Weltraumfrachter außer Kontrolle:2,3 Tonnen Nachschub taumeln durchs All

The Progress M-27M cargo ship  launched from Baikonur cosmodrome

Der Start des Raumfrachters Progress M-27M an Bord einer Sojus-Rakete am 28. April 2015.

(Foto: dpa)

Ein Weltraumfrachter mit Nachschub für die Raumstation ISS wird sein Ziel womöglich nicht erreichen. Fallen weitere Flüge aus, könnte bald mehr als nur die Bordtoilette der ISS in Gefahr geraten.

Von Alexander Stirn

Es wäre übertrieben, würde man behaupten, die russische Raumfahrt sei ins Trudeln geraten. Für Progress M-27M stimmt das aber zweifelsohne. Der unbemannte Frachter, der die Internationale Raumstation ISS mit Nachschub versorgen sollte, taumelt durchs All. Bereits kurz nach dem Start am Dienstagmorgen hatte die Bodenkontrolle den Kontakt verloren. Sollte Progress weiter nicht reagieren, droht in den kommenden Tagen der unkontrollierte Rücksturz zur Erde.

Für Russlands Raumfahrt, die zuletzt mit großen technischen und finanziellen Problemen zu kämpfen hatte, mit explodierenden Raketen und streikenden Arbeitern, ist es ein weiterer Rückschlag. Für die Manager der ISS bedeutet es zusätzlichen Stress: Fortwährend müssen sie den orbitalen Außenposten, in dem sechs Astronauten in etwa 400 Kilometern Höhe um die Erde kreisen, mit Nachschub versorgen. Auch ohne taumelnde Raumfrachter ist das ein komplexes Unterfangen.

Mehr als 2,3 Tonnen Nachschub befinden sich an Bord von Progress M-27M, darunter knapp 500 Kilogramm Treibstoff für die ISS, sowie je 400 Kilogramm Wasser und Nahrungsmittel. Aber auch Ersatzteile für die russische Bordtoilette, Fensterputztücher und Kleidung taumeln gerade durchs All.

ISS-Vorräte reichen bis zum Herbst

Anlass zur Sorge um die Crew besteht trotzdem nicht: Noch bis zum Herbst reichen die Vorräte - der kluge Stationsmanager baut schließlich vor, auch aufgrund schlechter Erfahrung: Bereits 2011 war ein Progress-Raumschiff nach dem Start abgestürzt. Vergangenen Oktober brachten dann die Amerikaner den ISS-Zeitplan durcheinander, als ein US-Frachter vom Typ Cygnus auf der Startrampe explodierte.

Die Hüter des ISS-Nachschubs stellt all das vor große Herausforderungen. Durchschnittlich einmal pro Monat startet derzeit ein Versorgungsflug zum schwebenden Labor. Hinzu kommen zwei bemannte Flüge pro Jahr. Sie alle können nur dann abheben, wenn die Flugbahn der ISS, die sich ständig verschiebt, exakt über die Startrampe führt. Und sie müssen Platz zum Anlegen an der Station haben. Bei fünf oder sechs verschiedenen Raumschiffen gleicht das mitunter einer orbitalen Reise nach Jerusalem.

Sojus-Defekt könnte bemannte Flüge in Gefahr bringen

Das Potpourri ist durchaus beabsichtigt, da es Unpässlichkeiten beim ein oder anderen Raumschiff ausgleichen kann. Allerdings schrumpft die Vielfalt: Vergangenes Jahr haben die Europäer ihre Versorgungsflüge mit dem eigens entwickelten Raumfrachter ATV eingestellt - weil sie etwas Neues entwickeln wollen. Die amerikanischen Cygnus-Kapseln sind nach der Explosion noch außer Dienst. Fällt nun auch die Progress weg, bleiben nur noch der japanische Frachter HTV und die Dragon-Kapsel des privaten US-Unternehmens SpaceX, die aber beide keinen Treibstoff für die ISS liefern können.

Noch ist nicht klar, was den Progress-Frachter in Trudeln brachte. Russische Nachrichtenagenturen spekulieren über einen Defekt an der obersten Antriebsstufe der benutzten Sojus-Rakete. Es wäre ein Problem, das weit über Astronauten-Unterwäsche und Toilettenersatzteile hinausgehen würde: Die Sojus wird auch für bemannte Flüge zur ISS benutzt. Der nächste Start war eigentlich für Ende Mai geplant.

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