jede kleine Stadt herum ragen Windkraftanlagen in den Himmel, auf fast allen Dächern der wohlgedämmten Häuser und auf manchen ökologisch oder landwirtschaftlich nicht so wertvollen Flächen blinken Fotovoltaikanlagen in die Sonne. Die Touristen kommen und sind begeistert über die neue mainfränkische Kulturlandschaft."

Aus natur 05/2016

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  • natur 05/2016

    Der Text stammt aus der Mai-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 05/2016 auf natur.de...

Was für den einen Teufelszeug, ist dem anderen eine Heilsvision. Krasser als in diesen beiden kurzen Texten von Botho Strauß und Manfred Engelhardt könnten die Meinungen nicht auseinandergehen. Dabei geht es doch um ein und dasselbe: den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland, den Abschied von Kohle und Atom im Zeichen des Klimaschutzes, kurz: die Energiewende. Doch dieses eigentlich prosaische, weil doch sehr technische, Thema um Megawatt, Grundlast und Energiespeicher erregt mehr und mehr die Gemüter, seit die Energiewende nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahre 2011 und dem endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft mächtig Fahrt aufgenommen hat. Und es spaltet die Bevölkerung.

Im Fokus dieses Streits steht die Windkraft zu Lande. Die Windkraftwerke, hoch wie Fernsehtürme, prägen mittlerweile ganze Regionen. Rund 26 000 der Riesenrotoren drehen sich schon in Deutschland und es werden immer mehr. Sie produzieren nicht nur klimafreundlichen Strom, sondern haben auch gravierende Nachteile: Sie holen seltene Großvögel wie den Roten Milan vom Himmel, töten Fledermäuse und verbreiten Schallwellen, darunter sogenannten Infraschall. Ob dadurch Menschen krank werden können, ist wissenschaftlich umstritten.

Vor allem aber: Man kann sie nicht verstecken. 200 Meter hoch ragen die heutigen Modelle in den Himmel, neue mit bis zu 300 Metern Höhe werden schon geplant. Man sieht sie Dutzende Kilometer weit. Sie werden vorwiegend in windreichen Regionen gebaut, die bislang von den ärgsten Folgen der Industrialisierung verschont geblieben sind, den Mittelgebirgen. Und sie verändern deren Antlitz grundlegend. "Energielandschaften" werden die neuen Landschaftsbilder genannt, wie sie vor allem in Nord- und Ostdeutschland entstanden sind, zunehmend aber auch in den südlichen Bundesländern. Denn der Boom der Windkraft ist ungebrochen.

Alle sieben Kilometer müsste ein Windpark stehen, rechnet ein kritisches Bündnis vor

Wie viele Windräder es einmal sein werden im Land - niemand weiß es. Einen Masterplan Energiewende gibt es nicht. Jedes Bundesland, jeder Landkreis, jede Kommune kocht ein eigenes Süppchen. Nach der Modellierung eines klimafreundlichen Energiemixes inklusive Einstieg in die sogenannte Power-to-Gas-Technik zur Speicherung Erneuerbarer Energien für das Jahr 2050, vorgelegt vom Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, werden dafür unter anderem zwischen 147 und 204 Gigawatt installierter Windleistung zu Land gebraucht. Das wäre drei- bis fünfmal so viel wie heute.

Das energiewendekritische Bündnis "Vernunftkraft" hat errechnet, dass für die Vollversorgung Deutschlands mit Erneuerbaren Energien alle sieben Kilometer ein Windpark mit je zehn Anlagen stehen müsste. Der Bundesverband Windenergie hält solche Aussagen für "Kaffeesatzleserei". Schließlich würden die Maschinen immer leistungsfähiger. "Vor 20 Jahren hatte die durchschnittliche Anlage eine Leistung von 500 bis 600 Kilowatt, heute liegen wir bei 2,7 Megawatt", sagt ein Sprecher des Bundesverbands Windenergie (BWE). "Die größte am Markt befindliche Anlage hat bereits 7,5 Megawatt." Außerdem könnten wegen planungsrechtlicher Restriktionen gar nicht überall Windräder gebaut werden.

Für Windkraftkritiker wäre die mehr oder weniger flächendeckende "Verspargelung" des Landes eine Horrorvorstellung. Sie haben sich im Bündnis "Vernunftkraft" organisiert. Mehr als 600 Bürgerinitiativen gegen neue Windparks soll es laut Vernunftkraft-Vorstand Nikolai Ziegler bundesweit schon geben. "Und ständig kommen neue dazu." In Mecklenburg-Vorpommern wurde Ende Februar sogar eine Partei der Windkraftgegner gegründet, die sich gegen eine "völlig aus dem Ruder gelaufene Energiewende" positioniert. Im September wird in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt.

Der Konflikt bringt Klimaschützer gegen Artenschützer auf

Für die Verfechter der Windkraft dagegen kann der Ausbau gar nicht schnell genug gehen. Sie sehen die Mehrheit der öffentlichen Meinung hinter sich und preisen Onshore-Windenergie als "Arbeitspferd der Energiewende", unabdingbar im Kampf gegen den Klimawandel. Sie sitzen in Bürgerenergiegenossenschaften, die selbst Windparks und Solarfelder betreiben, in vielen Gemeinderäten, in den großen Umweltverbänden BUND und NABU und in Parteien wie den Grünen. Im Hintergrund agiert der BWE, eine mächtige Lobbyorganisation der Windindustrie. Nicht wenige BUND-Aktivisten sind zugleich ehrenamtlich beim BWE engagiert.

Ganz neue Fronten tun sich jetzt auf: Klimaschützer gegen Arten- und Landschaftsschützer, junge, global denkende Umweltaktivisten gegen regional verwurzelte Naturfreunde alten Schlags, Städter, die sich mittels Ökostromtarif ein grünes Gewissen kaufen, gegen Landbewohner, die sich von Windparks umzingelt sehen und um das gewohnte Bild ihrer Heimat fürchten. Oft spaltet der Konflikt ganze Dorfgemeinschaften; viele Bürgermeister hoffen auf einen satten Geldregen für die klammen Gemeindekassen.

Einst war Landschaftsschutz, die Bewahrung "schöner" Kulturlandschaften, so etwas wie die Königsdisziplin des Naturschutzes. Heute steht der Klimaschutz ganz oben auf der Agenda. Selbst offizielle Landschaftsschutzgebiete, für die Umweltschützer oft jahrzehntelang kämpften, stehen zur Disposition. Entweder zwackt man ihnen einfach ein Stück für einen neuen Windpark ab oder man teilt die oft großräumigen Schutzgebiete, die sich teilweise mit den Naturparks decken, in Zonen größerer oder minderer Schutzbedürftigkeit ein. Wo es weniger schön ist, kann dann im Zweifelsfall gebaut werden. So wird das Instrument des Landschaftsschutzes mehr und mehr ausgehöhlt. Oft mit dem Segen der Umweltverbände.

Wunsch nach "friedvoller, ästhetisch-emotional anrührender Natur"

Doch was ist überhaupt eine "schöne" Landschaft? Muss es immer die bäuerliche Kulturlandschaft sein? Oder können auch die neuen "Energielandschaften" das Herz des Betrachters höher schlagen lassen? Die Befürworter der Windenergie argumentieren, dass Kulturlandschaften immer ein Ergebnis menschlicher Nutzung seien. Ändere sich die Nutzung, verändere sich auch das Landschaftsbild. Und die "romantische" Landschaft sei ohnehin nur ein ästhetisches Konstrukt. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft würden sich die Menschen an den Anblick der "Energielandschaften" gewöhnt haben.

Werner Nohl hält dagegen. Fast alle Menschen, sagt der frühere Honorarprofessor für Landschaftsarchitektur an der TU München, der viele Jahre über Landschaftsästhetik und Naturerleben geforscht hat, hätten das Bedürfnis, die freie Landschaft mit ihren Äckern, Wiesen, Feldern und Forsten "als ein Bild friedvoller, ästhetisch-emotional anrührender Natur" zu erleben. "Mit der Auffüllung der Landschaft durch Windkraftfarmen, Fotovoltaikparks und Hochspannungsleitungen, die mit ihren hochtechnischen Elementen Natur und Landschaft zu Energie erzeugenden Industriegebieten vereinheitlichen, wird dieser so lebens- und erlebenswichtige Entwicklungsgrundsatz unterlaufen." Die landschaftsästhetischen Verluste durch die "sperrigen und mächtigen Anlagen" seien immens, konstatiert Nohl.

Der Kampf um die letzten freien Horizonte spaltet die Umweltbewegung. In Rheinland-Pfalz gründete sich mit der "Naturschutzinitiative" eine neue Umweltorganisation, die sich wieder auf die Wurzeln des "klassischen Naturschutzes" besinnen will. Mitgründer und Vorsitzender ist Harry Neumann, der bis Dezember 2014 BUND-Landeschef in Rheinland-Pfalz war und im Streit um die von der rot-grünen Landesregierung forcierte Windkraft seinen Hut genommen hatte. Ihm zufolge hat mittlerweile beim BUND oft die Windlobby das Sagen; der Natur- und Landschaftsschutz bleibe zunehmend auf der Strecke. "Eine Abwägung zwischen Natur- und Klimaschutz wird es in der Naturschutzinitiative nicht geben", sagt Neumann. "Wir unterstützen keinen Weg, bei dem Biosphäre zerstört wird."

Flammende Reden gegen "Energiewende-Technokraten"

Auch in Bayern hat der Konflikt Klimaschutz versus Natur- und Landschaftsschutz zu Verwerfungen in der Ökoszene geführt. Vor drei Jahren kündigte der Dirigent und Umweltschützer Enoch zu Guttenberg, der einst den BUND als deutschlandweite Organisation mit aus der Taufe hob, seinem Verband die Gefolgschaft auf. Seither zieht der oberfränkische Baron durch die Lande und hält flammende Reden gegen die von den "Energiewende-Technokraten" entfachte "Materialschlacht". Sonnen- und Windenergie könnten Teil eines neuen, nachhaltigen Energiekonzepts sein, sagt Guttenberg. "Doch alternative Energien, die Leben zerstören und Land und Wald verwüsten, sind kein Ausweg, sondern ein 'Weiter-so' im Vernichtungsfuror gegen unsere letzten Lebensräume, gegen unsere Heimat, gegen eben jene Natur, die uns einst Schutz und Identität bedeutete."

Guttenberg ist Mitinitiator des Vereins für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB), der im Sommer 2015 gegründet wurde und sich ebenfalls als Konkurrenz zum Bund Naturschutz (BN), der bayerischen Filiale des BUND, versteht. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch deutschlandweit eine neue Öko-Organisation etabliert, die den Alt-Verbänden Paroli bietet.

Doch es geht auch anders herum: Zum 40. Gründungstag des BUND trat der Grünen-Politiker Hans-Josef Fell, einer der Konstrukteure des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), mit öffentlichem Tamtam aus dem Verband aus. Seiner Meinung nach lege der BUND nicht zu wenig, sondern zu viel Wert auf den Naturschutz und behindere die Energiewende. Nicht nur in Sachen Windkraft, auch beim Ausbau von Biogasanlagen, Solarfeldern und Wasserkraftwerken stehe der BUND häufig auf der Bremse. In einem Antwortschreiben an Fell versuchte BUND-Chef Hubert Weiger, die Wogen zu glätten. Der BUND sehe sich als "Treiber der Energiewende und als Naturschutzverband". Weigers Losung lautet: Windkraft ja, aber "nach Plan" und mit "ökologischen Leitplanken". Zum weiteren Bau von Windrädern sieht Weiger keine Alternativen.

"Dies wird die Energiewende nicht verhindern"

Jüngst erwischte es auch den NABU, die mitgliederstärkste deutsche Naturschutzorganisation. In einer Anzeige in der "taz" wurde der Verband frontal angegriffen: von einem "Aktionsbündnis Artenschutz durch Erneuerbare - Diffamierung durch NABU stoppen". Es setzt sich aus Windparkbetreibern und Windkraftunternehmen zusammen. Der NABU werde immer mehr zum "Energiewende-Verhinderer", heißt es in dem Text zu der Absicht des nordrhein-westfälischen NABU-Vorsitzenden Josef Tumbrinck, weitere Artenschutzklagen gegen einzelne Windparks zu erheben, wenn nötig. Dies sei eine "Kampfansage".

Harter Tobak für NABU-Präsident Olaf Tschimpke. "Wir haben in den letzten zwei Jahren, in denen die Windkraft boomte, nur eine Handvoll Klagen gegen Windparks angestrengt, von denen auch nur die Hälfte Erfolg hatte", sagt Tschimpke. "Dies wird die Energiewende nicht verhindern." Natürlich, gibt Tschimpke zu, müsse man Windkraftwerke nicht "überall hinstellen" oder ganze Ortschaften mit ihnen "umzingeln". "Da läuft sicher einiges falsch." Der NABU habe planerischen Wildwuchs beim Ausbau der Erneuerbaren auch immer bekämpft, sei aber meist von der Politik ausgebremst worden. Große Defizite gebe es auch in puncto Effizienz und Energiesparen. Letztlich komme man um ein Umsteuern bei der Energieversorgung nicht herum - schließlich sei der weltweite Klimawandel bittere Realität. "Ob der Ausbau von Wind und Sonne aber weiterhin so flächenfressend sein muss wie bisher, da habe ich meine Zweifel."

Die Gegner der Windkraft in den neuen Umweltorganisationen - und wohl auch in den eigenen Reihen - rief Tschimpke dazu auf, nicht immer nur "Nein" zu sagen. Sie seien aufgefordert, ihrerseits nach natur- und landschaftsverträglichen Lösungen zu suchen.

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