Weltseuche Aids:Mangelhafte Verhütung

Die Zahl der HIV-Infektionen weltweit stagniert, doch Experten sehen keinen Grund zum Jubeln. Zu groß sind die Probleme wie Kondommangel und riskantes Sexualverhalten.

Oliver Das Gupta

Im vergangenen Oktober hatte Pfarrer Stefan Hippler hohen Besuch. Angela Merkel bereiste Südafrika und besuchte auch das Tygerberg-Krankenhaus in Kapstadt, in dem Hippler und seine Mitstreiter vom Verein HOPE seit 1999 eine Station für aidsinfizierte Kinder unterhalten.

Weltseuche Aids: HIV-infiziertes Mädchen im ostafrikanischen Äthiopien. Die Aufnahme entstand im Jahre 2005

HIV-infiziertes Mädchen im ostafrikanischen Äthiopien. Die Aufnahme entstand im Jahre 2005

(Foto: Foto: AFP)

Die Kanzlerin nahm damals ein HIV-positives Mädchen in den Arm und lauschte einem nicht alltäglichen Anschauungsunterricht Hipplers: Der katholische Seelsorger demonstrierte unter anderem ein Frauen-Kondom und seine Handhabung.

Die Verbreitung von Präservativen ist ein wichtiger Faktor, der dazu beigetragen hat, dass die Ausbreitung der Immunschwächekrankheit erstmals seit langem stagniert: Der Weltaidsbericht 2008 sei der "positivste seit 14 Jahren", sagte bei der Präsentation Peter Piot, Chef des Aidsprogramms der Vereinten Nationen (UNAIDS), schob jedoch alarmierende Zahlen hinterher: Jeden Tag stecken sich etwa 7500 Menschen neu mit dem Aids-Erreger HIV an, weltweit sind bereits 33 Millionen Menschen infiziert. Zwei Millionen Menschen sterben jährlich weltweit an Aids.

Vor allem in Afrika ist die Immunschwäche weiterhin Todesursache Nummer eins: Zwei von drei Betroffenen waren Afrikaner - und 72 Prozent der Aids-Toten des vergangenen Jahres.

In Deutschland vor allem Homosexuelle betroffen

Die Meldungen zum Auftakt der internationalen Konferenz AIDS 2008 in Mexiko-Stadt klingen nicht minder bedrohlich. Pünktlich zu dem am Wochenende angelaufenen Expertentreffen wurde eine Studie veröffentlicht, nach der 2006 etwa 56.300 Menschen in den USA sich mit dem HI-Virus infizierten - 40 Prozent mehr als in früheren Schätzungen prognostiziert.

Auch in Deutschland steigt die Zahl der Erstdiagnosen: Im vergangenen Jahr wurden dem Robert-Koch-Institut insgesamt 2752 Neuinfektionen gemeldet - eine Zunahme von vier Prozent. Betroffen sind hierzulande vor allem homosexuelle Männer.

Nicht nur in den Industrieländern, sondern auch in den Hochrisiko-Regionen scheint es nach wie vor ein Problem zu sein, dass viele Menschen Aids unterschätzen. Viele wüssten, wie Kondome verwendet werden, aber benutzen sie dann nicht, sagt Hippler.

Dabei scheint es ausgerechnet dort, wo Aids am stärksten verbreitet ist, Fortschritte zu geben. Dem Weltaidsbericht zufolge haben sich die Hilfszahlungen für Bedürftige in Entwicklungs- und Schwellenländern von 2001 bis 2007 versechsfacht. "Dies beginnt Früchte zu tragen", heißt es in dem Report. In Staaten wie Ruanda und Simbabwe sinken demnach die Zahlen der Aidstoten und der Infektionen. Dort haben Aufklärung und Prävention Erfolg, weil sie eine Änderung des Sexualverhaltens erreichen konnten.

Die bisherigen Hilfen reichen bei weitem noch nicht aus. Ein Beispiel: Die internationale Gemeinschaft müsste jährlich etwa 18 Milliarden Kondome bereitstellen, damit sich alle Menschen in Entwicklungsländern vor einer Ansteckung mit HIV/Aids und ungewollten Schwangerschaften schützen können, errechnete die US-Organisation Population Action International in ihrer Studie "Condoms and Contraceptives Count".

Tatsächlich stellten die Geber im Jahr 2007 jedoch nur Mittel für 3,3 Milliarden Kondome zur Verfügung. Wie der Mangel sich auswirkt, wird am Beispiel Kenia ersichtlich, wo 1,2 Millionen HIV-Infizierte leben. Laut der in Hannover ansässigen Deutschen Stiftung Weltbevölkerung stehen dort jedem Mann durchschnittlich weniger als zehn Kondome pro Jahr aus Hilfsgeldern zur Verfügung.

Mangelhafte Verhütung

Der Bedarf an Kondomen steigt weiter - das zeigen auch die steigenden Verkaufszahlen: "Die Kondomindustrie in Südafrika hat eine Zuwachsrate von 55 Prozent", sagt Pfarrer Hippler . Doch die "Frage, ob und wie Kondome benutzt werden, ist ebenso wichtig wie die Frage der Verfügbarkeit", sagt der Pfarrer zu sueddeutsche.de.

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Neue Hoffnung im Kampf gegen Aids: ein Frauenkondom

(Foto: Foto: AP)

Eine andere Helferin, die an Projekten in Schwarzafrika mitgearbeitet hat, berichtet im Gespräch mit sueddeutsche.de davon, dass die verteilten Präservative mitunter zweckentfremdet würden. "Man ist sich nicht sicher, ob sie Luftballons beim Kindergeburtstag werden", sagt sie.

Bei der Aufklärungsarbeit machten sich gerade die Männer über die Verhüterlis lustig - die Frauen hörten da schon besser zu, wenn es um Prävention geht. Bei ihnen will auch die deutsche Entwicklungshilfe verstärkt ansetzen, sagt Holger Illi, Sprecher des Bundesministeriums für Entwicklung zu sueddeutsche.de.

Vergewaltigung als Strafe

Neben der Aufklärung setzt das Ministerium auf weibliche Kondome und die Stärkung der Frauenrechte. Denn die tut gerade im südlichen Afrika Not. Ziel ist es, dass die Frauen Verhütung kontrollieren - und dass sich das Sexualverhalten in einigen Bereichen grundlegend ändert.

Ein besonders schreckliches Beispiel ist die "Vergewaltigung von Frauen als Bestrafung", sagt Reinhild Schumacher von der Hilfsorganisation Oxfam. Ebenso unerträglich und Faktor bei der Verbreitung von Aids ist der Missbrauch von Kindern. "Sogar Neun- oder Zehnjährige haben schon Geschlechtsverkehr", sagt Pfarrer Hippler.

Deshalb warnt der Geistliche davor, die Frage nach den Präservativen als wichtigste anzusehen. "Man muss an den verschiedensten Ecken anfangen und abarbeiten."

Für Hippler ist die Frage, wie die Welt mit Aids umgeht, noch aus einem weiteren Grund enorm wichtig. Die Immunschwäche sei die erste Pandamie, mit der sich die Vereinten Nationen beschäftigt hätten - inzwischen täten sie das auch mit anderen Seuchen wie Malaria.

Nun kümmerten sich auch Politiker verstärkt um solch verheerende Krankheiten. "Der Kampf gegen Aids ist eine Lokomotive, die andere mitzieht", sagt Hippler. Vielleicht hat er dabei an die Kanzlerin mit dem Baby auf dem Arm gedacht.

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