Weltklimarat-Chef Pachauri:"Ich bin kein Sündenbock"

Pikante E-Mails von Klimaforschern, eine falsche Vorhersage im Klimabericht, umstrittene Nebenaufträge: Rajendra Pachauri über die Affären um den UN-Weltklimarat. Ein Exklusivinterview aus Science.

Gegen den Weltklimarat IPCC sind in den vergangenen Wochen viele Vorwürfe erhoben worden. Als an einer englischen Universität Hunderte E-Mails von Klimaforschern gestohlen und veröffentlicht wurden, kamen Fragen nach der Integrität der beteiligten Forscher auf, die in wichtiger Funktion am jüngsten Bericht des IPCC über den Stand der Klimaforschung mitgearbeitet hatten. Der Leiter des Weltklimarats, eines von den UN eingesetzten Wissenschaftlergremiums, kündigte erst eine Untersuchung an, sagte sie dann aber wieder ab.

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"Ich habe nicht die Absicht zurückzuweichen": Der Weltklimarat-Vorsitzende Rachendra Pachauri will trotz der Vorwürfe weiterarbeiten.

(Foto: Foto: AP)

Später zeigte sich, dass der jüngste Bericht des Gremiums eine offenbar falsche Angabe über die Gletscher im Himalaya enthielt, die auf einer unzuverlässigen Quelle beruhte. In der britischen Presse geriet der Vorsitzende des Weltklimarats, der Inder Rajendra Pachauri, auch persönlich in die Kritik. Er hat neben seinem Ehrenamt beim IPCC und der Leitung eines Energie-Forschungsinstituts in Delhi als Berater von Firmen gearbeitet. An seinem Institut gab Pachauri der Zeitschrift Science dieses Exklusivinterview.

Frage: In diesem Winter hat ein Thema den IPCC besonders belastet: Der vierte Sachstandsbericht von 2007 enthält die Vorhersage, die Himalaya-Gletscher würden bis 2035 schmelzen. Der IPCC hat das bedauert - sich aber nicht dafür entschuldigt.

Rajendra Pachauri: Wir haben einen Fehler gemacht und das eingeräumt. Unsere Aufgabe ist es doch, in unseren Berichten die wissenschaftlichen Daten aus den besten Quellen zu bewerten. Aber sehen Sie sich doch den Umfang der Gletscherforschung in meinem Land an. Das ist erbärmlich. Dafür müssen wir uns eigentlich entschuldigen.

Frage: In seiner Stellungnahme zu dem Fehler beharrt der IPCC darauf, dass die Gletscher in Indien schmelzen. Ist das nicht eine steile These?

Pachauri: Unsere Gletscher im Himalaya erleben die gleichen Temperatur-Veränderungen wie andere auf der ganzen Welt. Daher können wir unmöglich annehmen, dass wir aus irgendeinem Grund isoliert seien. Die Laien können mit ihren eigenen Augen sehen, was passiert.

Frage: Kritiker sagen, der IPCC habe immer den Eindruck erweckt, große Wissenschaft zu betreiben, in Wirklichkeit aber schlampige Arbeit abgeliefert.

Pachauri: Sicher glauben das nun manche Leute. Aber ich kann Ihnen versichern, dass viele andere die Gesamtleistung des IPCC im Auge haben. Wir haben der Welt ein maßgebliches Dokument vorgelegt, das eindeutig über die wissenschaftlichen Gründe für den Klimawandel aufklärt. Die Wahrhaftigkeit, die Redlichkeit, die Gewissenhaftigkeit, mit denen wir unsere Bewertung abgeben, waren immer das Markenzeichen des IPCC. Wir werden das niemals verwässern.

Frage: Was lernen Sie aus diesen Angriffen und der Kritik?

Pachauri: Wir müssen sichergehen, dass unsere Richtlinien nach Geist und Buchstabe und mit der gebührenden Sorgfalt befolgt werden. Ich werde persönlich sicherstellen, dass alle Teams von Leitautoren, die am kommenden fünften Sachstandsbericht und an speziellen Reports arbeiten, die Regeln peinlich genau befolgen. Sie müssen jede Mühe darauf verwenden, sich zu überzeugen, dass wir keine fragwürdigen Informationen verwerten. Was passiert ist, unterstreicht nur, wie wichtig unsere etablierten Prozeduren sind. Wären sie befolgt worden, hätten wir nicht diesen unglücklichen Fehler gemacht.

Frage: Der Ruf des IPCC hat in diesem Winter auch unter den E-Mails der University of East-Anglia in Norwich, England gelitten, die in die Öffentlichkeit gelangt sind.

Pachauri: Diese E-Mails waren private Kommunikation, sie drückten private Gefühle wie Angst oder Ärger aus. Es war eine Indiskretion.

Frage: Haben die Ereignisse dieses Winters die Glaubwürdigkeit des IPCC beschädigt?

Pachauri: Ich glaube, die Glaubwürdigkeit des IPCC kann nicht beschädigt werden. Wenn es den IPCC nicht gäbe, warum sollte sich dann jemand Sorgen über den Klimawandel machen? Es gibt Menschen, die wollen die Wissenschaft vom Klimawandel zerstören. Unsere Rechtfertigung liegt in unserer Leistung.

Frage: Werden Sie jetzt zum Sündenbock gemacht?

Pachauri: Ich bin nicht der Sündenbock, aber Sie wissen, dass die Verantwortung letztlich bei mir liegt. Ich bin der Vorsitzende des IPCC, ich werde mich nicht vor meiner Verantwortung drücken.

Frage: Gibt es einen Interessenkonflikt zwischen Ihrer Rolle als IPCC-Vorsitzender und Ihrer Beratungstätigkeit für Firmen?

Pachauri: Ich sehe da überhaupt keinen Konflikt. Wissenschaft muss Entscheidungsprozesse unterstützen. Die Arbeit des IPCC soll ausdrücklich relevant für politische Entscheidungen sein. Wie kann ich diese Relevanz erreichen, wenn ich mich in einem Elfenbeinturm einschließe und nicht über den Klimawandel spreche? Ich fühle mich in der Rolle von jedermanns Berater sehr wohl.

Frage: Eine Stellungnahme Ihres Instituts Teri listet die Firmen auf, mit denen Sie Verbindungen haben sowie die Beträge, die (für die Beratung) an Sie und das Institut geflossen sind. 100000 Dollar von der Deutschen Bank, 80000 Dollar von Toyota und so weiter. Denken Sie nicht, dass es hier einen Interessenskonflikt gibt?

Pachauri: Wo ist da der Interessenskonflikt? Ich bin ein bezahlter Angestellter meines Instituts, nicht des IPCC. Ich kann nicht erkennen, warum ich nicht jedermann überall auf der Welt beraten können soll, solange das Geld dafür an mein Institut fließt.

Frage: Manche Leute widersprechen dem. Sie sagen, Sie dürften nicht einmal den Hauch eines Zweifels wecken.

Pachauri: Ich kann doch unmöglich für all die Lügengeschichten verantwortlich gemacht werden, die in bestimmten Teilen der britischen Presse erscheinen. Wenn die meinen, sie könnten die öffentliche Meinung beeinflussen, kann ich Ihnen versichern, dass das nicht ewig so weitergeht. Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Wahrheit am Ende siegt.

Frage: Sie machen jetzt gute Miene zum bösen Spiel. Aber manche in der wissenschaftlichen Gemeinde fühlen sich enttäuscht. Die sagen, Sie trügen zu viel Ballast mit sich herum, und es sei an der Zeit, dass Sie sich eine andere Aufgabe suchen.

Pachauri: Ich habe sicher nicht vor, aufzugeben. Ich mache als Vorsitzender des IPCC weiter, bis ich den fünften Sachstandsbericht abgeschlossen habe.

Frage: Sind Sie ein Dorn im Auge bestimmter Interessensgruppen, ein Dorn, den die beseitigen wollen?

Pachauri: Überhaupt keine Frage. Aber ich habe nicht die Absicht, zurückzuweichen. Ich werde die Wahrheit nicht verbiegen, damit sie den Interessensgruppen gefällt, die gern ihre gewohnten Geschäfte weitermachen würden.

Interview: Pallava Bagla

Dieses Exklusivinterview erscheint in der aktuellen Ausgabe des internationalen Wissenschafts-Magazins Science. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Deutsche Bearbeitung: Christopher Schrader

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