Wasserwirtschaft:Die falschen Flüsse

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Zum Idealbild einer ursprünglichen Naturlandschaft gehören Flüsse, die in weiten Schleifen durch die Gegend fließen. Doch diese Wasser-Wege sind oft nur die Folge mittelalterlicher Wasserwirtschaft.

Axel Bojanowski

Zum Idealbild einer ursprünglichen Naturlandschaft gehören Flüsse, die in weiten Schleifen durch die Gegend fließen. Abgestoßen von den begradigten Wasserläufen, die der Mensch in den vergangenen 150 Jahren aus vielen Flüssen gemacht hat, glauben viele Ökologen, ein natürlicher Fluss müsse möglichst viele der Mäander genannten Bogen machen.

Die Isar aus der Luft. War auch dieser Fluss früher eher verzweigt als kurvig? (Foto: Foto: dpa)

An vielen Orten Europas sind Millionen Euro investiert worden, um mit den Wasserläufen ganze Landschaften zurück in einen Naturzustand zu versetzen und den Hochwasserschutz zu verbessern. Obwohl die Maßnahmen dieses Ziel oft erreicht haben, sind sie oft einem falschen Idealbild gefolgt: Mäandernde Flüsse sind ebenso ein Produkt der Zivilisation wie begradigte Ströme, haben Foscher vom amerikanischen Franklin and Marshall College erkannt.

Die Landschaft Mitteleuropas war einst keineswegs von großen kurvigen Flussläufen geprägt, schreiben Robert Walter und Dorothy Merritts in der heute erscheinenden Ausgabe der Zeitschrift Science (Bd.319, S.299, 2008). Vielmehr habe ein verästeltes Netzwerk von Wasseradern den Kontinent überzogen.

Zwar liefen große Flüsse wie Rhein, Donau oder Elbe durch die gleichen Täler wie heute, doch sie waren offenbar stark verzweigt. Erst der Bau Tausender Wassermühlen im Mittelalter hat die Landschaft verändert: Die Mühlenteiche stauten das Wasser, die Flüsse schwollen an. Erst dadurch entstanden imposante mäandernde Wasserwege. Es waren demnach Menschen, die jenen "Urzustand" schufen, den der moderne Europäer nun romantisiert.

Walter und Merritts haben für ihre Studie den Verlauf von Flüssen mit historischen Dokumenten über Wassermühlen verglichen. Zudem werteten sie Bohrungen und Radarmessungen an Flussufern aus, die Aufschluss über den Verlauf eines Stromes in den vergangen Jahrtausenden geben. Sedimente zum Beispiel, die bislang als Ablagerungen von Hochwassern interpretiert wurden, erwiesen sich dabei als Spuren kleiner Nebenadern.

Umgestaltung seit 10.000 Jahren

Die Umgestaltung Europas begann nach der Eiszeit vor 10.000 Jahren. Die Schmelzwasserfluten der Gletscher hatten eine immense Wucht und rissen sogar Felsen zu Tal. Wo sich Kiesel und Sand ablagerten, entstanden Dämme, denen das Wasser auswich. Die Flüsse verzweigten sich bis in die Unterläufe. Nachdem die Gletscher getaut waren, verlangsamten sich die Ströme.

Vor rund 8000 bis 5000 Jahren begann nach bisheriger Vorstellung das Stadium der "Reife der Flüsse": Die Meere waren um 120 Meter angeschwollen und stauten die Ströme. Das Wasser floss nun deutlich langsamer zu Tal, und die Flussläufe veränderten sich weniger als zuvor.

Darum lagerten sich nun größere Mengen Sand ab, der das Wasser zwang, nach links oder rechts auszuweichen - Mäander bildeten sich. Es entwicklelten sich allerdings zumeist keine großen Ströme, schreiben Walter und Merritts . Weiterhin bildeten sich offenbar unzählige Sandbänke, an denen sich die Wasserläufe gabelten.

Das Netz aus Flüssen bot ideale Voraussetzungen für die Gründung von Städten. Wo sich zwei Flüsse vereinigten, staute sich das Wasser; Sand lagerte sich ab. Eine Untiefe - "Furt" genannt - bildete häufig die Keimzelle einer Siedlung. Wer hier den Weg über den Fluss kontrollierte, beherrschte auch den Handel.

Städtenamen wie Frankfurt, Fürth oder Herford weisen auf diese Entstehung hin. Noch heute führt im Zentrum von München die Zweibrückenstraße über eine Insel in der Isar, auf der heute das Deutsche Museum steht.

Vom 11. Jahrhundert an besiegelten die neu entstandenen Siedlungen das Ende der ursprünglichen Flusslandschaft. Überall nutzten die Städter die Energie des Wassers zum Betrieb von Wassermühlen, um Maschinen zu betreiben. Ulm verlagerte gar sein Stadtzentrum im späten Mittelalter an die Mündung der Blau in die Donau.

Kein Fluss, keine Bedeutung

Lange Zeit prosperierende Siedlungen wie Rotenburg ob der Tauber hingegen, die ohne Zugang zu einem Fluss blieben, verloren an Bedeutung, schreibt der Landschaftskundler Hansjörg Küster von der Universität Hannover in seinem Standardwerk "Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa".

Weil das Gefälle der meisten Flüsse gering war, mussten sie gestaut werden, um genügend Energie erzeugen zu können; Tausende Mühlenteiche entstanden. Sie ließen den Wasserspiegel der Flüsse ansteigen, deren Adern sich so zu Strömen verbanden. Die Kraft des geballten Wassers fräste die zuvor schon angelegten Mäander erst richtig aus.

Die meisten Mühlenteiche jedoch wurden während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert aufgegeben, als elektrische Energie verfügbar wurde. Die Mühlendämme wurden im Laufe der Zeit überflutet. Damit verschwanden auch die Spuren des schwersten menschlichen Eingriffes in die Flusslandschaft, berichten Walter und Merrits. "Der Naturzustand der Flüsse", resümiert Hansjörg Küster, "ist dauernde Veränderung".

© SZ vom 18.01.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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