Wettervorhersage:Blitze über Feldmoching

Mit dem neuen Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes werden nicht mehr komplette Landkreise alarmiert: Künftig kann jeder sehen, was der eigenen Gemeinde droht.

Von Jan Heidtmann und Marlene Weiss

Sonne statt Regen, Badestimmung statt grauer Suppe - für die meisten Menschen ist es Anlass zur Freude. Anders bei den Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD): Wenn da die Zeichen auf Sturm stehen, der Sturm selbst aber ausbleibt, hagelt es regelmäßig Beschwerden. Von der Anruferin, die eilends von der Arbeit nach Hause geradelt sei, um die Balkontür zuzumachen, "und nichts ist passiert". Von dem Mann, der Blumentöpfe und -kübel aus dem Garten in Sicherheit gebracht habe. Und die Sonne schien munter weiter. Solche Fehleinschätzungen will der DWD nun eindämmen, am Donnerstag schaltete er auf seiner Internetseite ein neues Unwetter-Warnsystem frei. Von Anfang August an soll es auch auf der Warnwetter-App des Dienstes verfügbar sein.

Dräuten schwere Wetter, versetzten die Meteorologen bislang komplette Landkreise in Alarmzustand. Mit dem neuen System werden Gemeinden einzeln gewarnt. Grob geschätzt, schrumpft die alarmierte Region damit um zwei Drittel, sogar Bezirke größerer Städte wie Charlottenburg-Wilmersdorf in Berlin oder Feldmoching-Hasenbergl in München könnten ausgewiesen werden.

Dabei geht es den Wetterkundlern weniger darum, Bürger vor kleineren Unannehmlichkeiten zu bewahren. Sie sollen vielmehr vor katastrophalen Überschwemmungen wie im Mai und Juni in Bayern besser geschützt werden. Mit dem verfeinerten Warnsystem, so die Hoffnung beim DWD, können auch die Rettungskräfte präziser in Bereitschaft versetzt werden. Dabei geht es insbesondere um lokal begrenzte Unwetterlagen. Ein Orkan wie Kyrill im Jahr 2007 lässt sich meist schon Tage vorher erkennen. Problematisch für Meteorologen sind kleinere Wetterphänomene wie plötzlich auftretender Starkregen.

Allerdings ist da technisch einiges vorangegangen, das macht nun unter anderem die Warnungen auf Gemeindeebene möglich. Dafür wurde vor allem das Radarnetz verbessert und modernisiert. Zwar betreibt der DWD schon lange deutschlandweit 17 Radartürme, die permanent ihre Umgebung mit Mikrowellen abtasten. Aus den reflektierten Strahlen, die wieder beim Gerät ankommen, kann man die Niederschlagsmenge in der Luft bestimmen. In den vergangenen Jahren wurden nach und nach alle Radargeräte auf diesen Türmen durch solche mit einer neuen Technik namens Dual-Doppler ersetzt, die sich zuerst in den USA durchgesetzt hatte. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat der Wetterdienst sich das kosten lassen.

Starkregen in Dresden

Starkregen in Dresden (Anfang Juli): Ein Passant kämpft sich gegen Wasser und Wind über den Theaterplatz.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Das klingt nun nicht nur schicker, sondern verbessert besonders die kurzfristige Wettervorhersage für die nächsten Stunden, "Nowcasting" genannt. Mit den modernen Geräten kann der DWD nicht nur Niederschlag erfassen, sondern auch zwischen Regen, Schnee oder Hagel unterscheiden, und das in viel höherer Auflösung. Die neuen Radargeräte liefern Daten in einem Gitternetz, dessen Punkte jeweils nur 250 Meter Abstand voneinander haben, früher war es ein Kilometer.

Da die typischen Unwetterwarnungen vor allem Gewitter und Starkregen betreffen, Niederschlagsereignisse also, welche der Radar gut erfassen kann, hilft das ganz entscheidend weiter. Nimmt das System beispielsweise eine Gewitterzelle wahr, wird je nach Windrichtung der Bereich umrissen, über den sie sich bewegen dürfte. Für jede Gemeinde, die ganz oder teilweise in dieser Zone liegt, wird dann automatisch eine Warnung erzeugt. Natürlich wird es auch in Zukunft Fehlalarme geben. Wenn nur ein Zipfel der Kommune betroffen ist oder die Prognose einfach leicht danebenliegt, wird weiter die eine oder andere Grillparty abgesagt werden, und nachher lässt sich kein Gewitter blicken. Aber für jeden einzelnen Ort sollte das doch seltener werden, auch wenn die Summe der Warnungen sich vervielfacht.

Auch das numerische Modell, das die Meteorologen für ihre Vorhersagen benutzen, ist längst nicht mehr das gleiche wie noch 2003, als der DWD die Landkreis-Warnungen einführte (bis dahin wurden wegen eines lokalen Starkregens zum Teil ganze Bundesländer alarmiert). Inzwischen gibt es bessere Wettersatelliten, die mehr Daten erfassen, und viel mehr bezahlbare Rechenleistung, die es ermöglicht, mit diesen Daten auch in kurzer Zeit sinnvoll umzugehen.

Hochwasser in Bayern

Überschwemmung in Simbach: Vor Hochwassern wie im Juni am Inn soll künftig effizienter gewarnt werden.

(Foto: dpa)

Erst 2012 hat der Wetterdienst dank dieser neuen Möglichkeiten ein sogenanntes Ensemble-Modell eingeführt. Alle drei Stunden erstellt es aus der Gesamtheit der Wetterdaten von Satelliten, Radarstationen, Flugzeugsensoren, Wetterballons und Bodenstationen jeweils zwanzig mögliche Anfangszustände. Zwanzig dreidimensionale Karten von Temperatur und Luftdruck also, die mit den trotz aller Technik noch lückenhaften Daten vereinbar sind. Für jeden Anfangszustand wird eine Prognose errechnet; je nachdem taucht dann im Computer mal hier und mal dort, mal früher und mal später etwa eine Gewitterzelle auf. Aus all diesen möglichen Entwicklungen wird dann eine recht genaue Vorhersage erstellt. Diese bessern die Meteorologen dann noch nach, unter anderem mit Erfahrungswerten: Täuschte sich ein Modell an einem bestimmten Ort in der Vergangenheit öfter um zwei Grad, fließt das in ein nachgeschaltetes System ein, das die Prognose entsprechend korrigiert.

Vor allem aber macht das Ensemble-Modell es möglich, Wahrscheinlichkeiten und Extreme besser einzuschätzen: Steht die Gewitterzelle in 15 von 20 Fällen über Stuttgart, ist dort die Wahrscheinlichkeit für ein Gewitter hoch. Und wenn die meisten Prognosen auf 25 Liter Regen pro Stunde kommen, aber eine 60 Liter liefert, weiß man, dass auch dieser Wert möglich ist. Früher wurde so etwas leicht übersehen.

Als Bundesbehörde ist der DWD sogar gesetzlich dazu verpflichtet, die Bewohner Deutschlands vor himmlischem Unbill zu warnen. Dass das neue System nun wenige Wochen nach den Tornados und Überschwemmungen in Deutschland eingeführt wird, ist reiner Zufall. Die Experten vom Wetterdienst haben fünf Jahre an den neuen Vorhersagemodellen gearbeitet. Kritisch bleibt aber weiterhin der Faktor Zeit. Ob das Gewitter nun losbricht oder nicht, ob der Regen nun mit Wucht niedergehen wird, das kann der DWD bei lokalen Ereignissen bestenfalls einige Minuten vorher sagen. Das Wetter bleibt eben ein chaotisches System. Es ist wie mit dem Topf voller Wasser, der zum Kochen gebracht wird: Klar ist, dass irgendwann Blasen aufsteigen. Doch wo genau und wann, das ist nur sehr schwer zu bestimmen.

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